Zeitzeuge Khol: "Schüssel wollte Schwarz-Blau anfangs gar nicht"
Eigentlich sollte Angela Merkel kommen. Die deutsche Regierungschefin hatte für morgen eine Festrede in petto – Parteifreund Wolfgang Schüssel feiert am Montag in Schönbrunn seinen 70er.
Das Treffen musste kurzfristig abgesagt werden. Denn gleichzeitig mit dem Fest für den Alt-Kanzler ist EU-Gipfel in Brüssel. Und bei dieser letzten Chancen, den Finanz-Kollaps in Griechenland noch abzuwenden, kann Merkel schwerlich fehlen.
An ihrer statt wird CDU-Fraktionsführer Volker Kauder gratulieren – wie viele Politiker und Weggefährten, von Landeshauptleuten bis zu Schüssels Fußball-Spezis.
Man wird wohl in Nostalgie schwelgen – wo, wenn nicht bei dieser Gelegenheit? Und sicher wird die Frage gestellt: Was blieb eigentlich von der Ära Schüssel?
Zeitzeugen
Bis heute bleibt Schwarz-Blau für ihn eine "Wunde", er hält die Blauen für regierungsuntauglich: "Um Verantwortung zu übernehmen, braucht man eine moralische Mindest-Qualifikationen. Die hat die FPÖ bis heute nicht, dafür muss man sich nur die menschenverachtenden Aussagen der FPÖ-Abgeordneten Belakowitsch-Jenewein anhören."
Dessen ungeachtet habe Schüssel bei seinen Anliegen stets Haltung gezeigt. "Er war der einzige Kanzler, der sich nicht gekümmert hat, ob seine Positionen nur populär sind. Ein Kreisky hat getan, was den Leuten gefiel. Ein Schüssel war für den NATO-Beitritt – und das gegen die Mehrheit der Österreicher."
Aber was hat der letzte ÖVP-Kanzler mit seiner Regierung wirklich umgesetzt?
Einer, der sich stets als Verfechter der schwarz-blauen Koalition deklarierte, Ex-Klubchef Andreas Khol, erwähnt vor allem die sozialpolitischen Reformen, die Aufarbeitung der NS-Schuld und die Privatisierungen der verstaatlichten Industrie.
"Wolfgang Schüssel war ein großartiger Verhandler. Er hatte einen eisernen Hintern, davon zeugen allein 22 Verhandlungsrunden mit den Sozialpartnern", sagt Khol. Die Harmonisierung der Pensionssysteme, die lebenslange Durchrechnung – all das hätte es ohne ihn nicht gegeben. Auch die von Schüssel vorangetriebene Frage der Restitution und Zwangsarbeiter-Entschädigung für die NS-Zeit sei heute als Leistung unumstritten.
Ruchlos
Görg sieht das ähnlich: "Andere in der Partei haben gesagt: ,Hauptsache Kanzler!‘ Schüssel hat dem nachgegeben, aber eigentlich wollte er etwas anderes." Was? "Eine Reform-Koalition nach steirischem Vorbild. Hätte sich Viktor Klima wie Franz Voves verhalten, die ÖVP wäre 2000 als Juniorpartner in die Regierung gegangen."
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