Wie Nazis Rechtsanwälte verfolgten

"Advokaten 1938" ist ein Buch von Barbara Sauer und Ilse Reiter-Zatloukal über das Schicksal von verfolgten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in den Jahren 1938 bis 1945
Berufsverbot: NS-Regime zwang 1938 drei Viertel der Advokaten, darunter viele Juden, in die Flucht.

Marzell Glesinger, 1892 in Leoben geboren, war Offizier im Ersten Weltkrieg, studierte Jus in Graz und wurde Rechtsanwalt in Villach. Als Österreich am 12. März 1938 von den Nazis annektiert wurde, durfte er seine Kanzlei nicht mehr betreten. Glesinger bekam als Jude Berufsverbot, seine Karriere war jäh zu Ende. Vor dem NS-Regime musste er fliehen und emigrierte nach Israel. Als Anwalt war er nie wieder tätig, er arbeitete am Bau und als Nachtwächter. „Niemals wieder werden meine Füße österreichischen Boden betreten“, soll er zu seinem Sohn gesagt haben.

Wie Glesinger erging es vielen Advokaten: 1830 Rechtsanwälte wurden in Österreich wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt, 338 in Konzentrationslager deportiert, davon 303 ermordet, Dutzende begingen Selbstmord. Die Mehrheit musste flüchten, wenigen gelang es, in der Emigration als Anwalt tätig zu sein. Zu unterschiedlich waren die Rechtssysteme, zu groß die erlebten Qualen und Erniedrigungen. Eine Ausnahme war Abraham Groß, der in Palästina erneut die Anwaltsprüfung schaffte und bis zum Tod seinem Beruf nachging.

Die Lebensgeschichten dieser vertriebenen und entrechteten österreichischen Juristen werden im Buch „Advokaten 1938“ nachgezeichnet. Historikerin Barbara Sauer und Rechtswissenschaftlerin Ilse Reiter-Zatloukal haben im Auftrag der Rechtsanwaltskammer die Schicksale der Anwälte gesammelt, den politischen Kontext sowie Hintergründe des Berufsverbotes und ihrer Verfolgung durch die Nazis erklärt.

Besonders gravierend war die Verfolgung in der Rechtsanwaltskammer für Wien: Bis zur Nazi-Annexion Österreichs waren hier 2541 Mitglieder registriert, Ende 1938 waren es nur noch 771. Aufgrund vieler Streichungen aus dem Anwaltsregister wurde sogar ein eigener Stempel mit der Aufschrift „Gelöscht“ angefertigt.

In einer Veranstaltung des Jüdischen Museums, der Österreichischen Rechtsanwaltskammer und des jüdischen Verbandes B’nai B’rith wird das Buch morgen, Dienstag, im Jüdischen Museum in Wien vorgestellt.

BUCHTIPP: Sauer/Reiter-Zatloukal: „Advokaten 1938. Das Schicksal der in den Jahren 1938 bis1945 verfolgten österreichischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte“, Manz-Verlag.

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