Wohnbau-Offensive – Freibrief für Zerstörung?

Wohnbau-Offensive – Freibrief für Zerstörung?
"Leistbares Wohnen!". Mit diesem Schlachtruf haben sich beide Großparteien ins Wahljahr gestürzt.

Leistbares Wohnen! Mit diesem Schlachtruf haben sich beide Großparteien ins Wahljahr gestürzt. Klingt bestechend – bedeutet aber mit Sicherheit nichts Gutes für das Stadt- und Landschaftsbild. Denn nun gibt es ja endlich ein edles Motiv für weitere hemmungslose Zersiedelung an den Stadträndern, für unwiederbringliche Zerstörung ganzer Viertel, und für Hochhäuser, wo eigentlich keine stehen sollten.

Viele Bauträger, oft im Eigentum von Rot und Schwarz oder in deren Naheverhältnis, dürfen sich auf einen Boom freuen. Momentan lassen sich ja auch mit schlechten Lagen gute Geschäfte machen. Wer wird sich da schon um Bauordnungen scheren, um Weltkulturerbe oder gar um Ästhetik, wenn es doch um die Vermehrung des wertvollen Guts Wohnung geht? Dabei wäre so eine Bauoffensive sogar eine Chance für eine neue Stadtplanung. Theoretisch haben Grüne wie der Wiener Christoph Chorherr ja völlig recht: Es geht um Verdichtung und Durchmischung. Doch die praktische Umsetzung durch Planungsstadträtin Vassilakou scheint sich hauptsächlich auf in der Parteifarbe angepinselte Radwege zu beschränken. Zugegeben: Jahrzehntelange bundesweite Fehlplanung (bzw. fehlende Planung) lässt sich nicht so schnell umkehren.

Eine Vision wäre, Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit wieder zusammenzufügen. Der gegenteilige Trend der letzten Jahre ist lebensfeindlich und teils sogar kommerziell gescheitert: Immer mehr triste Shoppingcenter (mit ihrem uniformen Mix internationaler Ketten) kannibalisieren einander und haben die Ortszentren ruiniert. Gleichzeitig stehen viele billige und öffentlich schlecht angeschlossene Bürohäuser und Industriehallen leer. Lieber baut man Neues und lässt das Alte nebenan verrotten.

Jetzt werden auf Druck wohl architektonisch uninspirierte, neue Schlafstädte aus dem Boden gestampft. Weitaus mühsamer wäre es, leere Bürotürme in Wohnungen umzuwandeln, katastrophal gesichtslose Industriezonen (nach-)zu gestalten und abgewohnte Stadtviertel wiederzubeleben, um Slumbildung (ja, es gibt sie!) zu bremsen. Man könnte unbürokratische Steueranreize für Zinshaus-Eigentümer schaffen, ihre Häuser auszubauen und zu renovieren. Man könnte – wie in London – auch das Erdgeschoß nicht nur in Garagen, sondern in Wohnraum verwandeln (und die Gehsteige davor menschenfreundlicher gestalten).

Österreich könnte stadtplanerisch ja auch einmal Vorreiter sein, hätte irgendwer den Ehrgeiz dazu. Hat aber niemand. Der ORF-Journalist Tarek Leitner hat übrigens eine Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs mit dem Titel „Mut zur Schönheit“ verfasst. Gerade jetzt könnte sich auch die Politik dieses Themas endlich annehmen.

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