"Regierungen trauen sich nicht, nachhaltig zu entscheiden"

„Wissenschaft soll für Politik Entscheidungsgrundlagen vorbereiten.“
Der Rektor der Wirtschaftsuni Wien will Forscher zu mehr Öffentlichkeit ermutigen.

KURIER: Die Politik streitet derzeit wieder zum Thema Steuerreform. Fehlt Ihnen da nicht die Stimme der Wissenschaft?

Christoph Badelt: Da muss man eine Grenze achten. Die Uni als Institution kann und soll nicht zu inhaltlichen politischen Fragen eine Meinung haben, damit sie nicht von politischen Gruppen vereinnahmt werden kann. Ich als Rektor werde nicht mein Modell einer Steuerreform vorbringen, oder bei anderen Modellen bewerten, was gut oder schlecht ist. Aber die einzelnen Angehörigen der Uni, für die ist es mir ein Anliegen, dass sie mit ihren Forschungsarbeiten und -ergebnissen in die Praxis hinausgehen und aufzeigen, dass ihre Arbeit eine politische Relevanz hat.

Also die Wissenschaftler sollen sich mehr Gehör verschaffen?

Ich finde, es ist wichtig, dass die Wissenschaftler die Zusammenhänge so aufbereiten, dass einem Politiker klar ist, wenn er X macht, wird Y passieren. Oder konkreter: Es kann ein Forscher darstellen, was die Wirkung einer Erhöhung der Mehrwertsteuer im Verhältnis zu einer Einführung der Erbschaftssteuer ist. Aber entscheiden, was man dann machen soll, das müssen Politiker, dafür sind sie da.

Ist es zum Beispiel sinnvoll, dass die Politik nun niedrige Einkommen entlasten will?

Steuererleichterungen für niedrige Einkommen gehen unmittelbar in den Konsum und kurbeln damit die Konjunktur an. Das ist wissenschaftlich, also durch Theorie und Empirie nachgewiesen.

Und wie gegenfinanzieren?

Das ist eine ganz andere Frage, ob ich zur Gegenfinanzierung eher die Gruppe A oder B zur Kasse bitte. Als Wissenschaftler sage ich da: Das soll die Politik entscheiden.

Wie bewerten Sie die aktuelle Steuerdiskussion?

Die Parteien haben sich medial verpflichtet, die Entlastung der Einkommen in den Vordergrund zu stellen. Aber durch die schwache Konjunktur und das Bankenproblem ist das nur durch eine Umschichtung der Einnahmen finanzierbar. Und damit ist es keine allgemeine Entlastung, sondern eine Systemänderung, und damit zwangsläufig ein Kampf zwischen verschiedenen Gruppen. Damit sind wir mitten in einer Verteilungsdiskussion, weil alle Vorschläge zu einer Gegenfinanzierung immer bestimmte Gruppen treffen. Somit wird die allgemeine Entlastung durch die Belastung einer Gruppe finanziert, die man bislang als privilegiert angesehen hat. Und das hat in der Praxis bisher dazu geführt, dass es ein Verteilungskampf wird.

Die Wissenschaft hätte bessere Antworten auf diese Fragen?

Das Problem ist doch eigentlich, dass wir schon lange Regierungen haben, die sich nicht trauen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Deshalb haben wir ja so einen Reformstau.

Gilt das auch auf EU-Ebene? Warum haben wir nach wie vor eine Wirtschaftskrise in der EU?

Weil es eben gerade bei wirtschaftspolitischen Fragen nicht die eine, objektive Wahrheit gibt. Winston Churchill soll einmal gesagt haben, er wünsche sich einen einarmigen Ökonomen, damit dieser nicht mehr argumentieren kann mit den Worten "on the one hand ... and on the other hand". Nur leider stimmt das, es gibt kaum wirtschaftspolitische Argumente, wo man nicht auch gute Gegenargumente hat.

Etwa bei der Frage, ob wir derzeit zu viel sparen, trotz hoher Staatsschulden?

Also abstrakt gesehen ist es sinnvoll, die Binnen-Nachfrage zu stärken, wenn die Konjunktur schwächelt. Es stimmt aber auch, dass die Staatsschulden ein Ausmaß erreicht haben, dass man davon schnell wieder wegkommen muss, weil Schulden die Handlungsspielräume für die Politik einengen. Es ist aber schwer zu sagen, wo die Grenze genau liegt.

Auch bei Fragen wie der Pensionsautomatik, also einer automatischen Anhebung des Pensionsalters, wenn die Lebenserwartung steigt?

Es gibt einen rechnerischen Zusammenhang zwischen der Zahl der Pensionisten, der Höhe der Pensionen und der Zahl der Erwerbstätigen, die in das Pensionssystem einzahlen. Das kann man nicht wegdiskutieren. Klar ist auch, langfristig brauchen wir aufgrund der demografischen Entwicklung eine Änderung in der Struktur. Dennoch traut sich die Politik nicht, weil sie Angst vor angeblich unpopulären Maßnahmen hat. Das glaube ich aber nicht. Die Menschen würden sich doch freuen, wenn einmal jemand Tacheles redet.

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