Bürgerliche Ikone zu Gast in Bürgerschrecks Wohnzimmer

Erster Höhepunkt im Wahlkampf: Stenzel und Strache singen in Favoriten den FPÖ-Wahlkampfsong.
Mit Freibier und markigen Sprüchen startet Strache am Viktor-Adler-Markt in die Wien-Wahl.

Wien-Favoriten ist mit knapp 200.000 Einwohnern der größte Wiener Gemeindebezirk. Wäre der Arbeiterbezirk eine eigene Stadt, Favoriten wäre nach Wien und Graz die drittgrößte Gemeinde Österreichs, etwa gleich groß wie Linz.

Ein deftiger Wahlkampfauftritt auf dem Favoritner Viktor-Adler-Markt gehört daher seit Jörg Haider zum Pflichtprogramm des FPÖ-Chefs. Dann wird der rote Markt zum blauen Wohnzimmer. Der Platz wurde 1919 nach dem Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei benannt, nur in der Nazi-Zeit hieß er Horst Wessel-Platz.

Hans, pardon, Heinz

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wirbt hier seit 2005 vor Wahlen um Stimmen. Ein Fauxpas wie bei seiner Premiere, als der junge Parteichef mit den Worten „Hans, pardon, Heinz-Christian Strache“ den rund 500 Teilnehmern vorgestellt wurde, ist inzwischen ausgeschlossen. Heute kennt man hier Strache, und vor so wenigen Sympathisanten wie damals muss er auch nicht mehr auftreten. Diesmal hat ihn seine jüngste Eroberung auf die Bühne begleitet – und auch eine kurze Rede gehalten.

Wer geglaubt hat, dass die Ex-ORF-Journalistin und Ex-ÖVP-Hüterin der Innenstadt Ursula Stenzel nicht mit vollem Einsatz für ihre neue blaue Heimat eintritt, wurde Freitagabend eines Besseren belehrt: „Liebe Freunde, ich darf ja liebe Freunde sagen“, beginnt sie mit lauter, näselnder Stimme vor der fleißig Österreich-Fähnchen schwenkenden Anhängerschaft die Rede ihres Parteichefs einzupeitschen, „die Ausgrenzung der FPÖ darf nicht mehr hingenommen werden“. Es brauche einen Machtwechsel in Wien, „und dafür ist Strache der Garant, und ich unterstütze ihn vollinhaltlich“. Sie selbst mit ihrem „bürgerlichen und christlich-jüdischen Hintergrund“ stehe für die Öffnung der FPÖ. Ja, sie sei hier „als Vertreterin der Bürgerlichen, das ist für mich kein Schimpfwort“.

Duett

Dann singen Stenzel und Strache gemeinsam den neuen Wahlkampfsong der FPÖ („Sing ich dieses Lied, hab’ ich Tränen im Gesicht...“). Strache nennt Stenzel „eine großartige Frau, vor der ich meinen Hut ziehe und die Hand küsse“. Dann fängt er mit seiner rund 70-minütige Rede an. Inhaltlich haben sich Straches markige Sprüche in den vergangenen zehn Jahren kaum geändert, wenn auch der Wortlaut ein anderer ist. Er artikuliert seinen Unmut über die Arbeitsplatzsituation, fehlenden sozialen Wohnbau, die Subventionierung von Vereinen in Wien, über die steigende Kriminalität – und die politischen Mitbewerber. Im Mittelpunkt seiner Ansprache stehen das Flüchtlingsthema und die erhoffte „Revolution gegen die rot-grüne Aristokratie“. Der Jubel ist groß. Die Freiheitlichen haben die Veranstaltung live via Facebook übertragen – mehr als 10.000 Zuseher verfolgten die Rede des Oberblauen. Mehr als doppelt so viele, wie vor Ort waren.

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