Wie Pflege besser und billiger wird

Dramatische Entwicklung: Laut Prognosen steigen die Pflegekosten schon 2030 auf mehr als das Doppelte
Beim größten Pflegeanbieter in den Niederlanden hat allein die Krankenschwester das Sagen.

Die Zahl der Betroffenen? Sie liegt bei einer halben Million Menschen, Tendenz steigend.

Die Kosten? Sie betragen schon jetzt mehr als acht Milliarden Euro, bis 2030 soll sich das mehr als verdoppeln.

So gesehen ist das Pflege-Thema für Österreich ein dramatisches – vorausgesetzt, die Vorhersagen stimmen. Denn es gibt Experten, die sehen die Sache ganz anders. Menschen wie Jos de Blok. Ausgebranntes Personal, horrende Ausgaben, unzufriedene Kunden: Genau das kennt de Blok aus seiner Zeit als Krankenbetreuer in den 90er Jahren in den Niederlanden.

2007 begann er mit vier Kollegen, die etablierten Strukturen zu hinterfragen und gründete die Organisation "Buurtzorg" (Nachbarschaftshilfe). Zehn Jahre später hat Buurtzorg 10.000 Mitarbeiter, ist der größte Pflege-Anbieter der Niederlande und so erfolgreich, dass Länder auf allen Kontinenten das Modell übernehmen wollen. Sinkende Kosten Der Grund für das Interesse ist simpel: Während andernorts die Kosten steigen, hat es de Blok geschafft, die Ausgaben zu senken – bei höchster Qualität. "Statt der prognostizierten 3,9 Milliarden Euro an Pflegekosten haben wir 2015 in den Niederlanden nur 3,5 Milliarden ausgegeben", sagt de Blok, der auf Einladung der der NGO Ashoka sein Modell nun auch in Wien vorgestellt hat. Laut einer Untersuchung von KPMG konnte die Zahl der Betreuungsstunden bei Buurtzorg tatsächlich um die Hälfte (!) gesenkt werden.

Schlanke Strukturen

Aber wie ist das möglich? Was steckt dahinter?

"Im Pflege-Sektor funktioniert das Top-Down-Management nicht", sagt de Blok. "Wir stellen die Krankenschwestern in den Mittelpunkt der Pflege. Bedingungslos."

Das klingt nicht sonderlich revolutionär, ist es aber. Denn im Unterschied zu Österreich vielen anderen europäischen Ländern dürfen bei Buurtzorg die Krankenschwestern – im Zusammenspiel mit den Familien und Betroffenen – de facto alleine entscheiden, wer wann wie wo betreut wird. "Teams aus fünf bis zwölf hoch qualifizierten Schwestern versorgen im Schnitt Nachbarschaften mit 5000 bis 10.000 Menschen. Die Teams dieser "Gemeinde-Schwestern" sind sieben Tage die Woche verfügbar und übernehmen die Koordination und Kommunikation mit Spezialisten wie Physiotherapeuten, Fachärzten, Spitälern etc. "Die Idee ist, dass die Betroffenen möglichst wenige wechselnde Ansprechpersonen haben sollen. Das System muss einfach und übersichtlich bleiben", sagt de Blok.

Wer kontrolliert die Schwestern?

Da drängt sich zwangsläufig die Frage auf: Wer kontrolliert eigentlich die Arbeit der Krankenschwestern? De Blok ist selbst Krankenpfleger und ihm wurde die Frage offensichtlich schon oft gestellt. Er antwortet mit einem Lächeln: "Warum sprechen Sie von Kontrolle? Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Verantwortung. Kontrolle führt zu Kontrollsystemen, zu Kosten und unnötigen Reibungsverlusten."Stattdessen müsse man den Gedanken zulassen, dass die Betreuer "ethisch und medizinisch in der Lage sind, bestens für die Betroffene zu sorgen – vorausgesetzt, sie sind gut ausgebildet, und man lässt sie ihren Job machen." Im Buurtzorg-Modell "kontrollieren" einander die Team-Mitglieder. Zusätzlich übernimmt das informelle Netz, also Familie, Freunde und Nachbarn, Verantwortung. "Externe Gutachter, Beamte oder Aufsichtspersonen sind dann überflüssig."Die gesamte Bürokratie der 10.000-Mann-NGO wird von gerade einmal 50 (!) Mitarbeitern erledigt, die Zahl der Beschwerde-Fälle, die nicht im Kleinen gelöst werden können, liegt laut de Blok jedes Jahr im Promille-Bereich.Klingt zu gut, um wahr zu sein? Vielleicht. Die Zufriedenheit mit und bei Buurtzorg ist freilich amtlich: Seit 2011 wurde die NGO vier Mal zum attraktivsten Arbeitgeber der Niederlande gewählt.

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