Wer anschafft, muss auch zahlen

ÖBB-Chef Christian Kern und Verkehrsministerin Doris Bures im Interview. Wien am 01.08.2013
Verkehrsministerin Bures verspricht ÖBB-Chef Kern Geld für günstige Jugendtickets.

Sie ist seit 2008 Verkehrsministerin, er seit 2010 Chef der Österreichischen Bundesbahnen. Bei einer Zugfahrt im modernen Railjet sprachen Doris Bures und Christian Kern im KURIER-Doppelinterview über billige Jugend-Tickets, teure Investitionen und den bevorstehenden Wahlkampf.

KURIER: Frau Minister, die SPÖ hat erst ihre Forderung nach einem Gratis-Öffi-Ticket für Jugendliche präsentiert, dann auf vergünstigte Tickets abgeschwächt. War das klug?

Doris Bures: Die genaue Formulierung der Forderung wurde am Samstag beim Bundesparteirat beschlossen. Bis dahin gab es eine rege Diskussion. Unsere Ziel ist, dass Mobilität leistbar ist. So wie das Top-Jugendticket in der Ostregion (um 60 €/Jahr) wollen wir in allen Verkehrsverbünden in ganz Österreich ein günstiges Jahresticket haben. Und wir wollen es für Studierende erweitern.

Herr Kern, werden die ÖBB das finanziell unterstützen?

Christian Kern: Wir begrüßen alles, was junge Menschen an die Bahn heranführt. Wir stehen Gewehr bei Fuß. Wir sind aber ein Unternehmen und können keine Sozialleistungen finanzieren. Daher ist klar, dass wir die Leistung abgegolten bekommen müssen.

Bures: Wenn die Politik Leistungen bestellt, muss das den Unternehmen abgegolten werden. Die Zeiten sind vorbei, in denen Politiker Verkehrsträgern ausgerichtet haben, dass bestimmte Personengruppen gratis fahren auf Kosten der Firmen.

Herr Kern, wie stehen Sie zur Forderung der Grünen nach einem Österreich-Ticket um 1095 Euro?

Kern: Die ÖBB haben eine eigene Österreich-Card, mit der man bereits ab drei Euro pro Tag das gesamte ÖBB-Zugangebot nutzen kann. Das belohnt Vielfahrer. Wir sind gerne bereit für die Umsetzung weiterer Maßnahmen, aber es braucht dafür die Finanzierung – im konkreten Fall einen dreistelligen Millionenbetrag.

Frau Minister, Ende September wird gewählt. Sie werden offenbar immer stärker zum zweiten SPÖ-Wahlkampfmanager. Fürchten Sie nicht, dass die ÖBB damit in den Wahlkampf hineingezogen werden?

Wer anschafft, muss auch zahlen
ÖBB-Chef Christian Kern mit Doris Bures
Bures:Wenn man in den Mittelpunkt stellt, was in den letzten fünf Jahren bei den ÖBB gelungen ist, habe ich nichts dagegen. Wir haben mit einer ÖBB-Reform begonnen. Und heute sehen wir, dass wir auf gutem Weg sind. Wir haben Zuwächse bei den Passagierzahlen, Verbesserungen bei der Pünktlichkeit und bei Infrastrukturinvestitionen eine professionelle Abwicklung. Wir liegen bei allen Projekten exakt im Zeit- und Kostenplan.

Ein kleines Scharmützel gab es bereits: Die SPÖ fordert im Wahlprogramm eine Beschränkung der Vorstandsgagen im öffentlichen Bereich. Die ÖVP meint, man solle gleich bei den ÖBB anfangen.

Bures: Wir haben ein klares System bei den Gagen von Geschäftsführern. Aber ich halte nichts von Zurufen. Jeder soll seinen Bereich so optimal wie möglich aufstellen.

Herr Kern, die ÖBB waren immer ein Politikum, etwa bei Postenbesetzungen. Ist es mühsamer als in anderen Firmen?

Kern: Die ÖBB haben eine enorme Aufmerksamkeit. Es erscheinen jährlich rund 25.000 gedruckte Artikel über die ÖBB. Ruhe gibt es nie. Aber ich würde meinen, dass Aufsichtsrat und Vorstand genauso professionell geführt werden wie in jedem anderen Unternehmen auch.

Die ÖBB haben für 2012 einen Vorsteuergewinn von 66,5 Millionen vermeldet. Kann man von Gewinn sprechen, wenn der Steuerzahler jährlich 2,5 Milliarden Euro in die ÖBB steckt?

Kern: Selbstverständlich. Wir erhalten vom Steuerzahler Geld für den Ausbau der Infrastruktur oder nehmen es mit Staatsgarantie auf den Kapitalmärkten auf – rund zwei Milliarden pro Jahr. Das hat keinen Einfluss auf unseren Gewinn. Zusätzliches Geld erhalten wir für die Verkehrsbereitstellung auf Strecken, die man nicht gewinnbringend betreiben kann. Das ist international üblich – selbst der Euro-Tunnel von London nach Paris macht trotz 80 Prozent Marktanteil Verluste.

Auf der Weststrecke hat sich gezeigt, dass die ÖBB dank Konkurrenz besser geworden sind. Wäre eine Konkurrenz auf der Südbahn nicht sinnvoll?

Bures: 2025 planen wir die Verkehrsfreigabe der Südbahn. Wenn sie wie geplant ausgebaut wird, gehe ich davon aus, dass private Mitbewerber kommen.

Kern: Derzeit wäre es für einen privaten Anbieter aber Kamikaze, auf der Südbahn zu fahren. Selbst auf der Westbahn ist es schwer, Geld zu verdienen.

Herr Kern, stört es Sie, wenn das Finanzministerium aufschlüsselt, dass jeder Österreicher 4,4 Prozent seiner Steuern für die ÖBB zahlt?

Kern: Die Rechnung ist nicht korrekt. In dieser Zahl stecken etwa die Pensionszahlungen an Ex-ÖBB Mitarbeiter. Die hält man anderen Bundes-Unternehmen nicht vor. Zudem muss angerechnet werden, dass wir der größte Steuerzahler des Landes sind und jährlich 800 Millionen Steuern zahlen.

Frau Minister, die ÖBB weisen derzeit 18 Milliarden Euro an Schulden auf. Wie sollen die abgebaut werden?

Bures: Das sind nicht Schulden, sondern Investitionen in Werte. Weil wir Weitblick beweisen, werden noch unsere Ururenkel die Infrastruktur nutzen. Und es gibt ein Finanzrahmengesetz, wo wir bis zum Jahr 2074 definiert haben, wie sich die Investitionen in die Infrastruktur auswirken.

Das heißt, wir zahlen bis 2074 die ÖBB-Schulden zurück?

Bures: 2074 haben wir alle Investitionen in die großen Bahnkorridore finanziert. Der Nutzen reicht aber noch viele Jahrzehnte darüber hinaus.

Kern: Volkswirtschaftlich werden Werte für Generationen geschaffen. Das Geld der Steuerzahler wurde nicht von hungrigen Eisenbahnern verfrühstückt, sondern sinnvoll investiert.

Anders als etwa beim Flughafen Wien hat die ÖBB bei ihren Großbaustellen noch keinen Baukosten-Skandal gehabt. Wird das so bleiben?

Kern: Wir bauen keine Fertigteilhäuser. Das sind hochkomplexe Projekte. Aber die Kosten-Abweichung über alle Projekte im Rahmenplan liegt bei einem Prozent. Wir haben international einen hervorragenden Ruf.

Frau Minister, die Regierung hat drei Konjunkturpakete geschnürt und immer in die Bahn investiert. Wird da nicht überdurchschnittlich viel in Schienen und Beton investiert statt in Bildung oder Forschung?

Bures:Nein. Für die Forschung haben wir letztes Jahr ein Paket von 110 Millionen Euro geschnürt. Bei den Konjunkturpaketen 2008 haben wir gesehen, dass genau die Schieneninvestitionen für Wachstum sorgen. Fast 80 Prozent der Wertschöpfung aus Bahninvestitionen landen bei kleinen und mittleren Unternehmen. Es geht nicht darum, Stahl und Beton in die Landschaft zu legen. Wir werden Verkehr ermöglichen, werden noch Züge kaufen und das Angebot erweitern.

Eine Großbaustelle ist auch der Brennerbasistunnel. Wie sieht die Finanzierung aus?

Bures: Der Brennerbasistunnel wird einmal der längste Eisenbahntunnel der Welt. Wir rechnen mit Kosten von zehn Milliarden Euro, die sich Italien und Österreich teilen. Von den fünf Milliarden für Österreich soll ein Drittel aus EU-Förderung kommen, ein Drittel aus der Querfinanzierung von der Straße und ein Drittel aus dem Budget.

Herr Kern, Sie haben zuletzt geklagt, dass nach dem Aus für Frühpensionierungen das Durchschnittsalter ihrer Mitarbeiter kräftig steigt. Droht den ÖBB die Überalterung?

Kern: Unser Altersschnitt liegt bei 43 Jahren – und wird bis 2020 auf 47 Jahre steigen. Daher wollen wir versuchen, unsere Mitarbeiter länger gesund und leistungsfähig im Unternehmen zu halten.

Braucht die Bahn eine Einstellungswelle?

Kern: Das wird rechtzeitig passieren müssen. Aber genauso müssen wir in ältere Mitarbeiter investieren.

Frau Minister, sind Sie zufrieden mit ÖBB-Chef Kern?

Bures: Wir haben die Schwerpunkte für die Verkehrspolitik klar festgelegt. Die Umsetzung wird vom Vorstand professionell erledigt. Ich denke, dass wir gut aufgestellt sind. Die Zahlen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ihnen wird immer wieder ein Wechsel in die Wiener Landespolitik nachgesagt. Lust auf Tapetenwechsel?

Bures: Ich habe vor fünf Jahren dieses interessante Ressort übernommen. Hier kann man etwas bewegen und verändern. Wenn ich wieder die Chance bekomme, würde ich gerne Verkehrsministerin bleiben.

Mitarbeiter

2012 sank die Zahl der Mitarbeiter erstmals knapp unter die Marke von 40.000. Zusätzlich bilden die ÖBB 1800 Lehrlinge aus.

Schwarze Zahlen

Die ÖBB konnten 2012 endlich wieder schwarze Zahlen schrei- ben: Nach -27,9 Mio. Euro 2011 drehte das Vorsteuerergebnis auf 66,5 Mio. Alle drei Teilkonzerne (Personenverkehr, Güterverkehr und Infrastruktur) schafften ein Plus.

Personen- und Güterverkehr

Die Bahn beförderte 2012 rund 224 Millionen Passagiere (+7 %). Mit dem ÖBB-Postbus fuhren zusätzlich 240 Millionen Kunden. Die noch nicht ganz sanierte Rail Cargo Austria (RCA) beförderte im Vorjahr 113 Millionen Tonnen auf der Schiene.

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