Was sich in den Klassen ändern soll

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Braucht es "Deutsch vor Schuleintritt" und mehr Disziplin in der Schule? Was sagen KURIER-Leser?

Wenn es im Schulbereich ein von allen Seiten anerkanntes Problem gibt, dann jenes, dass zahlreiche Schülerinnen und Schüler die Schulpflicht abschließen, ohne sinnerfassend lesen zu können oder die Grundrechnungsarten nicht zu beherrschen.

No-future-Kids

Laut dem letzten verfügbaren Nationalen Bildungsbericht 2015 können rund 20 Prozent der Pflichtschüler nicht sinnerfassend Lesen. Und rund sieben Prozent sind nach der Pflichtschule weder in einer Ausbildung, noch berufstätig. Diese Quote ist zwar seit Jahren rückläufig und unter dem EU-Schnitt (9,8 Prozent), bleibt aber für den Staat ein Problem– Stichwort: Generation AMS. Das hat auch damit zu tun, dass der Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache in den NMS in Wien bei fast 70 Prozent liegt.

Offen ist, wie die nächste Regierung darauf reagieren wird. ÖVP-Bundesparteiobmann Sebastian Kurz hat das bildungspolitische Credo "Deutsch vor Schuleintritt" ausgegeben. Wie sehen das die Praktiker? "Ich denke schon, dass das den Kindern sehr, sehr helfen würde", meint Andrea Walach. Die Wiener NMS-Direktorin leitet eine Schule in einem Bezirk mit einem hohen Migrantenanteil, sie hat jahrzehntelange Erfahrung mit schulpflichtigen Kindern ohne Deutschkenntnisse. "Das würde den Kindern nicht nur im Unterricht helfen, sondern auch im Alltag, um sich überhaupt orientieren zu können." Walach ist es zudem ein Anliegen, möglichst noch im Kindergarten und in der Volksschule mit dem Deutschlernen zu beginnen. "Das geht leichter, solange der Wortschatz klein ist. In der Unterstufe wird das ungleich schwieriger."

Ideen gibt es aber auch für den Übergang ins Berufsleben: "’Ich geh AMS’, ist ein Berufswunsch den wir nicht selten von Schülern auf die Frage hören, was sie nach der Schule machen wollen", erzählt Andreas Lechner. Gemeinsam mit Joseph Kap-herr hat er den Verein "Sindbad" ins Leben gerufen: "Oftmals kann Elternhaus und Schule bei der weiteren Ausbildungswahl nicht ausreichend unterstützen. Bei Sindbad bekommen 14-jährige NMS-Schüler einen persönlichen Mentor an die Seite, der ihnen hilft, Perspektiven aufzeigt und mit ihnen über 18 Monate an der konkreten Zukunftsplanung arbeitet. Derzeit arbeiten bei uns 150 Mittelschüler mit einem persönlichen Mentor." ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat in seinem Wahlprogramm genau so ein Mentor-Mentee-Programm als Lösungsansatz.

Bildungspflicht

Ihm ist aber auch der Grundsatz "Bildungspflicht statt Schulpflicht" ein Anliegen. Die Schulpflicht regelt nur, dass alle neun Jahre lang die Schule besuchen müssen, jetzt könnte auch ein positiver Abschluss verpflichtend werden. Direktorin Walach sieht hier grundsätzlich Handlungsbedarf. "Bei der Bildungspflicht würde ich schon in der Primarstufe ansetzen, kein Kind soll die Volksschule verlassen, das nicht sinnerfassend Lesen kann." Auch nach der NMS fände sie eine Bildungspflicht gut, "wenn notwendig auch in einem modularen Kurssystem".

Für Pflichtschulgewerkschafter Paul Kimberger, ist klar: "Der Leistungsgedanke ist uns in der Schule abhanden gekommen. Eltern, Lehrer und auch Schüler wollen, dass der wieder in die Klassenzimmer einzieht. Lernen funktioniert nicht ohne Anstrengung, das gilt für das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf genauso wie für Hochbegabte."

Disziplin

Außerdem geht ihm neben dem Leistungsgedanken noch etwas ab: "Wir müssen uns in der Schule wieder aufs Wesentliche besinnen: Aufs Lesen, Schreiben, Rechnen und darauf, respektvoll miteinander umzugehen." Welche Maßnahmen er sich vorstellen kann, wenn Schüler zum Beispiel dauernd stören oder zu spät kommen?

"Zum Beispiel Time-out-Klassen, für jene, die permanent die anderen stören. Dabei sollten sie von Spezialisten betreut werden", sagt der Lehrergewerkschafter. "Unsere Welt ist geregelt. Für das Zusammenleben in der Schule fehlt dieses Regelwerk. Das sollte Schwerpunkt einer Bildungspolitik sein."

Hinweis, 16.40 Uhr: Bei der Frage zur Gesamtschule ist der Redaktion eine Unachtsamkeit bei den Begrifflichkeiten passiert. Wir bedauern den Fehler und haben die Frage aus dem Artikel entfernt.

Nach jahrelangem Tauziehen verabschiedete das Parlament im Juni eine Bildungsreform mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen. Dabei ging es um drei Projekte: Ein deutlicher Ausbau der Schulautonomie (aber keine Vollautonomie, etwa beim Personal); eine Umwandlung der Schulbehörden hin zu neun Bildungsdirektionen, das sind Mischbehörden mit Kompetenzen beim Bund und bei den Ländern; und grünes Licht für Vorarlberg, in diesem Bundesland kann die Gemeinsame Schule der bis 14-Jährigen ab 2025 umgesetzt werden, sofern die betroffenen zehn Gymnasien dem auch zustimmen.

Nun bahnt sich ein Regierungswechsel an, was die Frage aufwirft, ob die umstrittene Reform gar nicht implementiert wird. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hatte sich über die Reform im Wahlkampf wiederholt abschätzig geäußert. Ist sie nun tot?

Im Bildungsministerium zeigt man sich grundsätzlich besorgt. Denn die Gesetzgebung war der kleinere Teil der Reform, nun muss die "Ausrollung" erfolgen, also das stufenweise Umsetzen der Reformschritte bis 2020. Ein skeptischer neuer Bildungsminister/Bildungsministerin kann das – letztlich einfach durch Untätigkeit – verhindern.

Die neue Koalition, so ÖVP und FPÖ handelseins werden, hätte nur mit den Stimmen der Neos auch eine Verfassungsmehrheit, um wesentliche Teile der Reform auch rückgängig zu machen.

Es kann aber sein, dass nur Teile der Reform rückgängig gemacht werden: Etwa die neuen neun Bildungsdirektionen zu reinen Länderbehörden zu machen, ohne Zugriff und Budgetkontrolle des Bundes. Oder aber jene Regelung, die von der Lehrergewerkschaft vehement abgelehnt wird – die Flexibilisierung der Klassen- und Gruppengrößen. Da findet sich nun nicht mehr die Klassenschülerhöchstzahl von 25 im Gesetz, um den Schulleitern eine echte autonome Gestaltung am Schulstandort zu ermöglichen.

Und die Gemeinsame Schule in Vorarlberg? ÖVP und FPÖ sprechen sich beide gegen dieses Schulmodell aus, auch wenn beide Landesparteien in Vorarlberg den Schritt begrüßen und im Landtag dafür gestimmt haben (nur ein Neos-Mandatar stimmte dagegen). Wenn es vom Bund aber keine Unterstützung gibt, droht auch dieses Projekt zu scheitern.

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