Was kann das neue Arbeitsprogramm der Regierung?

Die Unterschriften unter dem Arbeitsprogramm (Ausschnitt)
Bundeskanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner präsentierten nun ihr 35-seitiges Arbeitsprogramm. Was bringen die aktualisierten Maßnahmen der Regierung?

In der Präambel ihres neuen Arbeitsprogramms versprechen SPÖ und ÖVP, den Österreichern in den kommenden 18 Monaten zu beweisen, "dass wir diese Projekte geschlossen und gemeinsam abarbeiten". Man werde die präzisierten und erweiterten Projekte des Regierungsübereinkommens (hier zum Download) "entschlossen umsetzen".

Schlicht "Für Österreich" heißt das in zähen Verhandlungen erarbeitete Programm. Auf 35 Seiten werden Maßnahmen für

aufgelistet. Zudem sollen nun die steuerlichen Negativeffekte der sogenannten

beseitigt werden.

Das großteils mit zeitlichen Vorgaben ausgestattete Programm kostet vier Milliarden Euro, gegenfinanziert wird durch Einsparungen und erhoffte Effekte. 2,8 Milliarden Euro sollen durch Einsparungen, Minderausgaben und Umschichtungen aufgebracht werden; 1,2 Milliarden Euro hofft die Regierung durch Konjunktur- und Beschäftigungseffekte zu lukrieren. Noch ohne Details werden "kostendämpfende Maßnahmen" wie Verwaltungs- und Fördereffizienz, e-Government oder Einsparungen bei ausgegliederten Einheiten und Sachkosten angekündigt. Beschließen will die Regierung die Finanzierung "aller Maßnahmen" im Herbst 2017 im Rahmen des Finanzrahmengesetzes 2018-2021 und des Budgets 2018.

Als ein grundlegendes Ziel wird formuliert: "Wir wollen unser Land wirtschaftlich nach vorne bringen, die Klein- und Mittelbetriebe unterstützen, der Industrie bessere Rahmenbedingungen bieten und auf diesem Weg zusätzliche 70.000 Arbeitsplätze schaffen, über die konjunkturell entstehenden hinaus."

Was bringen die Maßnahmen für den Arbeitsmarkt?

  • Beschäftigungsbonus:

Für jeden zusätzlich geschaffenen Arbeitsplatz (Vollzeitäquivalent) – beginnend mit Juli 2017 – werden den Unternehmen in den nächsten drei Jahren 50 Prozent der Lohnnebenkosten erstattet.

Analyse: Hier kommt es sehr auf die genaue Ausgestaltung des Bonus an, etwa ob er nur für Arbeitslose gilt. Grundsätzlich kann Lohnsubvention zumindest kurzfristig positive Wirkungen auf die Beschäftigung haben, Garantie dafür gibt es aber keine. So kam es vor Jahren beim so genannten „Blum-Bonus“ zur Ankurbelung der Lehrlingsbeschäftigung zu zahlreichen „Mitnahmeeffekten“, das heißt, die Firmen hätten die Jugendlichen auch ohne Förderung eingestellt. Die Sache schafft auch viel Bürokratie, denn die „Zusätzlichkeit“ muss erst nachgewiesen werden, was bei einer hohen Dynamik des österreichischen Arbeitsmarktes etwa durch die Saisonalität im Tourismus gar nicht so leicht ist. Und: Diese Lohnnebenkostensenkung ist wirklich teuer, wie teuer kann im Vorfeld noch gar nicht abgeschätzt werden.

  • Einschränkung des innereuropäischen Arbeitsmarktzuzugs

Die Arbeitsmigration aus den EU-Ländern soll begrenzt werden. Die Regierung will eine Arbeitsmarktprüfung einführen, das heißt, nur wenn sich für eine offene Stelle kein geeigneter in Österreich gemeldeter Arbeitsloser findet, kann die Stelle an einen EU-Ausländer vergeben werden.

Analyse: Die Arbeitsmarktprüfung gab es schon vor der völligen Liberalisierung im Mai 2010, wäre also rasch zu implementieren und würde in den Branchen mit den höchsten Verdrängungswettbewerb wie etwa am Bau und in der Leiharbeit wohl positiv auswirken. Österreich würde damit aber EU-Recht brechen und braucht daher Verbündete in der EU, um eine Aufweichung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit zu erreichen.

  • Lockerung Kündigungsschutz 50+

Der so genannte besondere Kündigungsschutz für Ältere durch die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit soll ab Juli abgeschafft werden.

Analyse: Der so genannte Kündigungsschutz, der in Wirklichkeit gar kein Automatismus ist, gilt als eines der Haupt-Einstellhemmnisse für ältere Arbeitslose. Die Abschaffung bei allen Neueinstellungen dürfte sicher ein Anreiz für mehr Aufnahmen von Über-50-Jährigen sein. Sollte die Abschaffung auch für bestehende Dienstverhältnisse gelten, könnte es aber auch das Gegenteil bewirken und zu noch mehr Arbeitslosen bei den Älteren führen. Firmen scheuen nämlich wegen der Kündigungsanfechtung auch davor zurück, Über-50-Jährige zu kündigen bzw. bauen diese nur über "Sozialpläne" ab, um die Sozialwidrigkeit zu verhindern.

Was kann das neue Arbeitsprogramm der Regierung?
Austrian Chancellor Christian Kern (L) and Vice Chancellor Reinhold Mitterlehner address a news conference after a cabinet meeting in Vienna, Austria, January 30, 2017. REUTERS/Leonhard Foeger
  • Staatliche Ersatzjobs für ältere Arbeitslose:

Im Rahmen der „Beschäftigungsaktion 20.000“ sollen für über 50-jährige langzeitarbeitslose Menschen 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr in Gemeinden, über gemeinnützige Trägervereine und Unternehmen geschaffen bzw. gefördert werden. Verdrängungseffekte sollen vermieden werden.

Analyse: Die Arbeitslosigkeit steigt bei 55- bis 65-Jährigen stark an, für diese Gruppe ist es aber schwer, reguläre Arbeitsplätze zu finden. Die Maßnahme soll eine „Überbrückung“ bis zur Erreichung des Pensionsantrittsalters etwa durch Jobs bei geförderten sozialökonomischen Betrieben darstellen. Fraglich ist, ob es so viele gemeinnützige Jobs bei Gemeinden gibt, auch für Flüchtlinge sind diese bekanntlich schwer zu finden. 20.000 Arbeitsplätze sind aber keine so hohe Latte als die ursprünglich geplanten 40.000.

  • Mobilitätsprämie:

Arbeitslose, die einen Job annehmen, der über der Zumutbarkeit liegt, erhalten eine Förderung für Fahrtkosten- und Unterkunftskosten (Entfernungsbeihilfe). Diese Beihilfe gibt es schon jetzt, aber sie ist mit 203 Euro pro Monat gedeckelt. Diese Entfernungsbeihilfe kann bei doppelter Haushaltsführung auf 400 Euro pro Monat ausgeweitet werden.

Analyse: Die mangelnde Arbeitnehmer-Mobilität innerhalb Österreichs ist tatsächlich ein Problem bei der Jobvermittlung, insbesondere von Wien hinaus. Die Entfernungsbeihilfe kann hier ein Anreiz sein, insbesondere für Junge, sich doch in einem anderen Bundesland umzusehen.

  • Zumutbarkeitsregeln:

Aufstockung der generellen Mindestverfügbarkeit von 16 auf 20 Stunden, weil vom AMS in der Praxis unter 20 Stunden kaum Jobs vermittelt werden können.

Analyse: Eine schon lange diskutierte, sehr praxisrelevante Maßnahme, die vor allem Mütter nach der Karenz betreffen wird. Wohl auch unter den Sozialpartnern unstrittig.

  • Vereinfachung von Mehrfachversicherungen:

Personen, die mehrere versicherungspflichtige Tätigkeiten ausüben, wie zum Beispiel: echter Dienstnehmer und Nebenerwerbslandwirt, entrichten mehrfach SV-Beiträge und sind mehrfach versichert. Derzeit müssen sie im Nachhinein eine Beitragserstattung beantragen, ab September soll dies automatisch durch die jeweilige Sozialversicherung erfolgen.

Analyse: Eine längst fällige Maßnahme, die teure Doppelversicherungen verhindern soll. Leicht umsetzbar.

(Anita Staudacher)

Und was sagen die vielzitierten Menschen von der Straße?

Was bringt die Abschaffung der Kalten Progression?

Ein Kernstück des neuen Arbeitsprogramms ist die geplante Beseitigung der Kalten Progression. Kurz gesagt: Die Inflation soll künftig nicht mehr das wegfressen, was eine Steuerreform den Bürgern mehr im Börsel lässt. Aus Sicht des Steuerzahlers ist das sehr zu begrüßen.

Entlastet werden durch diese Lösung alle, die Einkommenssteuer zahlen. Die Geringverdiener erhalten dabei prozentuell betrachtet mehr als die Spitzenverdiener. Diese Inflationsanpassung wirkt nämlich wie eine Art Fixbetrag, den alle kriegen. Und zwar sogar jene, die von der kalten Progression gar nicht betroffen sind, weil sie (nominell) weniger verdienen als im Jahr davor (etwa wegen weniger Überstunden, Teilzeit oder ähnliches).

Weil nur die ersten beiden Stufen auf jeden Fall angepasst werden sollen, sind die Ausfälle für den Fiskus geringer als bei früheren Berechnungen – ginge die Fünf-Prozent-Inflations-Abgeltung nämlich über alle Stufen, würden im Staatssäckel schlagartig 1 bis 1,3 Milliarden Euro fehlen. Offen sind aber noch wichtige Details, etwa welcher Inflationswert gilt und ab wann die Inflationsberechnung startet.

Bis es zum ersten Mal so weit ist, dass die Abgeltung der Kalten Progression greift (weil 5 Prozent kumulierte Inflation erreicht sind), könnten gut und gerne vier bis fünf Jahre vergehen. Und dann wäre ohnehin bereits wieder eine reguläre Steuerreform fällig. Der Spielraum dafür ist dann aber eingeschränkt, merkt Peter Brandner, Ökonom der Denkfabrik Wei[s]se Wirtschaft, kritisch an: „Denn damit wäre der Großteil an Verhandlungsmasse, den es für eine Tarifreform braucht, schon im Vorhinein vergeben.“

(Hermann Sileitsch-Parzer)

Was gibt es Neues in der Bildungspolitik?

  • Breitbandinternet

Fix ist der Ausbau von Breitbandinternet an allen Schulen. Theoretisch gibt es diesen jetzt schon in 73 Prozent aller Pflichtschulen, praktisch können kaum Schüler und oft nicht einmal die Lehrer auf den kabellosen Datenhighway zugreifen. Bezahlt werden soll das über „Kooperationsmodelle mit privaten Anbietern“, aber auch über die „Breitbandmilliarde“, von der noch 2017 in einer ersten Ausschreibung 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

  • Tablets für Schüler

Auch bei den Gratis-Laptops und den Gratis-Tablet-PC, die für alle Schüler der fünften Schulstufe (Tablet-PC), beziehungsweise für alle Schüler der neunten Schulstufe (Laptop) kommen soll, scheint alles beschlossen. Allerdings wird noch nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht. Im Pakt ist die Rede von möglichen PPP-Modellen (Private-Public-Partnership, vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen der Privatwirtschaft), aber auch eine Beschaffung durch die BBG (Bundesbeschaffungsagentur), also auch Kooperationen mit einzelnen Anbietern (wie Apple oder Samsung) soll ausgelotet werden. Erste, inoffizielle Schätzungen des Bildungsministeriums gehen von Kosten von rund 100 Millionen Euro aus, da war aber noch nicht vorgesehen, dass auch den Pädagogen ein Computer zur Verfügung gestellt werden soll.

  • Digitale Bildung

Bereits in der vergangenen Woche wurde kommuniziert, dass „Digitale Grundausbildung“ neu in den Schulen unterrichtet werden soll, bereits ab 2017/2018. Die Pflichtschullehrer können zur Fortbildung in dieser neuen Kompetenz verpflichtet werden, die AHS-Lehrer nicht.

  • Schulautonomie

Verschoben ist das Großprojekt zur Schulautonomie. SPÖ-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid setzte ursprünglich auf eine politische Einigung vor Weihnachten, dann sollte im Jänner Konsens vorliegen, jetzt ist vorgesehen, dass im April die Reform den Ministerrat passieren soll. Start der Umsetzung, zumindest teilweise, ist damit nicht mehr das Schuljahr 2017/2018, sondern der Jänner 2018. Gestritten wird noch über einige Details, offen ist die Finanzierung von Großprojekten wie dem Chancenindex, der Schulen mit hohem Migrantenanteil mehr Ressourcen für Förder- und Sprachlehrer bereitstellen soll. Gröbere Probleme sind seitens der Lehrergewerkschaft zu erwarten, die seit Montag gegen die Schulautonomie mobilisieren, da sie „Zentralismus“ und ein Sparpaket vermuten.

  • Zweites Kindergartenjahr

Unter Vorbehalt der Finanzierung wurde – einmal mehr – das verpflichtende zweite Kindergartenjahr beschlossen. Familienministerin Sophie Karmasin wurde mit der Realisierung des Projekts bereits im Herbst 2015 beauftragt, inzwischen soll sie Verhandlungen mit den Ländern aufgenommen haben.

  • Studienplatzfinanzierung

Die Studienplatzfinanzierung, die bereits in mehreren Studien gilt, soll flächendeckend Jänner 2019 auf alle Studien ausgedehnt werden. Das heißt: Es wird eine klare Beschränkung der Studienplätze in jedem Fach geben, dafür soll es keine Kurse oder Pflichtübungen geben, die so überlaufen sind, dass man sich gar nicht anmelden kann.

  • Lehrlinge

Nicht vergessen will die Regierung auch auf die Lehrlinge. Fix ist etwa, dass in den Betrieben die Vorbereitungskurse auf die Lehrabschlussprüfung aus den Mitteln der betrieblichen Lehrstellenförderung bezahlt wird – ab Herbst 2017.

(Bernhard Gaul)

  • Überwachung

Im Bereich der Sicherheit beabsichtigt die Regierung, eine Reihe neuer Überwachungsmöglichkeiten einzuführen.

Bei Erwerb eines Wertkartenhandys ist in Zukunft ein Ausweis vorzulegen.

Die Videoüberwachung wird ausgeweitet, es soll eine Kooperation mit ÖBB, Asfinag und anderen staatsnahen Unternehmen über das Speichern und Herausgeben von Videomaterial aus Überwachungskameras geben.

Den Behörden wird erlaubt, auch internet-basierte Kommunikation wie Skype und Whatsapp zu überwachen.

  • Justiz

Der Justizminister wird die Einführung einer elektronischen Fußfessel für „Gefährder“ unterstützen. Das gilt für jene Personen, die „abstrakt“ als potenzielle Terroristen gelten, gegen die jedoch kein ausreichend konkreter Tatverdacht vorliegt, um sie in Untersuchungshaft zu nehmen.

Höhere Strafen gibt es in Zukunft bei tätlichen Angriffen auf öffentlich Bedienstete, worunter auch Schaffner in Zügen fallen.

Höhere Strafen gibt es künftig auch für sexuelle Belästigung in Gruppen.

Als Lehre aus dem Vorfall auf dem Wiener Brunnenmarkt, wo ein bekannt psychisch Kranker eine Frau ermordete, soll in Zukunft der Informationsfluss zwischen Ärzten und Sicherheitsbehörden verbessert werden.

  • Grenzschutz

Zum Schutz der Binnengrenze wird die Assistenzleistung des Bundesheers für das Innenministerium ausgebaut. So sollen Soldaten künftig

  • intensiv gemischten Streifendienst mit der Polizei machen
  • die grüne Grenze verstärkt aus der Luft überwachen
  • die Polizei beim Registrieren und Zurückweisen von Fremden unterstützen
  • bei der Kontrolle von LKW und Güterwaggons helfen

Integration

  • Integrationsjahr

Die größte Neuerung ist ein verpflichtendes Integrationsjahr für Asylberechtigte und auch Asylwerber „mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit“, wie es in dem Regierungspapier heißt.

Wer nicht am Integrationsjahr teilnimmt, dem wird die jeweilige Sozialleistung (Grundversorgung, Mindestsicherung) gekürzt. Das Integrationsjahr beinhaltet Deutschkurse, Werte- und Orientierungskurse, Feststellen von Fähigkeiten, Qualifizierung sowie Arbeitstraining im Sinne einer gemeinnützigen Tätigkeit bei einem Zivildienst-Trägerverband. Das Integrationsjahr darf nur abgekürzt werden, falls der Asylwerber einen regulären Arbeitsplatz erhält.

  • Eingliederungshilfe

Abgesehen vom Integrationsjahr werden für Unternehmen, die Flüchtlinge beschäftigen, die sogenannten „Eingliederungshilfen“ ausgebaut.

  • Rückkehrhilfe

Ausgebaut werden aber auch die Rückkehrhilfen für Migranten in ihre Heimat.

  • Verbot der Vollverschleierung

Im öffentlichen Raum wird künftig ein Vollverschleierungsverbot gelten. Im öffentlichen Dienst wird für Uniformträger, aber auch für Richter und Staatsanwälte, ein „Neutralitätsgebot“ festgeschrieben: Sie dürfen keine Kopftücher oder Turbane tragen.

Auf KURIER-Nachfrage hieß es: Es gibt in Österreich keine einzige Polizistin, keine Richterin oder Staatsanwältin, die Kopftuch trägt. Die zuständigen Stellen sagen unisono: "Die Frage hat sich noch nie gestellt."

(Daniela Kittner/Raffaela Lindorfer)

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