Was es bedeutet, Alleinerzieherin zu sein

Was es bedeutet, Alleinerzieherin zu sein
Die Politik kann sich in Sachen Unterhaltsgarantie nicht einigen. Kurz vor der Wahl rückt das Thema in den Fokus - ohne Ergebnis. Sabine ist Alleinerzieherin und erzählt uns, wie schwierig und frustrierend die Situation sein kann.

Sabine ist 33 Jahre alt. Ihre Tochter Johanna hat gerade den sechsten Geburtstag gefeiert und im September mit der Volksschule begonnen - hier im 16. Wiener Gemeindebezirk, wo die beiden auf 40 Quadratmetern auch wohnen. Sabine ist seit ungefähr zwei Jahren Alleinerzieherin. Seit zwei Jahren ist sie von ihrem Ex-Mann geschieden. Seit zwei Jahren streitet sie mit ihm wegen der Alimente, die er meist nicht zahlen kann oder will. In solchen Fällen müsste die Mutter den Unterhalt - notfalls auch gerichtlich - einfordern. Davor schrecken jedoch viele zurück. Aus unterschiedlichen Gründen. Meist jedoch, weil sie die „Beziehung“ zum Vater nicht noch mehr zerstören möchten, auch im Sinne des Kindes. Ähnlich empfindet Sabine. Doch es geht an diesem Punkt nicht mehr anders, sagt Sabine.

Oft ist sie schockiert darüber, wie wenig der Vater an Johannas Leben teilhaben möchte. „Er hat sich einfach in Luft aufgelöst. Wenn ich Glück habe, nimmt er sie an zwei Freitagen im Monat. Er sagt, er schafft es nicht öfter.“ Sabine weiß ohnehin, dass er nicht der sorgsamste Vater ist und mittlerweile sagt die kleine Johanna selbst, dass sie gar nicht so oft zu ihm möchte. Das macht die Situation aber nicht einfacher.

Kaum eine Minute für sich

Für Sabine bedeutet das, fast rund um die Uhr ein Kind zu betreuen. Kaum eine Minute für sich selbst zu haben. Es gibt auch keine Oma oder dergleichen, die spontan einspringen könnte. Geld für eine Fremdbetreuung ist nicht da. Die Nachmittagsbetreuung in der Schule war ausgebucht und hätte außerdem 160 Euro gekostet. „Vielleicht wird es nächstes Jahr mit Aussicht auf Förderung von Seiten der Stadt Wien ja etwas“, sagt Sabine.

Als Johanna noch kleiner war, musste sie das Kind sogar zum Müll runtertragen anziehen und mitnehmen, weil man ein Kleinkind nunmal keine fünf Minuten alleine lassen könne. „Es gab immer wieder mehrere Monate, wo sie ausschließlich bei mir war. Ich habe Einladungen zu Hochzeiten abgesagt, weil ich niemanden hatte, der auf sie aufpassen konnte. Zuletzt habe ich mich schon für gar nichts mehr interessiert, weil es ohnehin nie ging.“ Freundinnen besuchen sie am Abend, wenn Johanna schläft. „Alleine lassen kann ich sie einfach noch nicht.“ Die soziale Isolation frustriert Sabine sehr, „aber Besserung ist in Sicht. In drei Jahren kann ich sie dann vielleicht schon zeitweise unbeaufsichtigt lassen.“

Armut und Ausgrenzung

Wenn Johanna in der Schule ist, kann Sabine wichtige Wege oder andere Erledigungen in dieser Zeit unterbringen. Vielleicht auch mal mit einer Freundin frühstücken oder endlich wieder Sport machen. Sabine hat bis zu Johannas Geburt Vollzeit im Verkauf gearbeitet. Sie wollte nach der Karenz wieder einsteigen, dann kam aber die Phase der Trennung und folglich viele Probleme. Auch psychische. Derzeit bezieht sie Notstandshilfe, Kinderbeihilfe und – wenn der Vater von Johanna es schafft - noch rund 150 Euro Unterhalt. Somit wären das im Maximalfall rund 1100 Euro. Meistens sind es aber nur rund 900 Euro pro Monat. „Ich muss wirklich sehr gut kalkulieren und passieren darf nichts Unvorhergesehenes“. Der Geschirrspüler ist seit einem halben Jahr kaputt. Eine Reparatur oder einen neuen kann sie sich nicht leisten. „Aber gut, das ist nicht überlebensnotwendig. Ich werde ihn vermutlich durch ein Kästchen ersetzen“, sagt Sabine. Sie selbst war das letzte Mal vor acht Jahren auf Urlaub, ihre Tochter Johanna noch nie. „Daran wird sich leider auch nichts ändern, ich wüsste nicht wie. Selbst wenn ich mir die billigste Variante ausrechne, damit sie einmal das Meer sehen kann: Ein paar Tage Italien, mit Zug und nur eine günstige Pension, so wären selbst das 400 Euro. Dafür müsste ich mir ein Jahr lang 40 Euro auf die Seite legen.“ Oft geht nicht einmal das.

Was es bedeutet, Alleinerzieherin zu sein

Schon der Kauf der Schultasche und alle Dinge, die rundherum zum Schulstart zu besorgen waren, haben Sabine bereits Monate zuvor Kopfzerbrechen bereitet. Es musste an anderen Stellen gespart werden. Denn Sabine hat auch keine Familie, die finanziell aushelfen könnte.

Laut Statistik Austria verzeichnen Ein-Eltern-Haushalte – dies sind vorwiegend alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern – mit einer Quote von 38 Prozent die höchste Ausgrenzungsgefährdung. Über 60.000 Alleinerzieherinnen sind laut Schätzungen des Frauenministeriums armutsgefährdet. Die Armutsgefährdungsschwelle betrug 2016 14.217 Euro für einen Einpersonenhaushalt, das sind 1.185 Euro pro Monat (12 Mal).

Sabine nickt zustimmend. „Wenn ich mir anschaue, was Johanna gerne alles machen würde, macht mich das sehr traurig. Denn das geht leider nicht: Ballett, Reiten oder ein Musikinstrument. Ich finde, aber das sollte möglich sein für mein Kind.“ Wenn die Leute von Armut und Ausgrenzung sprechen, so ginge es oft beispielsweise um Obdachlose. Aber auch ihre Situation sei eine Form von Armut, doch oft werde sie kritisiert. "Ich sei undankbar oder faul und wir würden schließlich ohnehin nicht verhungern. Klar, aber hier geht es um Chancen."

„Mein Kind soll unbeschwert sein“

Kleidung wird im Second Hand Shop gekauft. Sabine hat da einen ganz Besonderen, wie sie sagt, im fünften Bezirk gefunden. „Das Gewand sieht wirklich aus wie neu“, sagt sie stolz und zeigt Handy-Fotos von Johannas neuem Mantel. Wenn die kleine Johanna etwas haben möchte, dann schaut Sabine, dass sie es irgendwie bewerkstelligt. „Ich selbst stecke sehr viel zurück, aber ich mache es auch gerne. Mein Kind kann ja am allerwenigsten für unsere Situation. Es steht ihr zu, glücklich zu sein und ihre Kindheit sorgenfrei und unbeschwert ausleben zu dürfen.“

Was es bedeutet, Alleinerzieherin zu sein

Sabine selbst bräuchte schon lange eine Zahnbehandlung, die aber unmöglich erschwinglich ist. „Dafür spare ich derzeit jeden Euro.“ Auch über die Wohnsituation macht sie sich natürlich Gedanken. Jetzt, wo Johanna älter wird und vielleicht mehr Privatsphäre und Freiheit braucht. „Ich liebe unsere süße, kleine Wohnung und ich bin heilfroh, dass ich sie für monatlich 300 Euro bekommen habe, aber dennoch wird es später sehr eng werden.“ Eine Schiebetür trennt Johannas Kinderzimmer vom Wohnzimmer, in dem Sabine auf einer Ausziehcouch schläft.

So viel wie möglich unternehmen

Am Anfang des Monats machen Sabine und Johanna stets einen Großeinkauf. Da Wichtigste und Teuerste zuerst. Auch Miete und Strom. Wann Sabine sich das letzte Mal einen Friseurbesuch geleistet hat, weiß sie gar nicht mehr. Oder Tanzen gehen, Essen gehen – all das gibt es in ihrem Leben derzeit nicht. Auch über das Thema Ernährung macht Sabine sich viele Gedanken. „Sobald ich wirklich qualitativ hochwertige Lebensmittel vom Markt oder im Bioladen kaufe, würde das viermal so teuer werden. Vollkornnudeln kosten dort für 250 Gramm fast vier Euro. Im Diskont-Supermarkt bekomme ich einen Kilo normale Nudeln um 80 Cent. Vom Fleisch will ich gar nicht erst anfangen.“ Selbstverständlich mache sie sich Gedanken darüber, wie gesund sie ihr Kind ernährt. Sichtlich genervt von der Frage fügt sie hinzu: „Ich weiß, ich bin nicht in einem oberen Milieu geboren. Aber diese Stigmatisierung der Arbeiterklasse und dahingehend ständig unterstelltem fehlenden Bewusstsein für ein gesundes Leben oder unterlassenen Aktivitäten mit meinem Kind, das ärgert mich.“ Denn Sabine und Johanna unternehmen so viel wie nur möglich. „Bei mir gab es nie zuhause sitzen und fernschauen.“

Was es bedeutet, Alleinerzieherin zu sein

In Wien seien beispielsweise alle Museen für Kinder und Jugendliche gratis. „Das ist wirklich toll. Ich hole mir halbjährlich den Kulturpass.“ Der Kulturpass ist ein Ausweis zur ermäßigten oder kostenlosen Teilnahme an Kulturveranstaltungen für Menschen mit niedrigem Einkommen. „Seit Johanna drei Jahre alt ist besuchen wir regelmäßig jedes Museum und jede Ausstellung.“

Der Plan der Zukunft

Sabine möchte sobald wie möglich wieder arbeiten gehen. „Ich muss unsere finanzielle Situation verbessern. Aber einfach ist das nicht.“ Wenn es nicht unbedingt sein muss, möchte sie nicht wieder zurück in den Verkauf, sondern eine Weiterbildung als kaufmännische Angestellte machen. „Ich würde sehr gerne im Büro arbeiten.“ Beginnen möchte sie mit 30 Stunden Teilzeit, danach Vollzeit. Gerade sieht sie sich nach Möglichkeiten um, um das hinzubekommen. „Alleine ist es wirklich schwierig. Kinder sind leicht und oft krank. Wenn Johanna Fieber oder eine Grippe hat, dann kann das über eine Woche dauern. Die Kleinen sind auch so anfällig. Da muss der Chef in meinem Fall schon sehr nachsichtig sein.“

Eine weitere Möglichkeit, die Situation zu verbessern, wäre freilich auch ein neuer Partner. Jemand, der Sabine sowohl in der Erziehung als auch finanziell unterstützen kann. Sie winkt lächelnd ab. „Das ist die große unbekannte Variable, auf die kann ich mich nicht verlassen.“ Abgesehen davon sei es in ihrer Lage fast unmöglich, einen Mann kennenzulernen. Per Online-Dating hat Sabine es probiert, weil Ausgehen ja ohnehin kaum eine Option ist. Dreimal hatte sie Verabredungen. „Dann triffst du den Mann einmal und sagst, wir sehen uns in zwei Wochen wieder, wenn ich wieder einen Abend frei habe, da macht doch keiner mit.“ Außerdem würde sie sich nie einen fremden Mann zu sich und ihrer Tochter nach Hause einladen, „das würde ich mich nicht trauen“.

Vor zwei Jahren wurde aus Sabine mit einem Schlag Mutter und Vater. Hinzu kam das Kompensieren des Traumas der Scheidung, Johanna war in dieser Zeit sichtlich sehr mitgenommen, hat sehr schlecht geschlafen. „Bei jeder Entscheidung, die wir früher zu zweit getroffen haben, sei es die Schulwahl, ein Arztbesuch oder wo wir die Grenzen setzen, stehe ich nun alleine da.“ Zudem habe man zu zweit schlichtweg mehr „Nerven“, weil man sich mit dem Kind und der Aufmerksamkeit abwechseln kann. „Es ist wirklich sehr anstrengend, alles alleine zu bewältigen.“

Keine Einigung im Nationalrat

Die heimische Politik beschäftigt sich derzeit intensiv mit einer Lösung zur staatlichen Unterhaltsgarantie für Frauen, deren Ex-Partner den Kindes-Unterhalt nicht zahlen wollen oder zahlen können „Wir fordern alle Parteien auf, sich auf den Antrag zu einigen, der unseren Forderungen am nächsten kommt.“, sagte Gabriele Fischer, Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA). Jana Zuckerhut, auch von der ÖPA, legte nach: „Wir fordern eine echte Unterhaltsgarantie für die Kinder von Alleinerziehenden. Dies muss in Höhe der Regelbedarfssätze und in der Dauer gebunden an die Familienbeihilfe sein – wie es auch der Unterhalt durch den Unterhaltspflichtigen ist.“ Erst kürzlich hatten sich alle Parteichefs mittels „Ja-Taferl“ in einem Puls4-TV-Duell einig gezeigt, in Sachen Unterhalt etwas voranzubringen und das derzeitige System zu verbessern. Kurze Hoffnung. Nach langem hin und her der Parteien wurde das Thema in der letzten Nationalratssitzung jedoch auf die lange Bank geschoben. Die drei in Entschließungsanträgen eingebrachten Vorschläge von SPÖ, ÖVP und FPÖ bekamen im Nationalrat keine Mehrheit, die Uneinigkeit der Fraktionen blieb das einzig Verbindende.

Sabine verfolgt den Wahlkampf und die Debatte um die Unterhaltsgarantie für Alleinerzieher. „Erstens haben Politiker kaum eine Vorstellung davon, was es tatsächlich bedeutet, Alleinerzieherin zu sein. Zweitens finde ich, dass der Partner den Unterhalt direkt an das Gericht zahlen müsste und ich als Mutter erhalte es am besten von dieser Stelle. Dann müsste ich mich damit nicht auch noch herumschlagen.“

Was es bedeutet, Alleinerzieherin zu sein

Die kleine Johanna bekomme von den finanziellen Problemen noch sehr wenig mit, erzählt Sabine. „Doch letzte Woche, da gab es diese Situation beim Spazierengehen, da hat es mir die Sprache verschlagen.“ Johanna habe sie aus dem Nichts angesehen und gesagt: „Auch wenn wir Pleite sind, schaffen wir alles, Mama.“

*Vorname der Mutter wurde geändert

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