Warum dürfen Briten europäische Sozialleistungen kürzen?

Die wichtigsten Fragen und Antworten.Wer darf europäische Sozialleistungen kürzen – und wer nicht.
Warum will die Regierung die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland kürzen?

Die Familienbeihilfe in der Höhe des österreichischen Tarifs an Kinder in Rumänien oder Bulgarien zu zahlen, macht Österreich "sehr attraktiv als Arbeitsmarkt", erklärt Außenminister Sebastian Kurz. "Es drängen zu viele in unseren Arbeitsmarkt." Die höhere Kinderbeihilfe führe auch zu "einer Ungerechtigkeit" – etwa in Rumänien, wo die Sozialleistung zwischen 15 und 20 Euro pro Kind liegt, befindet Kurz. Eine Folge dieser Regelung ist, dass die Kosten stark steigen: Waren es 2013 192 Millionen Euro für rund 94.000 Kinder, die in der EU (plus Island, Norwegen, Liechtenstein und Schweiz) leben, stieg die Summe 2015 auf 249 Millionen Euro für 122.000 Kinder. Den Großteil davon machen Differenzzahlungen aus, also die Aufstockung der ausländischen Beihilfe auf österreichisches Niveau, wenn ein Elternteil dort arbeitet – und der andere in Österreich. Lebt das Kind in einem Land, in dem das Kindergeld höher ist als in Österreich (etwa in Skandinavien), müsste Österreich im Falle einer Reform entsprechend höheres Kindergeld zahlen.

Was wäre notwendig, um so eine Änderung zu bewirken?

Dafür müsste die Europäische Union die Gesetze – konkret die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – ändern. Dafür ist aber die Zustimmung des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments notwendig. Das ist nicht einfach, aber möglich. Derzeit fehlt aber der Wille der EU-Kommission, diese Gesetzesinitiative aufzugreifen, wie der KURIER am Montag berichtet hat. Allerdings könnte sich auch der (Sozialminister-)Rat oder das EU-Parlament der Sache annehmen – und eine Gesetzesänderung initiieren.

Aber dem Vereinten Königreich hatte die EU doch grundsätzlich zugesagt, bei einem Verbleib in der EU Sozialleistungen für Ausländer kürzen zu können. Warum soll Österreich das nicht machen dürfen?

Im Frühjahr dieses Jahres ging es dem damaligen britischen Premierminister David Cameron darum, Zusagen für mehr britische Selbstbestimmung, etwa im Sozialbereich, von den anderen EU-Staaten gestattet zu bekommen. Geschehe das nicht, drohe der Austritt Großbritanniens aus der Union, argumentierte Cameron damals. Widerwillig, aber doch gaben die EU-Staats- und Regierungschefs damals den Briten nach – und grünes Licht für eine etwaige Rechtsänderung. "Die Union hätte also das Sekundärrecht auf Wunsch der Briten geändert, auch das Parlament hätte zustimmen müssen. Die Änderung hätte natürlich für alle EU-Staaten gegolten, auch Österreich hätte dann ohne Probleme etwa Kindergeld für Kinder im Ausland kürzen können", erklärt der Innsbrucker Europarechtsexperte Walter Obwexer. "Durch die Brexit-Abstimmung am 23. Juni 2016 wurden diese Zusagen aber hinfällig."

Was würde passieren, wenn Österreich dennoch das Kindergeld für Kinder im Ausland kürzt?

Für jeden EU-Staat ist europäisches Recht bindend. Wenn Österreich EU-rechtswidrig die Regelung für das Kindergeld ändert, und geringere Beträge an Kinder in Rumänien oder Bulgarien auszahlt, kann jeder und jede Betroffene, aber auch die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg die Republik klagen. Solch eine Klage dauert oft lange, hätte aber eine Chance auf Erfolg. Zudem könnte der EuGH Strafzahlungen gegen Österreich verhängen.

Gibt es auch andere Länder, die eine ähnliche Regelung haben wollen?

Staaten, die sich offen gezeigt haben für den Vorstoß Österreichs, sind unter anderem Dänemark, Großbritannien (das jedenfalls noch zwei Jahre im Sozialrat stimmberechtigt ist, so lange der Brexit nicht vollzogen worden ist), aber auch Deutschland, Frankreich und Irland. Österreich werde nach Auskunft des Büros von Familienministerin Sophie Karmasin jetzt versuchen, auch bei anderen Staaten für diese Lösung zu lobbyieren.

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