Warum die Länder auch nach Pröll und Häupl mächtig bleiben

Pröll hat den Hut genommen, die Debatten in Häupls SPÖ dauern an
Erwin Pröll ist weg, Michael Häupl könnte bald folgen. Wird Österreich dann leichter zu regieren? Vieles spricht dagegen, denn Macht-Mechanismen bleiben bestehen.

Und plötzlich war die Schuhgröße das Thema: Es war der Tag nach dem Rücktritt, Erwin Pröll präsentierte Johanna Mikl-Leitner als Nachfolgerin, und einer der Journalisten in St. Pölten stellte die Frage nach den Fußstapfen: Ob Prölls Schuhe für Frau Mikl-Leitner dann nicht doch ein bisserl zu groß seien?

Der scheidende Landesvater wischte die Frage lächelnd weg. Doch landauf, landab widmeten sich Kommentatoren die Woche der These, wonach die Demission des Radlbrunners eine Zeitenwende markiert.

Die Frage ist freilich: Stimmt das so? Geht mit Pröll – und letztlich auch Michael Häupl – tatsächlich eine Ära zu Ende? Und schmelzen Macht und Einfluss der niederösterreichischen ÖVP und der Wiener SPÖ langsam ab?

Wer sich die Gründe für die Ausnahmestellung der beiden Länder näher ansieht, der merkt schnell: So einfach ist es nicht. Die Macht der zwei Landesbosse ist nicht bloß eine zugeschriebene. Sie steht auf realpolitisch festen Füßen. Und sie könnte in naher Zukunft sogar noch wachsen. Warum, das lässt sich folgendermaßen begründen:

Die wirtschaftliche Kraft der Ost-Region

Wien und Niederösterreich tragen überproportional viel zum Bruttoinlandsprodukt bei: Von den 340 Milliarden Euro, die Österreich zuletzt als jährliche Wirtschaftsleistung erarbeitet hat, kommen 41 Prozent allein aus diesen beiden Bundesländern.

Vier von zehn arbeitenden Österreichern leben in Wien oder Niederösterreich, 200.000 Menschen pendeln zwischen den beiden Ländern.

In den nächsten 15 Jahren wird sich daran nichts ändern, im Gegenteil: Die Region im Viereck St. PöltenWiener NeustadtBratislavaMistelbach gilt als jene, in der die Anzahl der Erwerbstätigen bis 2030 am stärksten wächst (siehe Grafik).

Wer auch immer künftig die Geschicke Wiens oder Niederösterreichs lenkt, regiert einen dynamischen Raum mit einer hohen Anzahl an Wählern, mit vielen zahlungskräftigen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Warum die Länder auch nach Pröll und Häupl mächtig bleiben

Die Vergabe von Mandaten

Egal, ob es um die Steuer-Reform, den Pensionshunderter oder das Kindergeld geht: Am Ende stellt sich bei allen großen Projekten der Bundesregierung die Frage: Gibt es dafür im Parlament eine Mehrheit?

Die Koalition von SPÖ und ÖVP verfügt im Nationalrat über eine Mehrheit von 102 der 183 Mandate. Eine stabile Mehrheit – solange die 15 Nationalratsmandatare aus Niederösterreich und die 13 aus Wien mitspielen. Springt nur eine Gruppen ab, ist die nötige Mehrheit im Plenum von zumindest 92 Mandataren verloren – ein permanentes Druckmittel für die Bundesregierung.

Verschärft wird die Situation für die Bundespolitiker, weil sich Parlamentarier im Zweifelsfall nach den Wünschen des Landesparteichefs richten und nicht nach jenen des Bundesparteichefs. Beim Bundesrat ist das logisch – immerhin entsendet der Landtag die Mandatare. Aber auch im Nationalrat gilt die Regel "Erst das Land, dann der Bund". Warum? Weil die Landes- und nicht die Bundespartei die Liste der wählbaren Mandatare erstellt – und damit über den Verbleib der Abgeordneten im Parlament entscheidet.

Warum die Länder auch nach Pröll und Häupl mächtig bleiben
ABD0022_20161004 - GRAZ - ÖSTERREICH: (von links) LH Hans Niessl, LH Peter Kaiser, LH Erwin Pröll, LH Josef Pühringer, der Vorsitzende der Landeshauptleute Konferenz LH Hermann Schützenhöfer, LH Wilfried Haslauer, LH Günther Platter, LH Markus Wallner und Bgm. Michael Häupl bei einem Fototermin anl. der Landeshauptleutekonferenz am Dienstag, 04. Oktober 2016, in Graz. - FOTO: APA/ERWIN SCHERIAU

Das Geld und die Parteiförderung

Auch beim Geld, konkret: bei der öffentlichen Parteienförderung, sind die Länder eindeutig im Vorteil.

Bleiben wir bei den Fallbeispielen Niederösterreich und Wien: "Die ÖVP Niederösterreich erhält eine jährliche Direkt-Förderung von 8,64 Millionen Euro, die Bundes-ÖVP nur 7,35 Millionen", sagt Hubert Sickinger, Politikwissenschafter und Experte in Sachen Parteienförderung.

Das bedeutet: Eine einzelne Landespartei bekommt mehr als die für das gesamte Bundesgebiet zuständige Mutterpartei.

Bei der SPÖ hat die Bundes-SPÖ Anspruch auf 8,19 Millionen Euro – und die Wiener Landespartei auf 10,92 Millionen. "Der organisatorische Schwerpunkt der Parteien liegt traditionell bei den Ländern", sagt Sickinger. Das heißt, in Wahlkämpfen sind die Bundesparteien auf finanzielle und organisatorische Unterstützung der Länder angewiesen.

Hinzu kommt, dass große Länder verhältnismäßig mehr Delegierte an Bundesparteitage entsenden. Sickinger: "Und dort wird der Bundesparteichef gewählt."

Bleibt also alles wie es ist, auch wenn der Typus des "starken Landeshauptmanns" von der politischen Bühne abtritt?

Die Bedeutung der Landeshauptleute im Osten Österreichs wird wohl kaum schwinden, einfach, weil die Ostregion insgesamt der dynamischste Raum des Landes ist.

Ändern können sich jedoch die politischen Kräfteverhältnisse. Mit dem Niedergang von SPÖ und ÖVP könnten auch deren Bastionen im Osten einmal fallen. Und falls Bundesregierung und Landeshauptleute dereinst einmal nicht mehr den selben Parteien angehören, haben die Länder den Bund nicht mehr im Griff.

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