Wie halten es die Parteien mit dem Mindestlohn?

Ganz so harmonisch war das TV-Duell zwischen Strolz und Lunacek nicht. Auch beim Mindestlohn gab es Differenzen
Nach dem TV-Duell im ORF: Ein Mindestlohn von 1500 Euro findet bei den Parteien keinen Widerstand. Grüne, Liste Pilz und die Gewerkschaft fordern allerdings mehr. Ein KURIER-Positionencheck. Und: Was Experten dazu sagen.

Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek und Neos-Chef Matthias Strolz gerieten sich am Donnerstag im TV-Duell des ORF beim Thema Mindestlohn in die Haare. Lunacek sieht die größten Probleme bei Frauen in Teilzeitjobs. Ein Mindestlohn von 1750 Euro soll einen "gerechten Ausgleich" dafür bieten.

Strolz entgegnet: "Ich wünsche den Leuten natürlich höhere Löhne, mit dieser Aktion vernichten Sie aber 40.000 bis 50.000 Arbeitsplätze in Österreich, die sie nie mehr wieder bekommen." Belege für seine Aussage blieb Strolz gestern schuldig.

Der Chef der Pinken sagte aber auch: "Keiner sollte unter 1500 Euro in Österreich verdienen." Das finde er gut.

Einigung auf 1500 Euro

Was Strolz hier gut findet, stammt aus dem Restbestand der aktuellen SPÖ-ÖVP-Koalition. Im aktualisierten Regierungsübereinkommen vom Jänner wurde auch eine Kompromisslösung für einen Mindestlohn verankert. Die Sozialpartner sollten sich bis Ende Juni auf einen kollektivvertraglich geregelten Mindestlohn einigen. Am 30. Juni, also am Tag des Verstreichens des Regierungsultimatums wurde von den Sozialpartnern ein Mindestlohn von 1500 Euro brutto festgelegt. Bis 2020 solle dieser in allen Kollektivverträgen festgehalten sein.

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Rund neun Prozent würden mehr verdienen

Laut einer aktuellen Wifo-Studie vom September würde diese Regelung derzeit rund 291.000 Personen oder 9,1 Prozent der unselbstständig Beschäftigten betreffen. Der durchschnittliche Stundenlohn der betroffenen Beschäftigten würde durch den Mindestlohn um 1,26 Euro oder 17,1 Prozent steigen.

Internationaler Vergleich

Berücksichtigte man die in allen heimischen Kollektivverträgen vorgesehenen Sonderzahlungen, liege der österreichische Mindestlohn um circa 14 Prozent über dem deutschen Wert von 8,84 Euro pro Stunde, rechnet die Wirtschaftskammer vor. Das wären dann knapp unter zehn Euro pro Stunde. Mit 1.500 Euro 14 Mal im Jahr liege Österreich in Europa hinter Luxemburg an zweiter Stelle und deutlich über dem Mindestlohn in den USA mit 7,25 US-Dollar pro Stunde.

Sozialpartner: Trotz Einigung Handlungsbedarf

Die Wirtschaftskammer betrachtet 1.500 Euro Mindestlohn als "große Vorleistung der Wirtschaft". Im Gegenzug erwarten sich die Kämmerer eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten und "endlich Bewegung" bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit, hieß es kürzlich.

Die Einigung im Juni ändert übrigens nichts daran, dass der ÖGB weiterhin an einem Ziel von 1700 Euro Mindestlohn festhält.

Laut dem neuen AK-Arbeitsklimaindex kommen derzeit 47 Prozent der Österreicher laut eigenen Angaben mit ihrem Verdienst nicht oder nur schwer über die Runden, 2016 waren es noch 48 Prozent. Bei den Frauen gaben sogar 54 Prozent an, mit ihrem Einkommen "nicht oder gerade noch" auszukommen.

Wifo: gesamtwirtschaftliche Auswirkungen "gering"

Insgesamt rechnet das Wifo in seiner Simulation bei einem 1.500 Euro-Mindestlohn mit Einkommenssteigerungen für die Arbeitnehmer bzw. Mehrkosten für Unternehmer von 910 Millionen Euro.

Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eines Mindestlohnes sind nach Ansicht der Wifo-Ökonomen aber "gering". Das liege an einem "verhältnismäßig moderaten Anstieg der gesamten Haushaltseinkommen" durch den Mindestlohn und an "den in gegensätzliche Richtungen laufenden Wirkungskanälen". Ein höheres verfügbares Einkommen führe zu steigenden Konsumausgaben, die Exporte würden aber aufgrund des Preiseffektes sinken. "Der Konsumeffekt ist dabei im unteren Einkommensdrittel am stärksten", schreiben die Studienautoren. Bei einen Mindesteinkommen von 1500 Euro würde diese Einkommensschicht im ersten Jahr 0,4 Prozent mehr ausgeben (Gesamt: 0,1 Prozent), bei 1700 Euro geschätzte 0,7 Prozent (Gesamt: 0,3 Prozent).

Schrittweise Einführung bringt kaum Effekte

In der Simulation wird von einer vollständigen Einführung des Mindestlohnes im Jahr 2017 ausgegangen. Eine stufenweise Einführung bis zum Jahr 2020, wie von den Sozialpartnern vereinbart, hätte aufgrund der Inflation in diesem Zeitraum "merklich schwächere Effekte, wenn nicht auch die Höhe des Mindestlohnes angepasst wird". Christine Mayrhuber vom Wifo bestätigt auf Anfrage, dass die Zahl der Betroffenen bis 2020 durch die ohnehin zu erwartenden Lohnzuwächse stark zurückgehen werde. Eine Steigerung auf 1700 Euro, wie von der Gewerkschaft gefordert, müsste dann erst recht wieder Gegenstand von neuen Verhandlungen sein, wenn merkbare Effekte auf sozialen Standard und Konsumverhalten angestrebt werden.

Mindestlohn

Ein Mindestlohn von 1.700 Euro würde laut Wifo-Berechnungen mit Stand dieses Jahr 548.000 Personen oder 17,2 Prozent der unselbstständig Beschäftigten betreffen. Der durchschnittliche Stundenlohn würde dadurch um 1,55 Euro oder 18,8 Prozent steigen.

Kaum Auswirkungen auf Beschäftigung

Die Beschäftigung würde zu Beginn leicht steigen: 300 neue Jobs bei 1500 Euro Mindestlohn und 500 neue Jobs bei 1700 Euro. Mit dem allmählichen Auslaufen des Konsumeffekts würde die Beschäftigung am Ende des Simulationszeitraums von fünf Jahren etwas niedriger ausfallen (2.900 Jobs weniger bei 1500 Euro Mindestlohn/5900 Jobs bei 1700 Euro).

"Die Arbeitslosenquote verändert sich über den gesamten Zeitraum hinweg kaum", heißt es in der Studie. "In Summe sind die Effekte eines Mindestlohnes sowohl auf das reale Bruttoinlandsprodukt als auch auf den Arbeitsmarkt moderat."

Analyse der Konfrontation NEOS gegen Grüne

Eine andere Zahl könnte aus bisherigen Erfahrungen mit einer Mindestlohnregelung destilliert werden. Das Wifo verwies gestern im ORF-Faktencheck zum TV-Duell (siehe oben)auf eine Studie aus Deutschland. Dort habe sich die Einführung im Jahr 2015 so ausgewirkt, dass geschätzte 60.000 Jobs nicht entstanden sind. Das entsprach 2015 einem Anteil von 0,18 Prozent an allen Beschäftigten in Deutschland. In Österreich wären es laut diesem Modell umgerechnet rund 6000 Jobs.

Agenda Austria: Negative Auswirkungen

Wesentlich kritischer sieht der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria das Thema Mindestlohn. Mindestens 4000 Arbeitsplätze für Jüngere seien laut einer Studie vom Februar 2017 in Gefahr. Im schlimmsten Fall würde die Einführung eines Mindestlohnes von 1500 Euro brutto demnach aber bis zu 20.000 Jobs gefährden. Diese Zahl beruht laut Agenda Austria auf der Annahme, dass wegen eines Mindestlohns auch alle anderen Kollektivvertrags-Lohnstufen in den jeweiligen Branchen angehoben würden. Das Argument: "Ein besser ausgebildeter Arbeitnehmer wird nicht zum gleichen Lohn arbeiten wie ein unqualifizierter Kollege. Diese Lohnsteigerungen werden zu weiteren Jobverlusten führen".

Von den 780 Millionen Euro an höheren Kosten bzw. Ausgaben der Unternehmen, die in der Studie errechnet wurde, würden die Arbeitnehmer nur zum Teil profitieren. "48,6 Prozent gehen über die Sozialversicherung bzw. Lohnsteuer an den Staat", heißt es in der kritischen Studie.

Die Konsumsteigerung sieht die Agenda Austria bei maximal 0,2 Prozent. "Lautet das politische Ziel, armutsgefährdete Haushalte besser zu unterstützen, wären niedrigere Sozialabgaben oder höhere Transferleistungen für diese Gruppen eine viel effizientere Lösung", lautet die Schlussfolgerung der Studienautoren.

Ein Mindestlohn von mindestens 1500 Euro steht aber bei allen wahlwerbenden Parteien derzeit außer Frage, wie unser Positions-Check zeigt. Mehr sei derzeit allerdings nicht durchsetzbar, hieß es bei der FPÖ gegenüber dem KURIER.

Die Positionen der Parteien im Wahlkampf 2017

SPÖ Die SPÖ bezieht sich im "Plan A" auf die Umsetzung der erfolgten Sozialpartner-Einigung auf einen Mindestlohn von 1.500 Euro brutto für alle. Zusätzlich möchte die SPÖ alle Einkommen bis 1.500 Euro brutto steuerfrei machen. Das entspräche laut Brutto/Netto-Rechner des BMF einer Steuerentlastung von rund 645 Euro jährlich pro Arbeitnehmer.
ÖVP Die Volkspartei betrachtet Lohnverhandlungen als Sache der Sozialpartner und verweist ebenso auf die Einigung auf Anhebung der Kollektivverträge bis 2020. Diese gelte es nun umzusetzen. Einem gesetzlichen Mindestlohn steht die ÖVP ablehnend gegenüber, da dieser keine Rücksicht auf branchen- und betriebsbezogene Bedürfnisse nehme.
FPÖ Im August sprach die FPÖ noch von einem gesetzlichen Mindestlohn von 1700 Euro brutto. Seit Mitte September sind im blauen Wahlprogramm 1500 Euro verankert. Um die Arbeitgeber nicht zu belasten, schlagen die Freiheitlichen (wie die SPÖ, Anm.) eine Senkung der Lohnnebenkosten und bei sehr niedrigen Einkommen Lohnzuschüsse über das AMS vor.
Grüne Im Programm der Grünen steht eine gesetzliche Verankerung eines Mindestlohns in der Höhe von 1.750 Euro brutto bei Vollzeit. Dazu soll eine gesetzliche Lohnuntergrenze pro Stunde "für alle 21 Arbeitsverhältnisse" kommen. Orientierungspunkt ist das Konzept „Fairer Lohn“ der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO (2017: 10,10 €/Stunde).
Neos Die pinke Partei macht in ihrem "Zukunftsmanifest" keine Angaben zum Mindestlohn. Parteichef Matthias Strolz begrüßt allerdings die Sozialpartner-Einigung auf 1500 Euro. Ein gesetzlicher Mindestlohn darüber hinaus würde aber zu viele Arbeitsplätze kosten. Die Neos zeigen sich liberal und drängen auf eine Arbeitszeitflexibilisierung.
Pilz Die Liste Pilz plädiert für einen Mindestlohn von 1700 Euro brutto, allerdings ohne gesetzliche Regelung. Es bestehe ein klarer Auftrag an die Sozialpartner und eine gelebte gute Praxis. Klein- und Mittelbetriebe müssten entlastet werden, da sie nicht die Mehrkosten tragen sollen. Die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen soll gefördert werden.

Eine Übersicht über die einzelnen Programme der Parteien finden Sie hier.

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