Wie sicher ist Österreich: Was die Menschen fühlen und die Statistik sagt

 
Angst lässt sich schwer in Zahlen fassen. Doch mit angezeigten Straftaten hat sie wenig zu tun. Das zeigen Erhebungen von Soziologen.

Sicherheit ist ein Dauerbrenner. Speziell in Wahlkampf-Zeiten. Dabei ist die Kriminalität auf niedrigem Niveau (siehe auch Grafik): 2015 und 2016 waren, geht man nach den Anzeigen, die sichersten Jahre seit 2001.

Das Sicherheitsgefühl hat damit aber nur wenig zu tun. "Die objektive Sicherheitslage deckt sich nicht immer mit dem subjektiven Empfinden", sagt auch Innenminister Wolfgang Sobotka (VP). Sein Rezept: Es sei notwendig, die Menschen aktiv zu informieren. "Wir müssen die Sicherheitslage noch transparenter machen und die polizeiliche Arbeit im Sinne einer zeitgemäßen Bürgerbeteiligung ausrichten." Vor allem Vorfälle im unmittelbaren Umfeld der Menschen würden ihr Empfinden beeinflussen. Dort will die Initiative "Gemeinsam.Sicher" ansetzen, die noch unter Sobotkas Vorgängerin Johanna Mikl-Leitner gestartet wurde. "Die enge Vernetzung zwischen Polizisten, Gemeinden, Vereinen und Schulen ist daher von wesentlicher Bedeutung", erklärt Sobotka. Differenzierter sieht das jedoch Kriminalsoziologe Walter Fuchs (siehe Interview unten): "Anders, als man glauben könnte, ist das Sicherheitsgefühl konstant hoch." Entsprechende Bevölkerungsumfragen werden regelmäßig in der EU durchgeführt. Standardfrage dabei: Wie sicher fühlen Sie sich nachts allein in Ihrer Wohngegend. Ob sich die Flüchtlingswelle nachhaltig negativ auswirkt, ist noch unklar.

Wie sicher ist Österreich: Was die Menschen fühlen und die Statistik sagt
grafik, iStockphoto

Dennoch wird aktuell ein neues Sicherheitspaket geschnürt. Die Bevölkerung wird aufgerufen, der verlängerte Arm der Polizei zu sein. Die Polizei positioniert sich auf Märkten und Veranstaltungen, Kameras sollen Straftäter abschrecken.

Der KURIER sucht schon jetzt nach Antworten und widmet sich in den kommenden zwei Wochen diesem Thema.

Drogenhandel in der U-Bahn, aggressive Obdachlose auf öffentlichen Plätzen und herumlungernde Jugendliche in Einkaufszentren – Wien werden viele Kriminalitäts-Hotspots nachgesagt. Einer davon ist auch die Lugner City. Beim Lokalaugenschein zeichnet sich aber ein eher positives Bild ab. Alle Befragten fühlen sich im Einkaufszentrum eher sicher, wünschen sich nicht mehr Polizei oder Sicherheitspersonal. Der Grund dafür sind laut Richard Lugner hohe Investitionen in die Sicherheit: "Als ich aufgesperrt habe, vor 27 Jahren, da hatten wir gar keine Securities. Jetzt sind Tag und Nacht welche unterwegs. Teilweise sogar mit Hunden."

Weil Jugendliche und Obdachlose seither vor – anstatt im Inneren – der Lugner City "herumlungern", entfernt der Baulöwe jetzt sogar einen Brunnen vor dem Einkaufszentrum. "Den habe ich gestiftet. Aber es nützt nichts. Wenn die Leute da herumsitzen, dann muss er weg. Da muss ich handeln", sagt Lugner.

Wie sicher ist Österreich: Was die Menschen fühlen und die Statistik sagt
Lugner City, Sicherheit, Umfrage Richard Lugner

Ähnlich hat sich die Politik in der Stadt Salzburg geholfen. Anfangs wurde Vizebürgermeister Harald Preuner (ÖVP) noch belächelt, als er Sitzgelegenheiten abmontieren ließ, damit Alkoholiker und anderes unerwünschtes Publikum dem Südtiroler Platz vor dem Hauptbahnhof fernbleibt. Mittlerweile erzählen Anwohner aber ungefragt davon, dass sich die Lage seither gebessert habe.

Die Polizei sieht den Kriminalitäts-Hotspot der Stadt unter Kontrolle. Laut Sprecher Michael Rausch seien die angezeigten Delikte im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zu 2016 um ein Drittel zurückgegangen. Die Präsenz sei zwar reduziert worden. Aber nach wie vor seien verstärkt Streifen und Fahnder in Zivil unterwegs, heißt es von Rausch.

Verunsicherung in Graz

In Graz dreht sich das Thema Sicherheit seit Wochen um die Frage: Wo ist der Mann, der acht Seniorinnen niedergeschlagen, schwer verletzt und ausgeraubt haben soll?

Major Michael Lohnegger, Leiter der eigens für diese Raubserie eingerichteten "Soko Schmuckraub", warnt eindringlich: Der mutmaßliche Täter Adiel-Cristian C., 31, aus Rumänien könnte sich erstens noch im Land aufhalten und zweitens gefährlich sein. "Das Gewaltpotenzial des Verdächtigen ist groß." Doch seit 13. Juli wurden glücklicherweise keine neuen Überfälle auf Pensionistinnen mehr gemeldet. Das lässt darauf schließen, dass C. längst untergetaucht sein könnte. Nach ihm wird europaweit gefahndet.

Pensionistinnen bleiben dennoch vorsichtig. Die Raubserie verunsichert. Eva H., 81, geht nur noch in Begleitung ihres Mannes außer Haus geht: "Der ist zwar auch schon 80, aber 1,90 groß", sagt die Seniorin, die auf Abschreckung setzt. Helga R., 61, hat immer Pfefferspray dabei. Lieselotte B., 60, vertraut auf jahrelange Erfahrung mit Kampfkunst-Training: "Ich habe keine Angst." Heidi F., 62, trägt ihren Goldschmuck derzeit lieber nicht. Das rät auch die auf 50 Beamte angewachsene "Soko Schmuckraub": Ketten sollten gar nicht oder verdeckt getragen werden.

Walter Fuchs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie.

KURIER: Um das Sicherheitsgefühl ist es in Österreich schlecht bestellt – zumindest wenn man den Politikern zuhört. Stimmt das so?

Walter Fuchs: Nach allen Daten, die uns zur Verfügung stehen, ist es nicht so, dass dieses Gefühl dramatisch abgenommen hätte, es ist konstant hoch. Aber es gibt eine Einschränkung: Noch gibt es nicht allzu viele Daten nach 2015 und somit Belege, ob der Zustrom von Flüchtlingen verunsichert hat.

Gibt es regionale Unterschiede?

Die sind weniger ausgeprägt, als man glauben könnte. Es ist nicht so, dass sich die Leute in der Großstadt automatisch unsicherer fühlen.

Aber am Land fühlt man sich sicherer?

Tendenziell ja. Das ist aber nicht immer rational zu erklären. Die Leute gleichen das nicht mit dem objektiven Risiko ab. Es gibt kaum einen Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Kriminalität und dem Sicherheitsgefühl.

Was sagt die Kriminalstatistik über das Sicherheitsgefühl aus?

Es wäre naiv zu glauben, man braucht nur in die Statistik schauen und wüsste, was los ist. Theoretisch müsste man sehen: Je mehr Kriminalität, desto mehr Unsicherheit. Was Sie im internationalen Vergleich sehen, ist aber eher das Gegenteil. Etwa in Schweden, Irland oder Belgien. Dort werden viele Straftaten registriert, aber die Leute fühlen sich sicher. Die Kriminalstatistik misst zum guten Teil auch, wie sehr die Bevölkerung der Polizei vertraut und wie sehr die Leute die Bereitschaft haben, Straftaten anzuzeigen.

Wie hoch ist dieser Anteil?

Es gibt unterschiedliche Schätzungen je nach Deliktsbereich. Ich habe das selbst einmal über die Jugendgewalt erhoben. Nur jede fünfte Straftat in diesem Bereich wird angezeigt, der Rest wird anders geregelt. Entscheidend bei Anzeigen ist auch, was man sich davon erhofft. Vielleicht benötigt man die Anzeige für die Versicherung. In Ländern wie Bulgarien, Litauen oder der Slowakei – allesamt Staaten mit totalitärer Vergangenheit – ist das Verhältnis zur Polizei ein anderes. Dort wird nicht gleich angezeigt.

Ein neues Sicherheitspaket ist in Planung. Ein notwendiger Schritt?

Die polizeiliche Kriminalstatistik gibt das nicht her, das man sagen muss, man muss neue Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Es gibt natürlich Einzelfälle, über die auch in den Medien breit berichtet wird und die für Bedenken sorgen. Zum Beispiel Sexualdelikte durch Asylwerber. Die gibt es, das kann man nicht schönreden. Aber die statistische Wahrscheinlichkeit ist extrem gering. Das hilft natürlich den Opfern nichts.

Werden Orte, die oft in den Medien vorkommen automatisch zu Angsträumen?

Am Wiener Praterstern gab es diese furchtbare Vergewaltigung. Aber warum der Platz zu einem Angstraum wurde, ist komplexer. Verunsicherung gab es wegen der Obdachlosen, die tagsüber Alkohol trinken, der kleinen Dealereien und weil dort viele Menschen unterwegs sind.

Hilft die Kameraüberwachung, damit sich die Menschen sicherer fühlen?

Videoüberwachung, etwa in U-Bahnen, kann dazu beitragen, sie hilft auch bei der Aufklärung von Straftaten. Auf großen Parkplätzen bei Einkaufszentren schreckt sie Autoeinbrecher ab. Es kann aber auch das Gegenteil bewirken: Dass sich die Leute denken, hier könnte es unsicher sein.

Rund um große Märkte war zuletzt auch immer schwer bewaffnete Polizei zu sehen.

Das sind Maßnahmen, mit denen man die Bevölkerung beruhigen will – etwa nach der Amokfahrt in Berlin. Ob es viel bringt, ist schwer zu sagen. Ich muss zugeben, ich habe mich unmittelbar nach der Amokfahrt selbst bei dem Gefühl ertappt: Soll ich jetzt Menschenmengen meiden?

Haben Sie es getan?

Nein.

Hat das Sicherheitsgefühl etwas mit den Lebensumständen, mit Bildung, mit dem sozialen Umfeld zu tun?

Ja. Je mehr ich mich sozial abgesichert fühle, desto weniger Angst habe ich tendenziell. Bildung und soziale Absicherung korrelieren positiv mit dem Sicherheitsgefühl. Was auch ein wichtiger Einfluss sein dürfte, ist die wohlfahrtstaatliche Absicherung. Dadurch haben die Menschen das Gefühl, gegen grundlegende Risiken des Lebens wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit geschützt zu sein. Eine entsprechende Untersuchung gibt es auch für Wien. Es gibt den Menschen Sicherheit, dass die Stadt gut verwaltet ist, die U-Bahn pünktlich fährt und die 48er (Müllabfuhr, Anm.) funktioniert. Gerade das ist extrem wichtig.

Sauberkeit und Ordnung?

Das klingt spießig, ist aber so. Es gibt die Theorie, dass die Kriminalität in einem Stadtviertel steigt, in dem es unsauber ist und das verlassen aussieht. Dadurch setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang. Sauberkeit reduziert nicht allein Kriminalität. Aber es ist ein Mosaikstein.

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