Müssen wir uns vor den Robotern fürchten?

  
Der technologische Umbruch verändert das Leben für Arbeitnehmer, Konsumenten, Firmenchefs und Politiker. Das birgt Chancen und neue Gefahren.

Überflüssige Arbeitnehmer? Der Roboter arbeitet, der Mensch schafft an

Jobs von 360.000 heimischen Beschäftigten sind stark gefährdet

Müssen wir uns vor den Robotern fürchten?
Two robotic arms by Industrial robot manufacturer Kuka pour a beer for guests attending the Summit of the Business20 (B20) in Berlin on May 2, 2017. The B20 forum is a debate platform to discuss the G20 economies. / AFP PHOTO / John MACDOUGALL

Die Geschichte wiederholt sich zum vierten Mal. Nach dem ersten mechanischen Webstuhl 1784 (Mechanisierung), dem ersten Fließband in Cincinnati 1870 (Elektrifizierung) und der ersten programmierbaren Steuerung 1969 (Automatisierung) stehen Wirtschaft und Gesellschaft nun inmitten der vierten industriellen Revolution: Jetzt werden intelligente Fabriken errichtet, vernetzen sich Mensch, Maschine und Objekt – die Roboter übernehmen die Arbeit. Das Phänomen heißt Industrie 4.0.

Maschinenarbeit Die neue Ära bewirkt eine grundlegende Veränderung im Verhältnis zwischen Arbeiter und Maschine. Früher waren Maschinen dazu da, die Produktivität der Arbeiter zu steigern. Jetzt verwandeln sich die Maschinen zunehmend selbst in Arbeiter – und übernehmen immer mehr Jobs.

Dass die Automatisierung in erster Linie eine Bedrohung für wenig gebildete und niedrig qualifizierte Arbeitskräfte darstellt, ist mittlerweile eine These von gestern. Nach und nach erkennen auch viele studierte Angestellte, dass ihre Arbeitsplätze unsicher sind. Denn Computer werden immer besser darin, sich Fähigkeiten anzueignen. Sie übernehmen dort, wo es um Routinearbeiten geht, wo Jobs berechenbar sind.

Martin Ford, Autor des Buches „Aufstieg der Roboter“, stellt fest: „Fast jede Arbeit, bei der jemand vor einem Bildschirm sitzt und Information bearbeitet, ist bedroht.“ Wie bedroht, das zeigen zahlreiche Studien: Auf dem Weltwirtschaftforum in Davos wurde der Wegfall von fünf Millionen Arbeitsplätzen in den Industrieländern allein in den nächsten fünf Jahren thematisiert.

Das Beratungsunternehmen Boston Consulting erwartet, dass bis 2025 ein Viertel aller Jobs von Software und Robotern übernommen wird.

Müssen wir uns vor den Robotern fürchten?

Für Österreich hat das IHS eine Studie zur „ Digitalisierung der Arbeit“ erstellt. Die Autoren haben berechnet, dass neun Prozent der Beschäftigten, also fast 360.000 Menschen in Österreich, ein Tätigkeitsprofil aufweisen, das ein besonders hohes Potenzial hat, durch Maschinen ersetzt zu werden. Zählt man die Jobs mit mittlerem Risiko dazu, steigt diese Zahl auf fast 40 Prozent oder 1,6 Millionen.

Und die Menschen? Die potenziell am stärksten von der Automatisierung betroffenen Berufsgruppen sind Hilfsarbeitskräfte (von denen es aber ohnehin nicht mehr viele gibt), klassische Facharbeiter, etwa in der Maschinensteuerung, Handwerker und Personen in Dienstleistungsberufen. Bei diesen Gruppen steigt mit dem Einzug digitaler Systeme und Roboter das Risiko, arbeitslos zu werden, massiv.

Allerdings lehrt die Vergangenheit auch, dass durch die Integration neuer Technologien in den Arbeitsprozess auch neue Tätigkeitsfelder – und somit Arbeitsplätze – entstehen können. Dafür müssen sich die Arbeitnehmer aber umorientieren, müssen sich umfassend fortbilden, um einen neuen Job zu finden. Hier sind die Unternehmen und die Arbeitsmarktpolitik mit entsprechenden Aus- und Fortbildungsangeboten gefordert. Wobei die klassische duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule hier durchaus eine gute Basis für die Weiterbildung bietet. Sie müsse allerdings an die neue, digitalisierte Arbeitswelt angepasst werden.

Gläserner Kunde: Algorithmen bestimmen, was wir kaufen

Personalisierte Produkte und Dienstleistungen benötigen persönliche Daten

Für Konsumenten ist die Digitalisierung nur auf den ersten Blick ein Segen. Maßgeschneiderte Angebote und personalisierte Produkte und Dienstleistungen lassen sich auf einen Klick bestellen und werden an die Wohnungstüre geliefert. Digitale Assistenten wie Apples Siri, Microsofts Cortana oder Amazons Alexa, die nicht mehr nur auf Smartphones zu finden sind, sondern mit smarten Lautsprechern nun auch Einzug ins Wohnzimmer halten, buchen auf Zuruf Flüge, reservieren Tische in Restaurants oder Zimmer in Hotels.

Persönliche Daten Der Komfort hat seinen Preis. Bezahlt wird nicht nur mit Geld. Personalisierte Dienste und Empfehlungen setzen persönliche Daten voraus. Der Kunde wird gläsern. Analysiert wird nicht nur das Kaufverhalten in Online-Shops, Kundendaten werden auf allen Kanälen, am Mobiltelefon, aber auch im stationären Handel gesammelt und ausgewertet. Die Stimmlage beim Anruf bei der Kundendienst-Hotline fließt in Datenanalysen ebenso mit ein wie Geodaten unserer Smartphones und die Dauer, die der Mauszeiger auf Produkten ruht.

Aus den Datenanalysen werden maßgeschneiderte Angebote für Kunden zusammengestellt. Algorithmen errechnen Rabatte und Preise. Da kann es schon einmal vorkommen, dass Produkte im Online-Handel für Apple-Nutzer teurer sind als für Kunden, die über einen Windows-PC bestellen. Die digitalen Möglichkeiten, das Kunden- und Nutzungsverhalten bis ins kleinste Detail zu erfassen, könnten schon bald auch dazu führen, dass wir bei einem gesunden Lebenswandel geringere Versicherungsbeiträge bezahlen.

Erste Pilotversuche gibt es bereits. Wer seine über Fitnessbänder gesammelten Daten an die Versicherung weiterleitet, erhält kleine Geschenke oder Gutscheine. Auch Autoversicherungen bieten bereits sogenannte Telematiktarife an, bei denen – noch freiwillig – in das Fahrzeug integrierte Sensoren das Fahrverhalten analysieren und die Tarife auf die Fahrweise abstimmen.

Intransparent Die Algorithmen, mit denen die aus unterschiedlichen Quellen stammenden Konsumenten-Daten analysiert werden, sind alles andere als transparent. Die Auswirkungen können weit über die Preisgestaltung hinausgehen und durchaus dramatische Folgen haben. Wer keinen Handy-Vertrag bekommt, weil Algorithmen seine Kreditwürdigkeit in Frage stellen, hat kaum Möglichkeiten sich zu wehren.

Auch die Algorithmen, die den Vorschlägen der digitalen Assistenten zugrunde liegen, sind für die Kunden nicht durchschaubar. Wie die Empfehlungen von Siri, Cortana und Alexa zustande kommen, bleibt ein Rätsel. Die Konsumenten werden mit den neuen digitalen Möglichkeiten auch zunehmend entmündigt. Im Bankbereich sind sogenannte Robo-Advisors auf dem Vormarsch. Sie treffen auf Basis vorab festgelegter Parameter eigenständig Investment-Entscheidungen. Von vernetzten Kühlschränken, die zur Neige gegangene Lebensmittel automatisch nachbestellen, ist bereits seit Jahren die Rede.

Algorithmen treffen schon längst auch Vorhersagen über unser zukünftiges Kaufverhalten. Was wir wollen, könnten sie schon bald besser wissen als wir selbst. Dass der Online-Händler Amazon schon vor Jahren ein Patent zugesprochen bekam, das ein System beschreibt, mit dem Waren auf Basis von aus Kundenverhalten abgeleiteten Prognosen versandt werden können, noch bevor sie bestellt wurden, passt nur allzu gut ins Bild.

"Österreichs Zukunftsfähigkeit steht auf dem Spiel“

Achtung, Disruption: Firmen missverstehen das Thema, warnt Berater Heinz Marx (Syngroup)

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Wir sind bei der Digitalisierung eh gut unterwegs, sind die österreichischen Firmenchefs überzeugt. Das beruht aber auf einem Missverständnis, wie eine Umfrage im Auftrag des Verkehrsministeriums BMVIT offenbart: Die meisten setzen dabei nämlich Digitalisierung mit der intelligenten Fabrik gleich. Und wer Automatisierung ohnehin seit Jahrzehnten kennt und praktiziert, sieht sich gut gerüstet.

„Das greift zu kurz“, warnt Heinz Marx, Gründer des Beratungsunternehmens Syngroup, im Gespräch mit dem KURIER. Revolutionäre Themen würden gar nicht angegangen: „Wer die Smart Factory am besten umsetzt, dreht in seiner Branche als Letzter das Licht ab“, sagt Marx. Immerhin. Es verhindere aber nicht, von innovativen Rivalen überrollt zu werden, denn die wahre Umwälzung finde auf der Produktebene statt.

Deshalb müsse sich jeder fragen, ob sein Angebot künftig noch gefragt ist. Warum? In der Fließbandära wurden Produkte massenhaft produziert und dadurch billiger. Jetzt ist Maßanfertigung in industriellem Maßstab möglich („Losgröße 1“). Angenommen, ein Getränkehersteller füllt die Flaschen nach der individuellen Lieblingsrezeptur jedes Kunden ab. Nicht nur sehen dann Mitbewerber alt aus – es scheidet der Supermarkt als Vertriebsweg aus. Verpackungshersteller müssten sich darauf einstellen, es seltener mit Ware aus dem Regal, sondern mit Postversand zu tun zu haben.

Im Fachjargon heißt dieser Umsturz etablierter Branchen „Disruption“. Und die passiere nicht schleichend, sondern in Schockmomenten, sagt Marx: „Das ist wie beim Popcorn: Lange passiert gar nichts, sind aber 160 Grad erreicht, geht es blitzartig.“

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SYNGROUP, Heinz Marx, honorarfreies Pressefoto

Sieger ist, wer besser weiß, was der Kunde will. Daten sind essenziell, weil sie Service ermöglichen. Für die Menschen werde es wichtiger, mobil zu sein als in einem bestimmten Auto zu sitzen. Schließlich sei den Reisenden auch egal, ob ihr Flieger von Boeing oder Airbus stammt oder der Zug von Bombardier oder Siemens. „Deutsche Unternehmen sind unserer Erfahrung nach weiter“, sagt der Syngroup-Chef. Branchen wie Automobilindustrie oder Chemie sieht er in der Pionierrolle.

Auftrag ohne Strategie Wie widersprüchlich die Einstellung der Unternehmen zur Digitalisierung ist, zeigt eine Umfrage des BFI Wien unter 300 Managern. Zwar sehen sich vier von fünf Chefs gut bis sehr gut auf die Transformation vorbereitet. Zugleich weiß jedoch nur die Hälfte über die digitale Strategie der eigenen Firma Bescheid – ab der zweiten Führungsebene sind es noch weniger. Das Thema werde als wichtig erkannt; eine Digitalstrategie hätten aber längst nicht alle, sagt BFI-Wien-Chefin Valerie Höllinger.

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Valerie Höllinger, bfi, interview, Karriere

Die politische Elite denkt in veralteten Kategorien

Überforderte Regierungen. Bildung, Steuern, Arbeitsrecht, Wettbewerb – die Agenda ist lang und unerledigt

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Der technologische Umbruch lässt kaum einen Politikbereich unberührt. So richtig scheinen die Institutionen und Parteien – deren Wurzeln aus der dritten industriellen Revolution stammen – auf das 21. Jahrhundert nicht vorbereitet zu sein.

Bildung: Junge Menschen für die digitale Ära auszubilden, was heißt das eigentlich? Logisch wäre, dass Faktenwissen nicht mehr so wichtig ist, weil das jederzeit abgerufen werden kann. Aber wissen das unsere Lehrpläne? Und was soll künftig im Vordergrund stehen: Menschliche Fähigkeiten wie Empathie, Kreativität und soziale Kompetenz, die durch Maschinen nicht ersetzt werden können? Oder ist doch technologisches Know-how wichtiger?

Steuern: Wenn die Einnahmen des Staates nicht langsam, aber sicher versiegen, muss auch das Steuersystem auf die Höhe der Zeit gebracht werden. Mit einer immer höheren Belastung des Faktors Arbeit lässt sich unser soziales Sicherheitsnetz nämlich nicht auf Dauer finanzieren. Ganz gleich, ob man das Robotersteuer oder Wertschöpfungsabgabe nennen will und wie man es definiert: Dass der Staat unter neuer Überschrift abermals bei den Unternehmen abkassiert, wird sicher nicht die Lösung sein können. Stattdessen muss das Steuersystem als Ganzes umgebaut werden.

Arbeitsrecht: Was ebenfalls der Bestimmung harrt: Wie kann das Arbeitsrecht überhaupt regelnd eingreifen, wenn doch die Grenzen zwischen Job und Freizeit immer durchlässiger werden oder sogar ganz verschwimmen? Schließlich sind moderne Arbeitnehmer immer online, erreichbar und einsetzbar. Und was, wenn eine Art scheinselbstständiger Niedriglohnsklaven („Crowdworker“) für ein paar Eurocent pro Arbeitsstunde ausgebeutet wird?

Kartellwächter: Ein sträflich vernachlässigtes Thema ist fairer Wettbewerb. Die digitale Wirtschaft gehorcht nämlich der Devise „The Winner takes it all“ (Der Sieger erhält alles): Mehr Kunden heißt mehr Daten, heißt mehr Macht. Das führt zu mächtigen Monopolen, die den Wettbewerb behindern. Die Kartellwächter müssen dringend ihre Instrumente nachschärfen.

Infrastruktur: Aufholbedarf gibt es auch bei den Basics. Im EU-Digitalisierungsindex liegt Österreich auf Platz 10, bei der Schweizer Hochschule IMD (PDF, engl. 180 Seiten) auf Rang 16 (von 63). Zu wenig für ein Land, das spitze sein will.

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