Kurz-Leaks: Kabinette als Wahlkampf-Zentralen?

Sebastian Kurz
Trotz üppiger Förderungen versuchen Parteien immer wieder, staatliches Geld in Wahlkämpfe abzuzweigen. Ministerkabinette sind besondere Grauzonen.

Zuerst wollte die ÖVP nichts mit den durchgesickerten "Strategiepapieren" zu tun haben. Am Mittwoch gab man schließlich doch zu, dass mehrere der Dokumente, aber nicht alle, echt seien.

Schon vor dem Schwenk wurde heftig über die Relevanz der Papiere diskutiert: Sind sie Blaupausen für eine perfide Machtübernahme, die Kurz‘ wahres Gesicht zeigen – oder klassische Kampagnen-Pläne, wie sie im Grunde jede Partei anfertigt? Ist eine Hintergrundrecherche schon „Dirty Campaigning“ oder schlicht gute Vorbereitung? Und handelt es sich um eine Enthüllung mit historischer Dimension oder doch nur um eine Wahlkampf-Story von vielen?

Vieles davon ist Ansichtssache, die veröffentlichten Dokumente bleiben eher uneindeutig. Tatsächlich ergibt sich aus dem Inhalt aber zumindest ein konkreter Verdacht: Eine Reihe von Wahlkampf-Aufgaben sind laut dem Dokument "Projekt Ballhausplatz" für Personen vorgesehen, die zum damaligen Zeitpunkt – laut Falter Herbst 2016 – im Ministerkabinett von Kurz oder als Sektionsleiter im Außenministerium arbeiteten. Die ÖVP bestreitet nach wie vor, dass dieses Dokument aus dem Umfeld von Kurz stammt. Der Falter berichtete auch, dass in der Überarbeitungsgeschichte eines anderen Dokuments enge Außenministeriumsmitarbeiter von Sebastian Kurz aufscheinen.

Eine zentrale Frage lautet daher, ob Kabinettsmitarbeiter dazu verwendet wurden, Wahlkampf für eine Partei zu machen. Und sie betrifft einen Graubereich, den die Regierungsparteien in der Vergangenheit für sich zu nutzen wussten.

Quersubvention via Kabinett

Kabinettsmitglieder, Referenten genannt, erledigen politische Arbeit für den Minister und werden dafür von der Republik bezahlt. Früher kamen Regierungspolitiker noch mit ein paar Sekretären aus. Heute können die Kabinette schon einmal 20 bis 30 Personen umfassen.

Parteienfinanzierungsexperte Hubert Sickinger führt den Kabinetts-Boom bei SPÖ und ÖVP vor allem auf eines zurück: Sparen. „Die Kabinette sind in den Achtzigerjahren total gewachsen, während die Parteiorganisationen auf Bundesebene geschrumpft sind, weil bei den Parteien Geldknappheit herrschte. In Wirklichkeit wird heute zentrale Parteipolitik in die Ministerkabinette verlagert, das kann man in der politischen Szenerie beobachten“, sagt Sickinger.

Spenden verboten

Doch die Gesetzeslage ist eindeutig: Würden Kabinettsmitglieder für die Partei arbeiten, also etwa einen Wahlkampf organisieren, würde das als Spende gelten, als sogenannte „lebende Subvention“. Laut Parteiengesetz dürfen die Parteien allerdings keine Spenden von öffentlich-rechtlichen Institutionen annehmen, also auch nicht von Ministerien.

Dass Ministeriumsangestellte den Kurz-Wahlkampf planten, ist zwar nicht bestätigt. Doch selbst wenn sie involviert waren, müsste eine Reihe von Umständen erwiesen sein, bis man von einer illegalen Parteispende sprechen kann.

Was war die Tätigkeit?

Kabinettsmitglieder arbeiten für den Minister, aber nur für den Minister in seiner Funktion als Chef des Ministeriums. Wichtig ist es, zu unterscheiden, ob die politische Arbeit für das Ministerium geschieht oder für die Partei. Dass sich die Themen oft überlappen, erschwert die Übung. Aber die Organisation eines Wahlkampfs fällt relativ eindeutig nicht in den Bereich des Ministeriums. „Wenn Kabinettsmitarbeiter an Strategiepapieren zur internen Parteiübernahme des Ministers und gleich auch noch an Planungen für den darauffolgenden Wahlkampf und die Regierungsbildung arbeiten, ist das evidenterweise keine Kabinettsarbeit“, sagt Sickinger.

In der Arbeitszeit?

Aber nur weil sich jemand parteipolitisch betätigt, muss das noch nicht als Parteispende gelten. Auch Beamte und Staatsangestellte dürfen sich außerberuflich politisch betätigen, "das ist ein wichtiger Punkt", sagt Sickinger.

In welchem Ausmaß?

Es wird noch ein bisschen komplizierter. Betätigt sich ein Kabinettsmitglied parteipolitisch, dann ist es auch relevant, wie viel Aufwand er oder sie tatsächlich dafür betreibt.

„Juristisch ist es so, dass ein Ministeriumsmitarbeiter eine lebende Subvention ist, wenn er in Wirklichkeit für die Partei oder überproportional für Parteieninteressen arbeitet“, sagt Sickinger. Die Problematik hier beginnt bei der Definition der Grenze, wann es sich um maßgebliche Parteiarbeit handelt. „Das ist genau die Grauzone“, sagt Sickinger.

Was die aufgetauchten Strategiepapiere betrifft, kann Sickinger nicht sagen, „ob formal genug dran ist. Es kann sein, dass jemand anderer das verfasst hat und Ministeriumsmitarbeiter nur ‚drübergegangen‘ sind und sich nur relativ kurz damit befasst haben. Dann ist es möglicherweise unangreifbar.“

Wer zahlt?

Aber selbst wenn sich ein Ministeriumsmitarbeiter in die Parteipolitik vertieft, könnte das in Ordnung sein. Dann nämlich, wenn die Partei die Personalkosten übernimmt. Allerdings müsse das im Vornherein geschehen, sagt Sickinger. Ansonsten müsste die Partei den Spendenbetrag an den Rechnungshof zahlen.

Kaum Einblick

Dass Ministeriumsmitarbeiter Parteipolitik betreiben, ist in Österreich eine langjährige Usance. In welchem Ausmaß das geschieht, bleibt aber im Dunkeln. „Der entscheidende Punkt ist, dass die Auslagerung zentraler parteipolitischer Tätigkeit in Ministerkabinette aus meiner Sicht nicht legal ist", sagt Sickinger, der dafür eintritt, dass der Rechnungshof einschreitet. "Die legale Grauzone, die es hier gibt, sollte vom Rechnungshof ausgeleuchtet werden mit einer Sonderprüfung in allen Ministerien.“

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