Welche Taten die Polizei veröffentlicht

Welche Taten die Polizei veröffentlicht
Pressesprecher und Social-Media-Teams entscheiden, was an die Öffentlichkeit gelangen soll. Mit tatsächlicher Kriminalität hat das nicht viel zu tun.

205.219 Anzeigen verzeichnete die Polizei im Vorjahr in Wien. Eine gewaltige Zahl. Im Gegensatz dazu die Presseaussendungen des vergangenen Mittwoch: Da berichtet die Wiener Polizei über einen Verkehrsunfall mit einem schwer verletzten Fußgänger, zwei Festnahmen nach Einbrüchen in Pkw, zwei festgenommene Drogendealer und eine Lebensrettung durch Polizisten. "Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei zielt darauf ab, aktiv zu inszenieren", sagt Kriminalsoziologe Norbert Leonhardmair (siehe auch Interview unten, Anm.). Gleichzeitig sinkt das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung.

Info-Offensive?

In den vergangenen Jahren hat die Polizei ihre Öffentlichkeitsarbeit stark ausgebaut. Polizei-Presseabteilungen gibt es mittlerweile in allen Bundesländern, eigene Social Media-Teams bespielen Facebook, Twitter, Instagram und Snapchat.

Welche Taten die Polizei veröffentlicht
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Doch bilden die Aussendungen einen Querschnitt der Kriminalität ab? Vor zwei Jahren wurden tatsächliche Anzeigen und kommunizierte Straftaten schon einmal vom ORF unter die Lupe genommen. Ergebnis: Jeder fünfte Handtaschenraub wurde kommuniziert. Aber nur jede 43. Vergewaltigung. Verhaftete Drogendealer präsentierte die Polizei fast täglich, rassistisch motivierte Gewalt fast nie. Über Delikte in Favoriten wurde deutlich häufiger berichtet als etwa in Döbling.

Ein Vorwurf, den Daniela Tunst, die neue Leiterin der Wiener Pressestelle, nicht gelten lässt. "Wir informieren transparent, offen und ausgewogen – im Rahmen unserer Möglichkeiten." Im Vordergrund müssten aber Persönlichkeits-, Opfer- und Datenschutz stehen. Zudem dürfen laufende Ermittlungen nicht gefährdet werden, außerdem wolle man keine Nachahmungstäter animieren.

Welche Taten die Polizei veröffentlicht
Daniela Tunst,LPD Wien

Welche Informationen weitergegeben werden, beschließt das Team der Öffentlichkeitsarbeit täglich bei einer Morgenrunde, im Durchschnitt werden sieben Meldungen ausgewählt. "Wir haben gesehen, dass diese Anzahl von Meldungen von den Medien entsprechend verwertet werden."

Tunst gibt offen zu, dass über diesen Kanal auch gerne Erfolge vermeldet werden. "Natürlich vermarkten und präsentieren wir uns auch so. Das ist unsere Möglichkeit, etwas für unser Image zu tun."

Gefasste (Klein-)Dealer etwa sind eine schöne Erfolgsmeldung. "Das Thema war eine gewisse Zeit auch in der öffentlichen Wahrnehmung sehr präsent." Aktuell sind es oft Meldungen über verletzte Polizisten, die kommuniziert werden. "Weil dieses Thema in einer Phase massiver war."

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Vorgaben, was die Polizei berichtet, gibt es keine, betont Alexander Marakovits, Sprecher des Innenministeriums. "Das handhabt jedes Bundesland anders. Wir haben Erfahrungswerte gesammelt, was von Medien übernommen wird. Das zerbrochene Fenster interessiert weniger als der Raub oder ein Mord, das sagt uns schon der Hausverstand."

Sachen zum Lachen

Und nicht alles wird überall veröffentlicht. "Social Media hat eine andere Aufgabe als die Pressearbeit. Da können auch Geschichten zum Schmunzeln dabei sein, das gehört zur Imagepflege."

Auslöser für die Social-Media-Arbeit waren massive Vorwürfe gegen das Innenministerium wegen der Flüchtlingsunterbringung in Traiskirchen. "Da wurden falsche Informationen verbreitet, teilweise unter der Gürtellinie", sagt Marakovits. Durch Facebook, Twitter und Co. hätte man einiges richtigstellen können. Die Reichweite ist enorm. Das Innenministerium hat 100.000 Follower, das Bundeskriminalamt rund 50.000.

Auch Snapchat wird von der Polizei bedient. "Für meine Teenager-Tochter ist Facebook kein Thema. Die ist nur auf Snapchat. Und auch diese jungen Leute wollen wir erreichen." Mit jugendgerechten Meldungen.

Der KURIER sprach mit dem Kriminalsoziologen Norbert Leonhardmair.

KURIER: Wovor fürchten sich die Österreicher eigentlich am meisten? Norbert Leonhardmair: Ganz klassisch. Vor Jobverlust, Trennungen, Geldproblemen. Die alltäglichen Sorgen haben wenig mit Terrorismus zu tun.

Und wenn es um Kriminalität geht? Da machen Wohnungseinbrüche, sexuelle Straftaten und Gewaltverbrechen am meisten Angst.

Welches Bild schafft die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei von der Kriminalität? Die Polizei zeichnet ein bestimmtes Bild von Kriminalität. Der mediale Auftritt ist nur ein kleiner Teil der Realität. Bei der Festnahme von Drogendealern etwa hat man etwas Positives zu berichten. So kann man Erfolge präsentieren. Man präsentiert sich als Verbrechensbekämpfer. Das funktioniert auch, wenn eine Einbruchsserie geklärt worden ist. Dazwischen kommt eine gerettete Katze zum Auflockern. Ich kann das ein Stück weit nachvollziehen. Aber so etwas kann auch einen negativen Effekt haben, etwa bei den Drogendealern. Es zeichnet ein bestimmtes Bild von Tätern. Und irgendwann gewöhnt man sich daran.

Kaum erwähnt werden zum Beispiel Vergewaltigungen. Das ist schon sinnvoll, auch im Sinne des Schutzes der Betroffenen. Am Beispiel Köln haben wir aber gesehen, dass sich dann auch sehr die Sensibilität erhöht. Plötzlich gab es damals auch Anzeigen zu Übergriffen in Österreich. Da kommt ein Kreislauf in Gang, der mit der Zeit aber wieder abebbt. Ähnlich ist es mit Plätzen, über die häufig berichtet wird, zum Beispiel den Praterstern oder den Gürtel. Solche Orte bekommen einen bestimmten Ruf, der ihnen eine Zeit lang erhalten bleibt. Das Thema hält sich dann vor allem überregional. Je weniger die Leute damit zu tun haben, desto eher fürchten sie sich. Ansässige sehen das meistens ganz anders.

Die Polizei hat auch ihre Kommunikation auf sozialen Medien massiv ausgebaut. Ein guter Schritt? Das macht Sinn, etwa wenn zeitnah über Straßensperren oder Demos informiert wird. Da kann man die Kanäle sinnvoll nutzen. In anderen Ländern wird auch viel Präventionsarbeit über Social Media gemacht, das sehe ich in Österreich nicht so. Vorteil ist, dass die Polizei so niederschwellig auch mit der Bevölkerung in Kontakt kommt. Aber das bedeutet auch, dass man einen gewissen Ressourcen-Einsatz, also Mitarbeiter braucht. Denn ich kann da ja nicht kontrollieren, wer was schreibt.

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