FPÖ auf dem Sprung in die Regierung
Erst drei Mal in der Geschichte der Zweiten Republik hat es bei Nationalratswahlen einen Wechsel der stärksten Partei gegeben. Bis 1970 war die ÖVP stärkste Partei, von da an bis 2002 war die SPÖ stärkste Partei. 2006, vier Jahre nach Wolfgang Schüssels Wahlsieg, haben die Sozialdemokraten die Nummer-1-Position wieder zurückgeholt und haben sie seither inne.
In Summe steht es 29 Jahre ÖVP zu 43 Jahren SPÖ auf dem Siegespodest.
Heute könnte sich das Blatt zum vierten Mal seit 1945 wenden, indem die ÖVP als Erste durchs Ziel geht.
Und was kommt nach dem Wahlsonntag?
Hier die wichtigsten Koalitionsszenarien.
ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat vor, in Rekordzeit eine Regierung auf die Beine zu stellen. Kolportiert wird, er wolle bis zum Nationalfeiertag am 26. Oktober, also in nur elf Tagen, ein Grundsatzabkommen mit der FPÖ aushandeln. Dieses soll ein großzügiges Angebot an die Freiheitlichen enthalten. Es sollen Großprojekte für die nächste Legislaturperiode definiert werden und prioritäre Sofortprojekte für jede Partei.
Als Beispiele werden genannt: Die FPÖ soll ihr Wahlversprechen, wonach all jene, die 40 oder 45 Jahre gearbeitet haben, 1200 Euro Mindestpension bekommen, sofort umsetzen können. Kurz selbst will, wie angekündigt, ehebaldigst kleine und mittlere Einkommen entlasten und 1500 Euro Steuerbonus pro Kind einführen.
Einen detaillierten Koalitionspakt sollen, falls diese Speed-Variante durchgezogen wird, "die Experten später nachliefern", heißt es.
Prestigeträchtige Ämter
Auch personell soll das Angebot der ÖVP an die FPÖ großzügig ausfallen. Im Gespräch ist, das protokollarisch zweithöchste Amt der Republik, den Ersten Nationalratspräsidenten, der FPÖ zu überlassen. An sich stünde diese Position der stärksten Fraktion zu, aber da dies nicht gesetzlich festgelegt ist, sondern nur eine Gepflogenheit, könnte die ÖVP darauf verzichten. Laut Plan soll Norbert Hofer Nationalratspräsident werden. Hofer hat beim FPÖ-Wahlauftakt in Wels angekündigt, in fünf Jahren erneut für die Hofburg zu kandidieren. Das prestigeträchtige Amt als Parlamentspräsident wäre ein ideales Sprungbrett dafür.
Im Gegenzug verzichtet die FPÖ auf das Außenamt, für das Bundespräsident Alexander Van der Bellen aus Rücksicht auf die Reputation der Republik und die EU-Ratspräsidentschaft 2018 ohnehin keinen Blauen angeloben will.
Im Finanzministerium ist mit Josef Moser ein Mann gesetzt, der viele Denkansätze aus der FPÖ, deren Klubdirektor er lange Jahre war, mitbringt. Alle anderen Ressorts (bis auf die Landwirtschaft) sind, so ist aus der ÖVP zu hören, verhandelbar. Selbst ein zu einem Standortministerium aufgewertetes Wirtschaftsressort würde die ÖVP der FPÖ überlassen.
Die Wahrscheinlichkeit von Schwarz-Blau: höher als 50 Prozent. Und sie wird umso höher, je beeindruckender ein Sieg von Sebastian Kurz heute ausfällt.
Wird der Vorsprung der ÖVP auf die SPÖ hingegen knapp (zuletzt war er in Umfragen auf drei bis vier Prozentpunkte zusammengeschmolzen), umso eher kommt die rot-blaue Koalitionsvariante ins Spiel.
Die Lage in der FPÖ: Die starke oberösterreichische Landesgruppe ist für Schwarz-Blau. Sie hat aber den Wienern rund um Parteichef Heinz-Christian Strache und Generalsekretär Herbert Kickl signalisiert, dass der Bund bzw. die Wiener die Koalitionsform entscheiden sollen, und sie würde das mittragen. Die FPÖ Wien ist mehrheitlich für Rot-Blau (weil sie bei der nächsten Gemeinderatswahl bei Schwarz-Blau nichts zu gewinnen hätte). Kickl und andere FPÖler leiden immer noch an einem Schüssel-Trauma (die letzte Koalition mit der ÖVP bezahlte die FPÖ mit Parteispaltung und Beinahe-Rauswurf aus dem Parlament).
In der SPÖ wiederum gibt es zwei starke Motive für Rot-Blau: Erstens, ein heiliger Zorn auf Sebastian Kurz. Zweitens, null Bock auf die Opposition. Außer Christian Kern, der angekündigt hat, die SPÖ als Zweite in Opposition zu führen, will das so gut wie keiner. Oder, um Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl zu zitieren: "Opposition ist Mist."
Andererseits gibt es in der SPÖ auch große (ideologische) Widerstände gegen eine Koalition mit der FPÖ. In der Frage Macht oder Moral gewinnt jedoch oft ersteres. Dennoch hätte die SPÖ auf dem Weg zu Rot-Blau noch einen großen Stein aus dem Weg zu räumen: Sie hat einen aufrechten Parteitagsbeschluss gegen eine Koalition mit der FPÖ. Sie müsste einen Parteitag abhalten oder eine Urabstimmung durchführen. "Wenn der Wille da ist, wird sich ein Weg finden", sagt ein Intimkenner der SPÖ sibyllinisch.
Was noch für Rot-Blau spricht: Eine große Gruppe in der SPÖ Wien um Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und die alten Faymann-Getreuen wollen alles tun, um eine SPÖ in der Opposition zu verhindern. Denn SPÖ in Opposition ist gleichbedeutend mit Schwarz-Blau. Und wenn es im Bund eine schwarz-blaue Regierung gibt, die noch dazu, wie Kurz zuletzt klar machte, einen Frontalkurs gegen Wien fährt, geht die SPÖ Wien sofort in den Kampfmodus über. Und da braucht sie dann keinen verbindlichen Pragmatiker wie Michael Ludwig an der Spitze, sondern eine linke Kampfmaschine. Anders formuliert: Bei Rot-Blau hat Ludwig eine Chance auf die Nachfolge von Michael Häupl, bei Schwarz-Blau kaum.
Die Wahrscheinlichkeit von Rot-Blau: Unter 50 Prozent. Je geringer der Abstand zwischen SPÖ und ÖVP, umso wahrscheinlicher.
Sollte die FPÖ als Zweite vor der SPÖ durchs Ziel gehen, was denkbar ist, ist Rot-Blau wohl keine Option, denn dann müsste die FPÖ den Kanzler herschenken.
Ist die Fortführung der Großen Koalition eine Möglichkeit? Laut Ergebnis-Szenarien und Stimmungslage in den Parteien nur in dem wenig wahrscheinlichen Fall, dass die SPÖ Nummer 1 bleibt. Wahrscheinlichkeitsfaktor unter fünf Prozent.
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