Experte: Aus für Pflegeregress wird zum teuren "Wahlzuckerl"

Schelling: „Finanzierung Teil der nächsten Budgetverhandlungen“
Kosten für Übernahme aller Pflegeheimkosten offen, Politiker und Experten vermissen eine umfassende Reform.

Immerhin einhundert Millionen Euro lässt sich der Bund die Abschaffung des Pflegeregresses kosten.

Dieses Geld bekommen die Bundesländer, die dafür ab Jahresbeginn 2018 nicht mehr auf das Privatvermögen von Heimbewohnern zugreifen. Für das kommende Jahr dürfte sich der Betrag noch kostendeckend ausgehen, dann aber sicher nicht mehr. Das ergab ein Rundruf in den Ländern.

Zum Beispiel: 35 Millionen nahm Wien bisher aus dem Regress ein, 8 bis 10 Millionen Vorarlberg. Für ganz Österreich nennt das Sozialministerium 170 bis 200 Millionen, die es bei den Verhandlungen zum Budget und mittelfristigen Finanzrahmen für 2019 und Folgejahre aufzubringen gilt.

Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer kritisiert das "Wahlzuckerl" scharf. Pichlbauer sagt über das Ende des Pflegeregresses: "Das ist eine reine Polit-Show. Der Regress wurde abgeschafft, ohne an die Konsequenzen zu denken. Woher nehmen sie die zusätzlichen Heimplätze, woher das zusätzliche Personal, wenn morgen plötzlich – Hausnummer – 20.000 Menschen einen Heimplatz wollen? Die 100 Millionen Euro sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das kann die Hölle werden."

Das sehen die involvierten Politiker offenbar weit weniger dramatisch. Ein wirkliches Finanzierungskonzept gibt es jedenfalls nicht, bloß Ideen, und wird es vor der Wahl am 15. Oktober auch nicht geben. Dafür richten Rot und Schwarz einander jede Menge Unfreundlichkeiten aus.

Vollholler zur Potenz

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat die Finanzierung über eine Erbschaftssteuer, wie das SPÖ-Chef Christian Kern will, als "Vollholler zur Potenz" bezeichnet. Über die Finanzierungsideen der ÖVP spottet wiederum die SPÖ: "Wenn man 200 Millionen sparen kann, indem man ein Bild auf die E-Card klebt, dann sind wir gerne dabei – allerdings darf man leichte Zweifel haben, ob diese Form der Finanzierung sich wirklich ausgeht", sagt Kern.

Die Länder wollen jedenfalls das absehbare Finanzloch nicht hinnehmen und pochen einmal mehr auf eine 15a-Vereinbarung mit dem Bund. Überhaupt sei die langfristige Finanzierung der Pflege sicher zu stellen, erinnert Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser. Das sieht auch Gesundheitsexperte Pichlbauer so: "Das Aus für den Pflegeregress ist in Wahrheit nur ein winzig kleines Detail-Problem. "

"Revolutionär" wäre, wenn das Pflegesystem wirklich vom Sozial- ins Gesundheitssystem überführt würde, wie das der ÖVP-Chef Sebastian Kurz bereits hat durchblicken lassen.

Denn das Sozialsystem kennt nur Geld-, nicht aber Sachleistungen. Würde also umgestellt, könnte der Staat z. B. die Pflegerin daheim als Sachleistung bezahlen und sich den Heimplatz sparen – statt wie bisher nur Pflegegeld zu zahlen und Bettenburgen zu finanzieren. Pichlbauer: "Derzeit zielen alle Anreize darauf ab, dass man möglichst schnell in eine hohe Pflegegeldstufe kommt."

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