Vranitzky: "Schuldenbremse ist abstrus"

Vranitzky: "Schuldenbremse ist abstrus"
Warum die Grün-Chefin den Ex-SP-Kanzler als Mitglied werben will

Als den Grünen 1986 der Sprung ins Parlament glückte, hatte Franz Vranitzky gerade das Ruder in der SPÖ übernommen. Anlässlich des runden Parlamentsjubiläums ihrer Partei traf Bundessprecherin Eva Glawischnig den früheren Bundeskanzler:

KURIER: Frau Glawischnig, inwiefern unterscheidet sich der Gestaltungswillen der Grünen von der Situation vor 25 Jahren?
Eva Glawischnig:
Ich selbst komme ja aus einer Widerstandsbewegung, der Umweltbewegung, und für mich war es als junge Frau völlig normal mit Handschellen auf eine Baustelle zu gehen. Das hat sich bei mir aber auch bei den Grünen geändert. Irgendwann ist Widerstand allein zu wenig. Man will gestalten.

Herr Vranitzky, 1986 haben Sie im "Spiegel" gesagt: Die Grünen sind unberechenbar. Stimmt das heute noch?
Franz Vranitzky:
Seit 1986 hat sich viel geändert. Die Grünen sind von einer Umweltbewegung zur ganzheitlichen Partei geworden, mit der man soziale oder bildungspolitische Anliegen selbstverständlich diskutiert. Zum erwähnten Gestaltungswillen ist zu sagen: Hier leiden wir bis heute unter Defiziten. Notwendige Beschlüsse werden spät oder mit kritischen Zwischentönen gefällt. Das führt dazu, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik verliert. Außerdem halte ich es für unmöglich, vor allem einschränkende Maßnahmen zu treffen - wir brauchen auch offensive. Die Menschen brauchen Hoffnung.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Vranitzky:
Es gibt in Österreich viel mehr junge Menschen, die ein Hochschulstudium machen wollen. Die Kapazitäten reichen aber nicht, weshalb die Politik Studiengebühren, K.o.-Prüfungen und Ähnliches erfindet ...
Glawischnig: ... jetzt biete ich Ihnen gleich die Parteimitgliedschaft an ...
Vranitzky: Aber ich habe nie jemand sagen hören: Wir haben mehr Studierende, also brauchen wir mehr Geld und einen Fünfjahresplan, der uns in Europa an die Spitze bringt.
Glawischnig: Die Eliten haben versagt, die Weichen zu stellen - und da rede ich nicht nur von Bildung oder Klimawandel, sondern auch von den Finanzmärkten. Die geplante Schuldenbremse ist absurd, wenn nicht die Reichen den Großteil des Sparpakets tragen.
Vranitzky: Die Schuldenbremse im Verfassungsrang ist abstrus. Was bedeutet das? Ich, Regierung, gehe zu dir, Parlament, und bitte dich: Verordne mir eine Schuldenbremse, weil allein schaff' ich's nicht!

Herr Vranitzky, Sie haben gesagt, an den Grünen hat Ihnen manches gefallen, doch oft war Ihnen die Öko-Partei lästig. Warum?
Vranitzky:
Das hatte zwei Gründe: Zunächst kamen viele grüne Politiker aus der SPÖ - und die sind nicht in guter Laune gegangen, sondern aus Protest. Das Zweite war: Die Grünen waren sehr frei in ihrer Wortwahl. Das hat mich mitunter geärgert, denn als Vorsitzender einer großen Traditionspartei hat man diesen Bewegungsspielraum nicht.
Glawischnig: Da kann ich nur zustimmen. Karl Öllinger (grüner Sozialsprecher, Anm. ) ist von Kreisky aus der SPÖ wegen Aufmüpfigkeit ausgeschlossen worden und sieht das bis heute als Auszeichnung. Wobei ich Ihnen bei der Beweglichkeit widersprechen muss: Im Unterschied zur Gründergeneration gibt es heute bei uns einen anderen Professionalisierungsgrad mit einheitlichem Konzept und Auftritt.

Sind die Grünen Teil des Establishments?
Vranitzky:
Es steht außer Zweifel, dass die Sozialdemokraten viel von den Grünen übernommen haben. Heute traut sich niemand gegen saubere Umwelt oder sauberes Wasser zu sein. Im Gegenzug müssen sich die Grünen aber immer öfter fragen lassen: Was bleibt eigentlich noch von eurem Programm?
Glawischnig: Ich seh' das anders: Wer das Bewusstsein einer Gesellschaft so verändert, dass man daran nicht vorbei kann, der ist sehr erfolgreich. Jetzt müssen wir die Maßnahmen auf den Boden bringen. Green Jobs zu propagieren reicht nicht. Man muss sie schaffen.

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