Vollholler, Pupperl & powidl: Neuer Kanzler-Stil mit alten Vokabeln

Mit Dialekt nahe beim Bürger: Häupl, Kern
Image-Korrektur. Christian Kern setzt jüngst auffällig oft auf Wiener Dialekt-Ausdrücke. Das soll für Aufmerksamkeit und Volksnähe sorgen, so ein Experte.

Am Anfang klangen die Statements von Christian Kern noch sperrig. Kern hatte große Mühe, den technokratischen Manager-Sprech und Redewendungen aus dem Englischen ("Am Ende des Tages") nicht mehr zu verwenden.

Im von Kanzler überarbeiteten Regierungsübereinkommen heißt es zum Beispiel beim Thema "Family Office Centre": "Dieser Vorteil soll weiter ausgebaut werden, etwa durch (..) one-stop-shop-Prinzip in der FMA mittels einer neuen Regulatorischen Task Force (z. B. Financial Service Unit) zur Beschleunigung der Prozessabläufe und als Direct Point of Contact für ausländische Asset Manager und Finanzinvestoren (High Level Service als Pull-Faktor)." Sicher ein Negativ-Beispiel für Kommunikation, die niemanden erreicht.

Mittlerweile formuliert der Regierungschef so oft er kann locker, er verweist gerne auf seinen Aufstieg vom Arbeiterkind zum Top-Manager und hat auch seine Sprache angepasst: Sätze wie "Das ist ein populistischer Vollholler" (vor zehn Tagen über die Ansage von ÖVP-Chef Kurz, die Mittelmeerroute schließen zu wollen), "Die FPÖ ist mir powidl" (vorgestern zum Vorwurf der Übernahme von FPÖ Positionen durch die SPÖ) oder "Sie sind ja ein junges Pupperl" (gestern im Pensionistenheim zu einer 88-Jährigen) kommen ihm immer wieder gerne über die Lippen. Der Experte vermutet Kalkül dahinter: "Politiker müssen in der medialen Inszenierung längst alle Register ziehen. Ich bezweifle, dass plötzlich eingeworfene Wiener Dialektwörter zufällig passieren", glaubt der Manfred Glauninger, Sprachwissenschaftler an der Uni Wien und der Akademie der Wissenschaften.

Warum ist das so? "Durch vereinzelte Dialektwörter verändert sich die Atmosphäre der Kommunikation, die Linguisten nennen das Kontextualisierung", erklärt der Dialektexperte. Was hochtrabend klingt, ist im Grunde ganz einfach: Die einen verstehen solche Dialekt-Einschübe des Kanzlers als Ironie, als sprachliches Augenzwinkern, andere als Zeichen für Emotion.

Dazu komme, dass die Wiener Jugend kaum mehr im klassischen Sinn Dialekt spreche. "Der ist aus der Alltagskommunikation weitgehend verschwunden. Wenn dann Wienerische Wörter plötzlich auftauchen, sind sie auffällig. Die Werbung arbeitet schon lange damit."

Das sei auch mit einem gesellschaftlichen Wandel einhergegangen: "Früher war Dialekt in bestimmten Situationen nicht erwünscht, das wurde negativ wahrgenommen, etwa als wenig weltgewandt." Heute könne diese Art Sprache eine Nähe vermitteln, es wirke einfach sympathisch. "’Das ist mir powidl’ ist ein sehr gutes Signal für das Wienerische des Kanzlers, damit wirkt er lässig. Ganz im Stil des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl", meint Glauninger. "Allerdings ist Häupl in dieser Art der Kommunikation sicher Weltmeister."

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