Türkis-Blau: Fast jedes Kapitel stößt auf Kritik

Strache und Kurz
Sozialversicherungen, direkte Demokratie, Kammer-Pflichtmitgliedschaften und zuletzt Bildung: Ein Großteil der Ideen, die ÖVP und FPÖ aufgreifen, stößt auf massive Kritik.

Je mehr Details aus den Koalitionsverhandlungen bekannt werden, umso lauter ist Kritik an den Vorhaben von ÖVP und FPÖ zu hören. Das Bildungskapitel missfällt NEOS und Elternvertretern. Die geplanten Änderungen in der Sozialversicherung machen die Christgewerkschafter unglücklich und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl verwehrt sich gegen eine Zerschlagung der Kammern.

Auch Neues sickerte am Mittwoch aus den Verhandlungen an die Öffentlichkeit. Die Finanzierung des Gesundheitswesens soll nämlich über neun Landes-Töpfe gesteuert werden. Derzeit werden die niedergelassenen Ärzte über die Sozialversicherung finanziert, die Spitäler großteils von den Ländern. Künftig sollen in den Zielsteuerungskommissionen auf Länderebene nicht nur die Strukturen geplant werden, sondern Länder und Sozialversicherungen auch ihre Finanzmittel hier einbringen und über deren Verwendung gemeinsam entscheiden. Vorgaben der Bundes-Zielsteuerungskommission sollen dabei zu berücksichtigen sein.

Gegen direkte Demokratie

Einvernehmen herrscht in der Fachgruppe auch über die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen, wobei auch regionale Ausprägungen berücksichtigt werden sollen. Die Sozialversicherungsanstalten der gewerblichen Wirtschaft und der Bauern sollen zu einer Kasse für die Selbstständigen zusammengelegt, jene der Beamten ebenso wie die Pensionsversicherungsanstalt erhalten bleiben. Im Gespräch ist eine Auflösung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). In diesem Fall soll auch eine Senkung des von den Arbeitgebern zu entrichtenden Unfallversicherungsbeitrages von derzeit 1,3 auf 0,8 Prozent kommen.

All diese Pläne, die letztlich auch die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung in Frage stellen dürften, stoßen nicht nur bei den roten Gewerkschaftern auf Unverständnis. Die Wiener Christgewerkschafter warnten am Mittwoch vor einer "Zerschlagung der Sozialpartnerschaft", die nur heimischen Großbetrieben und internationalen Konzern-Multis helfe.

Gegen das Vorhaben, die direkte Demokratie mit einem Volksabstimmungs-Automatismus auszubauen, rückten indes Verfassungrechtler und Ex-Politiker aus. Ein Beispiel: Heinz Fischer (SPÖ), ehemaliger Bundespräsident, warnte erst jüngst im KURIER vor einer "plebiszitären Ja/Nein-Demokratie".

Noch gerungen wird in der Koalition, was eine Reform der Kammern angeht, wobei die Vorschläge ja von einer Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bis zu einer Senkung der Umlagen reichen. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sah sich am Mittwoch zu einer Warnung genötigt: "Reformieren ja, ruinieren nein", lautet sein Credo.

Zufrieden ist der Kammer-Chef dagegen mit den Bildungsplänen, die von ÖVP und FPÖ gestern präsentiert wurden. Tendenziell positiv äußerte sich auch der oberste Lehrervertreter Paul Kimberger: "Oberflächlich gesagt gehen viele Dinge in die richtige Richtung", meinte er etwa zum Ausbau der Sprachförderung. Man werde jetzt aber einmal auf das "Kleingedruckte" warten müssen.

"Ins pädagogische Mittelalter"

Wenig begeistert zeigen sich jetzt schon die Elternvertreter. Insgesamt falle man "ein bisschen ins pädagogische Mittelalter zurück", meinte ihr Vorsitzender Karl Dwulit: "Man geht mehr aufs Selektieren und Ausgrenzen und nicht aufs gemeinsame Erhöhen der Chancen für alle Kinder." NEOS-Klubchef Matthias Strolz sieht im schwarz-blauen Papier einen "echte Chancen-Killer für junge Menschen". So zeuge etwa die Wiedereinführung der Ziffernnoten von einer "Sehnsucht nach Zucht und Ordnung". Auch Stephanie Cox von der Liste Pilz wertet die Pflicht zur Ziffernnote auch in der Volksschule als "großen Rückschritt".

Einen großen Fortschritt erhoffen hingegen die Südtiroler, was eine engere Bindung an Österreich angeht. Altlandeshauptmann Luis Durnwalder sieht die Chance auf eine österreichisch-italienischen Doppelstaatsbürgerschaft "so günstig wie noch nie." "Es wäre eine schöne Geste", findet der SVP-Politiker, der zusammen mit 24 weiteren ehemaligen Mandataren der Südtiroler Volkspartei und Funktionären eine entsprechende Petition an die österreichischen Koalitionsverhandler gerichtet hat. Bei der FPÖ hat man bereits ein offenes Ohr gefunden. "Wir wollen es", sagte FPÖ-Südtirol-Sprecher Werner Neubauer am Mittwoch. Die endgültige Entscheidung werde in den finalen Gesprächen zwischen den Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) fallen.

Vom Finale ist man noch ein Stück entfernt. Donnerstag werden ÖVP und FPÖ wieder gemeinsam nach einer Sitzung der Steuerungsgruppe an die Öffentlichkeit gehen und vermutlich ein neues Kapitel präsentieren.

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