"Nicht alle Studenten der Welt aufnehmen"

Karlheinz Töchterle, FH Technikum Wien, Besuch
VP und Rektoren wollen nach OGH-Urteil Zugang in allen Fächern beschränken, SP und ÖH sagen Nein.

Neues Gerichtsurteil, alter Polit-Streit. Ein Grazer Medizin-Student hat wegen schlechter Studienbedingungen auf Schadenersatz geklagt; er bekommt ihn (siehe auch unten). Nun wird heftig über die Folgen des Richter-Spruches debattiert.

Ist zu befürchten, dass jetzt viele Hochschüler klagen? Nein, sagt Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle. Der Fall sei aus dem Jahr 2005; mittlerweile sei der Zugang zum Medizin-Studium beschränkt, die Sache damit „bestens gelöst“, argumentiert der ÖVP-Mann.

Dennoch will er politisch reagieren. Einmal mehr drängt Töchterle darauf, den Zugang in allen Studienrichtungen an allen Unis zu beschränken: „Wir können nicht alle Studierenden der Welt aufnehmen.“ ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger pflichtet ihm bei. Derzeit gibt es vereinzelt Beschränkungen – für besonders begehrte Fächer wie Medizin und Psychologie.

Zudem möchte Töchterle eine generelle „Studienplatzfinanzierung“: Jede Uni vereinbart mit dem Bund, wie viele Plätze sie in welcher Studienrichtung pro Jahr offeriert. Und für jeden dieser Plätze zahlt der Staat einen bestimmten Betrag.

"Nicht alle Studenten der Welt aufnehmen"
Eine Studie des Wissenschaftsministeriums aus dem Jahr 2011 hat ergeben, dass viele Fächer überlaufen sind. Ab Herbst wird gegengesteuert. Drei Jahre lang wird die „Studienplatzfinanzierung“ getestet – in fünf Studiengebieten (Architektur, Biologie, Informatik, Pharmazie, Wirtschaftswissenschaften); diese umfassen wiederum 28 Fächer. Die Mindestplatz-Zahl orientiert sich an der Anfängerzahl des Wintersemesters 2011/’12. Damit muss die Technische Uni Wien in Architektur 1030 Hörer aufnehmen, obwohl sie nur Platz für 470 hat.

Nicht nur da sei „die Zahl der vorgeschriebenen Kapazitäten zu hoch und stimmt nicht mit den vorhandenen Kapazitäten überein“, klagt Heinrich Schmidinger, Frontmann der Universitätenkonferenz, im KURIER-Gespräch. Wie Töchterle will er flächendeckende Zugangsregeln: „Das seinerzeitige System mit völlig freiem Zugang ohne jede Regelung und auf der anderen Seite nicht genügend Ressourcen geht einfach nicht mehr.“ Schmidinger möchte auch, dass Studenten wieder Gebühren zahlen.

Schelte für die ÖVP

"Nicht alle Studenten der Welt aufnehmen"
Die ÖVP hat er damit auf seiner Seite; die SPÖ nicht. Deren Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl (Bild) ist genervt. „Egal, welches Problem es gibt – von der ÖVP kommt immer die gleiche Antwort: Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen.“

Um die Studienbedingungen zu verbessern, seien mehr Plätze vonnöten, sagt Kuntzl zum KURIER. Also mehr Geld für die Unis? „Was gebraucht wird, ist ein Hochschulplan mit einer Analyse des Ist-Zustands. Wo sind mehr Plätze nötig? Wo mehr Absolventen? Was Töchterle bisher vorgelegt hat, verdient den Namen Hochschul-Plan nicht.“

Punkto Zugangsbeschränkung für alle Fächer warnt Kuntzl: „In Salzburg auf der Psychologie sind 70 Prozent Deutsche. Würde der Zugang begrenzt, könnte es noch weniger Plätze für Inländer geben, weil wir weiterhin Studierende aus der EU aufnehmen müssen. Eine Quote für ausländische Studierende gibt es ja nur in Medizin. Welche Perspektive geben wir jenen, die wir abweisen?“

Damit ist Kuntzl eines Sinnes mit der Studentenvertretung. Mit Verweis auf die Limitierung in 19 Studien befindet der Generalsekretär der ÖH, Christoph Huber: „Zugangsbeschränkungen werden das Problem nicht lösen. Das zeigt die Zahnmedizin, wo Studierende trotz Beschränkungen immer wieder Zeit verlieren.“

Damit verlaufen die Fronten wie vor dem Gerichtsurteil: ÖVP und Rektoren gegen SPÖ und ÖH. Und so ist auch Töchterle bewusst: Vor der Wahl wird nicht gespielt, was er wünscht. Hernach möchte er es weiter versuchen – sofern er wieder wird, was er wieder werden möchte: Minister für Wissenschaft.

Sieben Jahre wurde darum gestritten, am 11. April 2013 fällte der Oberste Gerichtshof das endgültige Urteil: Die Republik muss einem jungen Arzt Schadenersatz zahlen, weil er aufgrund mangelnder Kapazitäten an der Medizin-Uni Graz sein Studium erst mit Verzögerung abschließen konnte.

Mit 20.001 Euro war der Streitwert relativ gering, hinzu kommen aber 26.610,43 Euro an Verfahrenskosten, die die Republik zu tragen hat. Weitere 113 Studenten waren laut Urteil 2005 in der selben Situation – trotzdem ist eine Klagsflut laut OGH-Sprecher Kurt Kirchbacher nicht zu erwarten: Er verweist auf eine dreijährige Verjährungsfrist und den Nachweis eines konkreten Schadens: „Wer bis 2008 nicht geklagt hat, für den gibt es keine Aussicht auf Schadenersatz.“ Zudem habe die Republik durch die Einführung von Zugangsbeschränkungen die Lage entschärft.

Pikant am Verfahren ist der Rechtsbeistand des jungen Arztes: Die Kanzlei von SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim gewann letztlich das Verfahren gegen die Republik. Dass er damit der ÖVP zumindest indirekt neue Argumente für eine Beschränkung des Uni-Zugangs lieferte, wollte Jarolim auf KURIER-Anfrage nicht kommentieren. Er verwies auf seine anwaltliche Schweige- pflicht, auch der junge Arzt wollte sich nicht äußern.

Die Hochschülerschaft, die die Klage unterstützt hat, kündigte an, weiteren möglichen Klägern zu helfen. Derzeit seien aber keine weiteren Fälle gerichtsanhängig.

Österreich hat sich entschieden, ein extrem gut ausgestatteter Sozial-Standort zu sein. Dazu zählt auch, dass der Studienzugang unter allen Umständen gratis sein muss – auch wenn dies mittlerweile reinen Symbolcharakter hat. Österreich hat sich aber nie dazu durchgerungen, ein innovativer Bildungs-Standort zu sein. Im Uni-Bereich hatte Österreich das letzte Mal zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Weltruf. Damals galt die „Wiener Medizinische Schule“ als vorbildlich. Und heute? Gibt es zwar Lippenbekenntnisse, die Akademikerquote erhöhen zu wollen. Doch an sehr vielen Universitäten wird den Hörern bis in hohe Semester hinein signalisiert, dass sie unwillkommen sind. Das ist die Kehrseite des angeblich freien (Gratis-)Zugangs.

Wer an eine (Privat-)Uni im angelsächsischen Raum aufgenommen wird, muss Hürden überwinden, hat dann aber eine hohe Chance, das Studium zu beenden. Die Lehrenden werden ihn oder sie dabei unterstützen. Auch an schwedischen oder finnischen (Gesamt-)Schulen bemühen sich Schüler um ein exzellentes Abgangszeugnis, wenn sie später studieren wollen. Denn für die Uni-Aufnahme wird beinhart selektiert.

In eine heimische Massen-Gratis-Uni stolpert man (mit Ausnahme von Fächern mit Aufnahmeverfahren) so nebenher hinein. Dafür muss man sich dann oft mühsam durchboxen, das grenzt oft an Schikane. Natürlich ist das nicht an allen Instituten, aber an viel zu vielen der Fall. Das kostet Semester. So gesehen ist das OGH-Urteil ein Tabubruch. Der Uni-Erhalter ist demnach verpflichtet, den jungen Leuten keine Zeit zu stehlen. Ein deutlicher Weckruf für die Politik – denn das ist im derzeitigen System leider so gut wie unmöglich.

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