Studienplätze beschränken?! "Der freie Uni-Zugang ist mausetot"

ÖH-Vorsitzende Lucia Grabetz und uniko-Präsident Oliver Vitouch im Streitgespräch
Verstößt Österreich mit Studienbeschränkungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention? Ist die Regierung endlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht? ÖH-Vorsitzende Grabetz und uniko-Präsident Vitouch im Gespräch.

Es ist praktisch fix: Österreich wird den Zugang zu Universitäten beschränken. Grund dafür ist die von der Regierung vereinbarte Studienplatzfinanzierung. Unis bekommen nur noch eine bestimmte Summe pro Studierenden. Und weil das Budget nicht endlos hoch ist, müssen eben die Plätze reduziert werden.

Die Universitäten begrüßen den Schritt der Koalition, die Studierendenvertretung steigt auf die Barrikaden. Der KURIER hat den Präsidenten der Universitätenkonferenz (uniko), Oliver Vitouch, und die Vorsitzende der Hochschülerschaft (ÖH), Lucia Grabetz, zum Streitgespräch geladen.

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KURIER: Herr Vitouch, künftig wird die Regierung den Unis nur noch eine bestimmte Zahl von Studienplätzen bezahlen. Wie viel Studierende soll der Staat denn finanzieren?

Oliver Vitouch: So viele wie möglich.

Sie goutieren aber den Plan, Studienplätze zu reduzieren?

Vitouch: Ich lobe den ehrlichen Zugang zur Dotierung des Universitätssystems. Lange Zeit wurde etwas behauptet, ja geradezu angepriesen, was angesichts der Ressourcen nicht mehr eingelöst werden kann: der freie Hochschulzugang. Seit den Achtzigerjahren ist er mausetot, ein Potemkinsches Dorf, dem die Farbe bereits so von der Kulisse geblättert ist, dass es sowieso niemand mehr glaubt.

Frau Grabetz, ist der freie Hochschulzugang eine Illusion?

Lucia Grabetz: Ich möchte mit einer Gegenfrage antworten: Soll der Zugang zur Bildung für alle Menschen unabhängig ihrer sozialen Herkunft frei zugänglich sein? Ich finde die Diskussion um die Studienplatzfinanzierung einfach ärgerlich und falsch. Es klingt nach etwas Gutem, nach "Wir finanzieren euch Studienplätze", aber in Wirklichkeit will die Regierung bestimmte Personengruppen ausschließen. Unsere oberste Maxime muss lauten, dazu soll sich auch der Staat Österreich bekennen, dass Bildung ein Menschenrecht ist und allen frei zugänglich sein sollte.

Vitouch: Grundsätzlich gebe ich ihnen Recht, möchte aber zu bedenken geben, dass gerade die österreichische Uni-Melange, nämlich behaupteter freier Zugang mit chronischer Unterfinanzierung, schlecht in der Lage war, Arbeiterkinder an die Uni zu bringen. Der Weg zum Medizinstudium war schon vererbt, als es noch keine Zugangsregelungen gegeben hat. Genau das werfe ich der österreichischen Sozialdemokratie vor. Ein halbes Jahrhundert hindurch hat man zugeschaut, wie die Idee des freien Hochschulzugangs degeneriert und zu einem Zerrbild ihrer selbst geworden ist. Maßnahmen, um die soziale Durchmischung an Unis zu verbessern, sind unterlassen worden, weil man sich auf der hohl gewordenen Phrase des freien Hochschulzugangs ausgeruht hat. Ich glaube, die Regierung könnte diesen Stillstand endlich durchbrechen und…

https://images.kurier.at/46-90101480.jpg/247.053.661 KURIER/ Gerhard Deutsch Streitgespräch, Lucia GRABETZ, ÖH Vorsitzende, Oli… Streitgespräch, Lucia GRABETZ, ÖH Vorsitzende, Oliver VITOUCH, uniko-Präsident, im KURIER-Haus

Grabetz: … und was? Eliteunis fördern?

Vitouch: Warum Eliteunis? Wie definieren Sie Eliteunis? Derzeit studieren fast 50 Prozent eines Jahrgangs. Das ist doch keine Elitenbildung.

Grabetz: Sie haben das Medizinstudium erwähnt. Die soziale Durchmischung hat sich seit der Zugangsbeschränkung 2005 extrem verschlechtert. Heute studieren Medizin hauptsächlich Kinder aus Akademikerhaushalten. Dasselbe wird auch in Jus passieren, wenn wir es beschränken.

Vitouch: Glauben Sie wirklich, dass Akademikerkinder immer die Besten bei Aufnahmeverfahren sind?

Grabetz: Die Besten sind diejenigen, die die Möglichkeit haben, sich darauf vorzubereiten. Für Jus gibt es im Sommer wochenlange Einführungskurse, die Hunderte Euro kosten. Kinder aus Akademikerhaushalten können sich das eher leisten als Kinder aus Arbeiterfamilien.

Vitouch: Klar, es muss mehr getan werden, um angehende First Academics (Uni-Absolventen aus Familien ohne akademischen Background, Anm.) systematischer an die Uni zu bringen. Wir wissen beide, was die Faktoren sind, die das bisher scheitern lassen. Die Ankündigung der Politik, hier mehr zu machen, aber auch die Ankündigung, im nächsten Wintersemester das Stipendiumsystem auszuweiten, finde ich sehr erfreulich.

Grabetz: Wir haben offensichtlich zwei unterschiedliche Regierungsprogramme gelesen. Mir kommt das alles noch ziemlich schwammig vor, was Kern und Mitterlehner vereinbart haben. Übrigens wird uns ein verbessertes Stipendiumsystem seit Jahren versprochen. Gekommen ist nichts.

Vitouch: Ich will hier nicht das Geschäft der Bundesregierung verrichten, aber Sie gehen schon davon aus, dass die Ausweitung im kommenden Wintersemester kommen wird, oder?

Grabetz: Es ist leicht gesagt, dass man die Studienbeihilfe ausweitet und gleichzeitig den Zugang für jene beschränkt, die eine solche Unterstützung benötigen. Den Höchstbetrag der Studienbeihilfe zu erhöhen, ist wünschenswert, aber für Leute finanziell nicht wirklich von Nutzen, die gar nicht an die Uni zugelassen werden. Die Regierung will uns ein X für ein U vormachen.

https://images.kurier.at/46-90101690.jpg/247.053.650 KURIER/Gerhard Deutsch Streitgespräch, Lucia GRABETZ, ÖH Vorsitzende, Oli… Streitgespräch, Lucia GRABETZ, ÖH Vorsitzende, Oliver VITOUCH, uniko-Präsident, im KURIER-Haus

Klingt die Kritik von Frau Grabetz für Sie plausibel?

Vitouch: Ihre Überlegung ist sicherlich wichtig, würde aber nur dann zutreffen, wenn die Zahl der bisherigen Bezieher durch weitere Aufnahmeverfahren deutlich zurückgehen sollte. Das sollte aber nicht das Ziel der Regelung sein.

Wie lautet denn Ihr Ziel?

Vitouch: Im Grunde gehe ich davon aus, dass die Frau Vorsitzende und ich dasselbe wollen: Bessere Studienbedingungen, bessere Betreuung, bessere Ausstattung der Universitäten und weitaus mehr Budget. Es sind nur unsere Einschätzungen, wie man zu diesem Zustand kommt, etwas unterschiedlich. Überspitzt würde ich sagen, dass die ÖH noch auf ein Wunder wartet, vielleicht auf eine grüne Alleinregierung. Ich hingegen möchte, dass die Politik Anspruch und Wirklichkeit ins Lot bringt. Natürlich könnte man zynisch behaupten, dass wir keine Probleme haben, unsere Unis sind eh effizient. So viele Studierende zu so einem geringen Budget gibt es sonst in keinem anderen Land. Allerdings schließt ein Großteil der Studienanfänger nicht ab. In Jus gibt es eine Drop-Out-Rate von bis zu 75 Prozent. Das ist nicht effizient.

Grabetz: Zugangsbeschränkungen sind kein Allheilmittel gegen eine hohe Drop-Out-Rate. Wir sollten uns lieber fragen, warum sich viele Anfänger für das überlaufene Fach entscheiden oder aussteigen. Erstens sind die Bedingungen schlecht, viele Studierende müssen neben dem Studium arbeiten. Wir haben eine Studienbeihilfe (max. 606 Euro pro Monat, Anm.), die seit Jahren nicht an die Inflation angepasst wurde, nicht nur was die Höhe, sondern auch die Berechnungsgrundlage betrifft. Zweitens kommen viele Interessierte uninformiert an die Uni und haben sich vom Studienfach vielleicht etwas ganz anderes erwartet. Es braucht eine richtige Einführungs- und Orientierungsphase, in der verschiedene Studienrichtungen vorgestellt werden. Dann wird es weniger Abbrecher und mehr Absolventen geben.

Vitouch: Die Idee hat sicher etwas für sich, teilweise gibt es ja schon Angebote, die sowas ermöglichen. Ich zweifle aber daran, dass eine Orientierungsphase wie von Zauberhand das Problem der Massenfächer lösen kann. Wenn ich eine interessante Einführung in Jus, Psychologie oder Medizin anbiete, werden viele erst recht feststellen, dass es genau das ist, was sie studieren wollen. Die Leute sind vielleicht schlecht informiert, aber sie sind ja nicht vollständig auf der Nudelsupp’n dahergeschwommen.

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Grabetz: Ich würde nie davon ausgehen, dass sie auf auf der Nudelsupp’n dahergeschwommen sind. Aber versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Maturanten, der keinen Bezug zur Universität hat. Sie wissen nicht, wie eine Vorlesung aussieht oder was für eine Prüfung wichtig ist. Von der Schule wissen Sie noch, dass Sie das auswendig lernen müssen, was im Buch steht…

Vitouch: Hoffentlich nicht auswendig, sondern semantisch.

Grabetz: Semantisch. Das sind Begrifflichkeiten, mit denen man vorher noch nie zu tun gehabt hat. Dieses ganze akademische Verhalten muss man erst lernen. Aber wenn die Eltern nicht selber studiert haben, ist es extrem schwierig, sich in dieser Uni-Blase zurechtzufinden.

Vitouch: Eine Bourdieusche Wahrheit, das sehe ich genauso (der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschäftigte sich unter anderem mit Abgrenzungsmechanismen zwischen sozialen Schichten, Anm.). Jetzt haben Sie mich soweit, dass ich ungeschützt sage, selbst wenn ich dafür gelyncht werde, dass ich mir ein entsprechendes Quotierungsmodell vorstellen kann. Prozentzahlen sind gefährlich, aber ich sage einmal eine Hausnummer: Von den 100 Prozent, die nach einem Aufnahmeverfahren zugelassen werden, könnten 25 Prozent für Personen aus Familien reserviert sein, in denen kein Elternteil eine Matura besitzt. Die restlichen 75 Prozent werden rein nach Leistung besetzt. In der Praxis hat die Quotierung ein paar Probleme, aber wenn es die Politik mit der sozialen Durchmischung ernst meint, muss sie es so machen. Aber in Wirklichkeit ist es dann doch nicht so wichtig…

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Grabetz: Das Quotierungsmodell ist besser als gar nichts, aber nicht mit einem freien Hochschulzugang gleichzusetzen. Als ÖH lassen wir nicht zu, dass die Regierung Zugangsbeschränkungen schleichend und flächendeckend einführt. Österreich verpflichtet sich über die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK; 1. Zusatzprotokoll, Artikel 2, Anm.) zum freien Bildungszugang für alle Menschen.

Vitouch: Sie meinen, dass alle europäischen Länder, die Zugangsregelungen haben, die EMRK verletzen? Also fast alle?

Grabetz: Ich bin überzeugt davon, dass wir die EMRK verletzen, wenn wir fahrlässig zulassen, dass nicht alle Kinder dieselbe Chance bekommen, an einer Hochschule zu studieren.

Vitouch: OK, das ist etwas anderes.

Grabetz: Übrigens glaube ich nicht, dass Österreich in der Exzellenz- und Ranking-Debatte weiterkommen wird, wenn nur noch Leute studieren, die sich das finanziell leisten können (hier zur Studierenden-Sozialerhebung).

Vitouch: Rankings sind immer mit Vorsicht zu genießen. Sie verflachen und verknappen manches. Aber gerade das Betreuungsverhältnis ist für die Performance wichtig. Studierende fühlen sich besser aufgehoben und Wissenschaftler hätten Zeit, auch an ihrer Forschung zu arbeiten. Wenn eine Kollegin am Wochenende stapelweise Prüfungsarbeiten korrigiert, schreibt sie in dieser Zeit keine Papers und kreiert keine spin-offs (Wissenschaftler gründen mit ihrem universitären Know How ein Unternehmen, Anm.)

Grabetz: Ich muss vielleicht einen Irrtum ausräumen, denn die ÖH wird oft missverstanden. Wir wollen keinen geschenkten Abschluss an der Uni, darum geht es nicht. Wir wollen eine anspruchsvolle Lehre mit ordentlichen Prüfungen.

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Herr Vitouch, gab es in diesem Gespräch auch Punkte, wo Sie sich mit Frau Grabetz einig wissen?

Vitouch: Ja, dass die Unis unterfinanziert sind und wir Aufholbedarf bei der sozialen Durchmischung haben. Der Zugang zur Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Familie abhängen, sondern vom Willen und Einsatz der Studierenden. Was die Zugangsregelungen angeht, vertrete ich im Gegensatz zu Frau Grabetz einen pragmatischeren Standpunkt. Aber lassen wir uns überraschen, worauf sich die Regierung einigt.

Frau Grabetz, was nehmen Sie aus dem Gespräch mit?

Grabetz: Ich verstehe, dass die Rektoren das Beste aus den Mitteln machen wollen, die sie zur Verfügung haben. Aber statt für weitere Begrenzungen zu sein, wäre es wichtiger, dass wir gemeinsam dafür kämpfen, dass die Unis mehr finanzielle Ressourcen bekommen. Bei der Bankenrettung werden Milliarden rausgehaut und für ein gutes Bildungssystem müssen wir um jeden einzelnen Cent kämpfen. Daher bin ich für jeden Verbündeten dankbar.


Zur Person: Oliver Vitouch ist Rektor an der Universität Klagenfurt und seit Juni 2016 Präsident der Universitätenkonferenz (uniko), das Sprachrohr aller öffentlichen Universitäten in Österreich.

Zur Person: Lucia Grabetz ist seit Juni 2016 Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) und Vertreterin des Verbands Sozialistischer StudentInnen (VSStÖ).

Hinweis: Eine Kurzfassung des Streitgesprächs erschien am 27. Februar in der KURIER-Tageszeitung.

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