Staranwalt Stern und die Nazi-Justiz

Staranwalt Stern und die Nazi-Justiz
Der Advokat hatte 4000 jüdische Klienten. Trotz guter Gestapo-Kontakte konnte er nur wenige retten

Alfred E. hat große Hoffnungen in Michael Stern und seine Kontakte zum NS-Regime gesetzt. In einem Brief vom 16. November 1941 ersucht er den Herrn Doctor nachdrücklich, „umgehend bei der Gestapo zu intervenieren“, damit sein Aufenthalt auf der Promenade (alte Bezeichnung für Polizeigefängnis Rossauer Lände) „ein möglichst kurzer wird“. Die juristischen Hilfsmaßnahmen der Kanzlei Stern blieben erfolglos. Alfred E. wurde am 26. Jänner 1942 nach Riga deportiert.

Der brillante Rechtsanwalt Dr. Michael Stern, berühmt für seine starken Plädoyers als Strafverteidiger, war einer von dreißig jüdischen Advokaten, die zwischen 1938 und 1945 als „Rechtskonsulenten“ in Wien „nichtarische Klienten“ vertreten durften. Stern verdankte dies seiner nichtjüdischen Frau Edith, die sich weigerte, sich von ihm scheiden zu lassen und ihn damit vor der sicheren Verfolgung durch die Nazis schützt. Als getaufter Jude musste er Judenstern genauso tragen wie seine Klienten.

Irene St. ersucht Stern am 30. Oktober 1943, etwas für ihren verfolgten Vater Ignaz St. zu unternehmen. Ignaz St. arbeitete bei der Firma Habsburg, er wurde entlassen, weil er Wäsche ruiniert und mit einem Wagerl einen Arbeiter niedergestoßen haben soll. Von der Gestapo wurde er wegen der Vorfälle in der Firma verhaftet. Am 4. Jänner 1944 erhielt Stern vom Gefängnis Rossauer Lände die Antwort, dass sein Klient nach Auschwitz „abgegangen“ sei.

„Keine Päckchen“

Einen Tag bevor Charlotte H. im Mai 1943 von Theresienstadt ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert wurde schrieb sie an Dr. Stern: „Ich benötige keine Päckchen, bemühen Sie sich weiter nicht.“

Die Zitate aus dem Briefverkehr sind den Akten der Anwaltskanzlei von Michael Stern entnommen. Sie zeigen, wie die Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie der Nazis funktionierte. Selbst wenn der Mantel eine Falte warf und der Judenstern nicht deutlich sichtbar war, gab es Schikanen, Anzeigen und Deportationen.

Dass es diese Akten noch gibt, ist Peter Malina zu verdanken. Im Zuge der Auflösung der Rechtsanwaltskanzlei 1999 hat der Historiker die Schriftstücke jener Klienten, die Stern als „Rechtskonsulent“ betreuen durfte, aus einem Altpapiercontainer gerettet und danach wissenschaftlich ausgewertet.

Das Material dient jetzt für eine ORF- und 3sat-Dokumentation, an der Regisseur Karo Wolm und Malina arbeiten. Derzeit recherchieren sie, ob es Überlebende der Schoah gibt, die Sterns Klienten waren. Die Doku wird vom ZukunftsFonds unterstützt.

In den rund 4000 Akten finden sich zahlreiche Schreiben von Ehepaaren, die aufgrund der NS-Klassifizierung als „Mischehen“ galten und deren Kinder ebenfalls dem Terror des Rassismus ausgesetzt waren.

Mütter waren gezwungen, die Vaterschaft ihres legitimen Ehepartners infrage zu stellen, in dem sie Beziehungen mit „arischen“ Männern vorgaben. Der Hausbesorger oder der Portier wurden plötzlich Väter. Für alle Beteiligten war dies gefährlich. In manchen Fällen gelang es Stern, der als Verbindungsmann zu Hitlers Geheimpolizei galt, die Kinder und ihre Eltern zu retten. Wie viele es waren, ist nicht belegt.

Gestapo-Kontakte

Malina hat in den Dokumenten vielfach Hinweise gefunden, dass Stern seine Gestapo-Kontakte für Klienten nützte. Er selbst hielt sich bedeckt. Ob er „Spitzel“ der Gestapo war, kann der Historiker nicht beantworten.

Die Akten sind Zeugen ständiger Bedrohung und der administrative Grausamkeit des Nazi-Systems. Sie vermitteln ein Bild, dass vor der physischen Vernichtung die soziale und ökonomische Vernichtung der Opfer kam.

Schritt für Schritt lassen sich Ausgrenzung, Raubzüge, Vertreibungen und Ermordungen mit laufender Aktenzahl nachvollziehen. Hinter Paragrafen, Verordnungen, harmlosen Begriffen und Höflichkeitsfloskeln versteckt sich die ganze Bestialität des Systems.

Stern war stets darauf bedacht, Vorgänge nicht zu kommentierten. Sehr oft kamen Briefe retour: „Adressat verzogen, unbekannt wohin“. Was das bedeutete, war kein Geheimnis.

Stern arbeitete unermüdlich weiter, vertrat seine Klienten bei der Vorbereitung der Auswanderung, bei der Regelung vermögensrechtlicher Fragen, der Abwehr von behördlichen Schikanen und der Intervention bei Dienststellen der Polizei und der Gestapo.

Erfolg, resümiert Historiker Peter Malina, hatte Stern nur in wenigen Fällen. Mehr als 400 seiner Mandanten wurden Opfer der Schoah, ihre Namen sind bekannt.

Falls KURIER-Leserinnen und Leser über Hinweise und Infos zu Michael Stern und seinen Klienten, die er von 1938–1945 vertreten hatte, verfügen, bittet Regisseur Karo Wolm diese weiterzuleiten an: Pammer-Film, 1100, Laxenburger Straße 1–5. Tel. +43-1-8880888, Fax: +43-1-8880889; eMail: winkler[AT]pammerfilm.at

1897–1989

Geboren am 11. 12. 1897 in Wiener Neustadt als Miska (Michael) Stern. Gestorben am 2. 12. 1989 in Wien.

Berufliche Laufbahn

Doktorat am 3. 2. 1922 in Wien. Prokurist bei der Böhmischen Nationalbank. Ab 1931 als Rechtsanwalt. Von 29. 12. 1938 als „Rechtskonsulent“ im NS-Regime tätig. Ab 28. 9. 1945 wieder Anwalt. Er vertrat auch NS-Belastete. Er steigt rasch zum führenden Strafverteidiger der 2. Republik auf. Stern war bis zu seinem Tod aktiv. Als er mit 90 Jahren gefragt wurde, wann er in Ruhestand gehen wolle, sagte er:„Bis der Bua (Sohn, bei ihm tätig) in Pension gehen kann, weil der ruiniert ma die Kanzlei.“ Stern rief den „Ifflandring“ für Strafverteidiger ins Leben.

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