SPÖ - ÖVP: Die Koalitionskrise im Wortlaut

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Ob Maschinensteuer, Mindestsicherung, CETA, TTIP oder ORF-Personalia: Von dem frischen Wind, den Kanzler Kern bei seinem Amtsantritt versprochen hat, ist nur noch dicke Luft übrig. Kaum ein Thema auf der politischen Agenda, bei dem sich SPÖVP nicht uneins wären.

19.05.2016: Christian Kern fordert in seiner Antrittsrede im Nationalrat einen "New Deal". "Ab heute läuft der Countdown um die Herzen in diesem Land… Politischer Inhalt wurde durch taktischen Opportunismus ersetzt, und genau das ist es, womit wir brechen müssen", sagt Kern. Mut sei daher eine taktische Notwendigkeit, denn: "Menschen brennen nicht für Kompromisse, sie brennen für Grundsätze und Haltungen." Vizekanzler Reinhold Mitterlehner verspricht gute Zusammenarbeit.

04.06.2016 – Vormittag: Am Landesparteitag in Klagenfurt stellt Kern erstmals seine Idee einer Maschinensteuer oder eine Wertschöpfungsabgabe zusätzlich zur Lohnsteuer vor.

04.06.2016 – Abend: "Wer glaubt, dass der Wirtschaftsstandort Maschinensteuern statt Entlastungen oder Arbeitszeitverkürzung statt Flexibilisierung braucht, wird nicht richtig liegen", sagt Reinhold Mittlerlehner noch am Abend und die Bundesregierung Kern hat ihren ersten offen ausgetragenen Koalitionszwist. Eine Lösung gibt es bis heute nicht.

09.06.2016: Der Poker um die Nachfolge von Josef Moser an der Spitze des Rechnungshofes gerät zum Duell der Klubobleute Schieder und Lopatka. Am Ende gibt die SPÖ klein bei und stimmt für Margit Kraker. Für viele Kommentatoren eine demokratiepolitische Farce, kommt doch der mit beim Hearing im Parlament am besten bewertete (rote Kandidat) Gerhard Steger so nicht zum Zug. Lopatka hatte bereits im Vorfeld verhindert, dass sich SPÖ und ÖVP auf eine gemeinsame parteiunabhängige Kandidatin, die es gegeben hätte, einigen konnten.

SPÖ - ÖVP: Die Koalitionskrise im Wortlaut
Innenminister , Wolfgang SOBOTKA, ÖVP, Interview im Hotel Kempinski, Ida Metzger

10.06.2016: Innenminister Sobotka macht erstmals Druck bei der Notverordnung – und wird dies über den Sommer wiederholt tun. "Wir brauchen sofort jene Verordnung, die es uns ermöglicht, Asylwerber direkt an der Grenze zurückzuweisen". Die Notverordnung war bereits mit dem Asylpaket im April beschlossen worden und sieht grundsätzlich die Möglichkeit vor, ab einer Obergrenze von 37.500 Asylanträgen die Grenzen zu schließen.

24.06.2016: "Seit Kern Kanzler ist, habe ich kein einziges böses Wort über ihn verloren", sagt ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka. Das stimmt - als jedoch im Mai ruchbar wurde, dass Kern der neue SPÖ-Kanzler werden würde, hielt er ihm den ÖBB-Zuschussbedarf von 5,1 Milliarden Euro und kritische Rechnungshofberichte in seiner Zeit beim Verbund vor. Dafür hatte er sogar Kritik aus der eigenen Partei eingeheimst. Der damalige ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald kritisierte Lopatkas Kritik an Kern als "alten Stil".

21.07.2016: "Handy-Schieler": Mit Anekdoten aus dem Ministerrat macht sich bei einer SPÖ-Veranstaltung in Vorarlberg indirekt über Innenminister Sobotka und Landeshauptmann Pröll lustig (Mehr dazu hier).

06.08.2016: "Der Herr Bundeskanzler spricht zwar von einem 'New Deal', aber sein eigenes Verhalten erinnert zwischendurch an alte Parteipolitik", sagt ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka.

SPÖ - ÖVP: Die Koalitionskrise im Wortlaut
ABD0035_20160915 - WIEN - ÖSTERREICH: ORF-Chef Alexander Wrabetz am Donnerstag, 15. September 2016, im Rahmen einer Sitzung des ORF-Stiftungrats mit Wahl des Direktoriums und Landesdirektoriums. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

09.08.2016: Die nächste Belastungsprobe. Bei der ORF-Wahl kommt es zum offenen Schlagabtausch. Mit den Stimmen des SPÖ-Freundeskreises wird schließlich Alexander Wrabetz wird zum dritten Mal in Folge zum ORF-Generaldirektor gewählt. "Heute wurde die große Chance auf Erneuerung und Reformen verpasst. Wir bekommen mit der Verlängerung des amtierenden Generaldirektors more of the same. Für die Zukunft des ORF ist das nicht positiv", sagt Thomas Zach, Leiter des ÖVP-Freundeskreises. Von Seiten der Bundespolitik hält man sich höflich zurück. Der alte neue ORF-Chef Wrabetz kommentiert seine Wahl so: „Wenn ich was kann, dann ist das Mehrheiten finden.“

15.08.2016: Für Christian Kern ist Sobotka, der die Asyl-Notverordnung schon Ende August will, säumig. "Drei Punkte müssten sichergestellt sein: nämlich technische und juristische Fragen sowie Rücknahmevereinbarungen mit Ungarn, Slowenien und Italien." Erst wenn all das geklärt sei, "dann werden wir es im Ministerrat behandeln, wenn nicht, müssen wir nacharbeiten."

18.08.2016: Integrations- und Außenminister Sebastian Kurz will eine Pflicht zu Ein-Euro-Jobs und ein Burkaverbot. Auf Bundesebene zeigt man sich Seitens der SPÖ fast demonstrativ gelassen. Man warte auf konkrete Vorstellungen, heißt es nur. Kritik kommt von der steierischen SPÖ. Ein-Euro-Jobs seien ein "nicht akzeptabler Angriff auf den österreichischen Arbeitsmarkt". Auf Schiene ist das Integrationsgesetz bis heute nicht.

21.08.2016: Wolfgang Sobotka (ÖVP) bringt den ersten einer Reihe von Vorschlägen zur Verschärfung des Asylgesetzes. Zunächst plädiert der Innenminister dafür, laufende Asylverfahren bei einer rechtskräftigen Verurteilung sofort zu beenden. Später spricht er sich auch für eine Wohnsitzpflicht aus. "Es muss eine Wohnsitzpflicht geben, sonst verlieren sie die Grundversorgung."

23.08.2016: Kritik an der Vorgehensweise Kurz‘ kommt von Regierungskoordinator Thomas Drozda (SPÖ). Vorschläge medial zu präsentieren anstatt regierungsintern zu diskutieren würde eher dem Verhalten eines "Oppositionspolitikers" entsprechen.

SPÖ - ÖVP: Die Koalitionskrise im Wortlaut
ABD0072_20151129 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA0139 VOM 29.11.2015 - ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder (R.) während einer Pressekonferenz zum Thema "Staatsschutz" am Sonntag, 29. November 2015, in Wien. Die Regierungsparteien haben sich auf das Staatsschutzgesetz geeinigt. - FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER

25.08.2016: ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka fordert die SPÖ auf, die persönlichen Angriffe zu unterlassen und stattdessen in die inhaltliche Debatte einzusteigen. Der ÖVP-Klubobmann bezeichnete es als "unrichtig", dass seine Partei laufend Vorschläge über die Medien präsentiere und nicht in den Arbeitsgruppen.

30.08.2016: Erster Ministerrat nach der Sommerpause – und es folgt der nächste Seitenhieb auf den Koalitionspartner. Diesmal von SPÖ-Klubchef Schieder: Angesprochen darauf, dass die ÖVP den Sommer mit ihren Ideen zu Asyl und Integration "kurzweilig" gehalten habe, meinte Schieder in Anspielung auf Außenminister Kurz: "'Kurz'weilig ist eine gute Begrifflichkeit. Sommerdiskussionen sollte man als das bewerten, was sie sind: Sommerdiskussionen."

SPÖ - ÖVP: Die Koalitionskrise im Wortlaut
ABD0072_20151129 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA0139 VOM 29.11.2015 - ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder (R.) während einer Pressekonferenz zum Thema "Staatsschutz" am Sonntag, 29. November 2015, in Wien. Die Regierungsparteien haben sich auf das Staatsschutzgesetz geeinigt. - FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER

31.08.2016: Reinhold Mitterlehner spricht sich dafür aus, die TTIP-Verhandlungen abzubrechen, an CETA jedoch festzuhalten. SPÖ-Klubobmann Josef Cap befürchtet hinter "Mitterlehners Kehrtwende" zu TTIP den Versuch, CETA zu retten.

01.09.2016: Christian Kern spricht sich für Verbesserungen bei CETA aus. Mitterlehner hält Nachverhandlungen für ein "Ding der Unmöglichkeit".

02.09.2015: Der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament Othmar Karas wirft Kern "Flucht aus staatspolitischer Verantwortung" vor.

06.09.2016: ÖVP und SPÖ reden wieder miteinander – und fixieren zumindest den Text für die Notverordnung. Wann sie in Kraft treten soll, ist allerdings weiterhin strittig. Bis heute. Auch in Sachen Mindestsicherung bewegt sich was, scheint es zumindest. Bereits im April 2016 – also noch vor Kern – hatte die ÖVP ihr Konzept zur "Mindestsicherung light", bei der die vollständige Auszahlung der Gelder an eine mehrjährige Erwerbstätigkeit in Österreich geknüpft werden soll, angedacht. Sozialminister Stöger und Vizekanzler Mitterlehner hätten "sehr intensive Gespräche geführt" heißt es nach der Ministerratssitzung. Dass Kern schon zuvor alleine vor die versammelte Presse getreten war, sorgt jedoch schon wieder für die nächste Verstimmung.

12.09.2016: In einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, fordert Christian Kern einen grundsätzlichen Kurswechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik und die Abkehr vom EU-Sparkurs. Die im Plan der EU-Kommission für mehr Investitionen in Europa vorgesehenen 315 Milliarden Euro seien viel zu wenig: "Selbst die Verdoppelung der Mittel wird wohl nicht genug sein." Die EU werde von "ihren Bürgern primär als Promotor einer unfairen Modernisierung gesehen", während "sie ihrem Auftrag, vor den Verwerfungen einer globalisierten Wirtschaft zu schützen", nicht nachkomme.

12.09.2016: "Neue Schulden sind das unsozialste überhaupt, weil sie von der nächsten Generation zurückgezahlt werden müssen. Das geht auf Kosten der Jugend", reagiert Vizekanzler Mitterlehner im KURIER auf Kerns Essay in der FAZ. Und weiter: "Es ist leider ein alt-linker Irrglaube, dass Staatsgelder auf Pump automatisch alle Probleme lösen. Das ist der falsche Weg für Europa."

14.09.2016: ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling wird noch expliziter und kritisiert Kern als "linken Ideologieträger". "Die Thesen des Bundeskanzlers widersprechen in vielerlei Hinsicht der Realität", sagt Schelling. Kern fordere nämlich mehr Schulden und Umverteilung. "Für mich sind diese Gedanken ein doppelter Salto zurück".

15.09.2016: Jetzt ist auch das neue ORF-Direktorium gewählt. "Das ist schon nahe an der Sternstunde", kommentiert Medienminister Drozda die Besetzung.

16.09.2016: Konter von - ÖVP-Generalsekretär Werner Amon: "Man muss aufpassen, dass keine Sternschnuppe aus dieser Sternstunde wird."

17.09.2016: Kern zur Kritik aus der ÖVP: "Meine Umfragewerte haben offenbar dem einen oder anderen nicht gepasst. Da versucht man halt, irgendwie dagegen zu arbeiten, und das ist dann das Ergebnis."

17.09.2016 – nächste Episode: "Die SPÖ driftet unter seinem Vorsitz immer weiter nach links", beklagt sich Landeshauptmann Erwin Pröll. "Von der SPÖ kommt zu wenig. Manchmal hab' ich den Eindruck, die folgt einem inneren Trieb. Wenn von der ÖVP ein Vorschlag kommt - Notverordnung, Ein-Euro-Job, Mindestsicherung - ist die erste Reaktion einmal Nein. Dann vergehen einige Wochen, bis sich die SPÖ bequemt, sich der ÖVP anzunähern. Wozu die leeren Kilometer?"

18.09.2016: Kanzleramtsminister Thomas Drozda nimmt Parteifreund Kern in Schutz: "Die Aufregung darüber (Anm. FAZ-Essay) erschließt sich mir nicht."

19.09.2016: "Das ist nicht der New Deal, den wir uns vorstellen." ÖVP-Chef Mitterlehner will Regierung noch bis Jahresende Zeit geben. "Entweder bringen wir das Ding systematisch ins Laufen oder eben nicht. Dann reden wir über die Konsequenzen. Bis Jahresende muss was passieren."

20.09.2016 - Letztstand zur Mindestsicherung: Für einen Kompromiss mit der ÖVP brauche man laut Sozialminister Alois Stöger "noch Zeit" - dieser werde aber erzielt. Eine Begrenzung, "Deckel, wenn Sie so wollen" bei Geldleistungen sei vorstellbar, man sei in Verhandlungen.

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