Sozialhilfe-Wartefrist für EU-Bürger wäre rechtswidrig

Sebastian Kurz.
Laut Experten ist eine Wartezeit vor dem Bezug von Sozialhilfe rechtswidrig. Die EU-Kommission signalisiert ebenfalls Widerspruch. Sebastian Kurz fordert eine Reform.

Der Vorschlag von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), bei EU-Ausländern eine Wartefrist für den Bezug von Sozialhilfe einzuführen, dürfte europarechtlich schwer bis kaum umsetzbar sein. Mehrere Europarechtsexperten äußerten am Montag auf APA-Anfrage Skepsis. Diese Idee widerspreche ganz klar den Prinzipien der Freizügigkeit, die zu den EU-Grundrechten gehört. Es brauche für eine Veränderung zumindest eine qualifizierte Mehrheit im Rat und eine Mehrheit im Europäischen Parlament.

Kurz (ÖVP) sieht sich dadurch bestätigt. Man peile eine große EU-Reform an, der Vorstoß, EU-Ausländern in den ersten fünf Jahren keine Sozialhilfeleistungen zu gewähren, sei ein Teil davon, betonte ein Sprecher am Montag gegenüber der APA. Die EU-Kommission hat gleiche Sozialleistungen zu gleichen Beiträgen gefordert und sich damit indirekt gegen den Vorschlag von Kurz.

Kein unmittelbarer Kommentar ohne Konzept

"Das Prinzip ist klar: Dieselbe Bezahlung für dieselbe Arbeit am selben Ort. Dies gilt auch für Beiträge und Sozialleistungen", sagte EU-Kommissionssprecher Christian Wigand am Montag in Brüssel. "Alle unsere Vorschläge im Sozialbereich und zu Arbeitsmobilität konzentrieren sich auf eine Frage: Faire Mobilität in der Arbeit." Der Sprecher betonte, es gebe keinen konkreten österreichischen Vorschlag, und generell kommentiere die EU-Kommission auch keine Ankündigungen oder Kommentare anderer.

"Die Kommission hat lange argumentiert, dass die Freizügigkeit ein Recht auf freien Verkehr ist. Es ist kein Recht auf freien Zugang zu den Sozialsystemen anderer Mitgliedstaaten. Es gibt klare Grenzen für die Ansprüche von wirtschaftlich nicht aktiven EU-Bürgern sowie von Arbeitsuchenden, wenn sie in ein anderes Mitgliedsland ziehen", sagte der Sprecher. Die jüngsten Reformvorschläge der EU-Kommission zur Entsendung und zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme folgten dieser Logik. "Es hilft den nationalen Stellen, Missbrauch oder Betrug zu bekämpfen. Es bekämpft Sozialdumping und schützt die Arbeitnehmerrechte. Und es stellt eine engere Verbindung zwischen dem Ort her, wo Beiträge gezahlt werden und wo Sozialleistungen beansprucht werden."

Die Wartefrist bei Sozialhilfeleistungen ist, so Kurz, "aus meiner Sicht eine notwendige Maßnahme, nicht nur für Österreich - darum schlagen wir das ja auch auf europäischer Ebene vor - sondern für ganz Europa".

Sozialministerium zurückhaltend

Das Sozialministerium steht dem Vorstoß zurückhaltend gegenüber. Die Anstrengung sollte auf der Umsetzung des kürzlich beschlossenen Arbeitsprogramms liegen, sagte ein Sprecher von Ressortchef Alois Stöger (SPÖ) am Montag zur APA. Mit dem Beschäftigungsbonus sollen jene, die schon am österreichischen Arbeitsmarkt sind, Vorrang bekommen, erinnerte der Stöger-Sprecher auf entsprechende Maßnahmen der Regierung. Das Ziel müsse sein, Arbeit und Beschäftigung zu schaffen.

Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) will die Sozialhilfeleistungen für Ausländer aus der EU in den ersten fünf Jahren streichen (der KURIER berichtete). Diese Pläne wiederholte er am Sonntag in der ORF-Pressestunde. Arbeitslose sollten zudem wieder in jene Staaten ziehen, wo diese einen Job finden. Auch die Indexierung der Familienbeihilfe verteidigte Kurz.

An den Grundfreiheiten der EU wie der Personenfreizügigkeit rüttelt Kurz mit seinen Vorhaben seiner Meinung nach nicht: "Überhaupt nicht, ich schütze sie." Menschen, die in Österreich arbeiten, würden ohnehin keine Sozialhilfeleistungen beziehen. Beim Arbeitslosengeld - und entfernet bei der Notstandshilfe - handle es sich wiederum um eine Versicherungsleistung. Der Grundsatz für den Außenminister: "Man muss erst einmal einzahlen, bis man herausnehmen kann."

Ob es bei fünf Jahren Sperre der Sozialleistungen bleiben soll, relativierte Kurz. "Das kann man ja auch natürlich verhandeln", meinte er in Richtung des Koalitionspartners. Auch im Hinblick auf den EU-Ratsvorsitz müsse man die Idee "am Ende des Tages mit dem Bundeskanzler zusammenzuführen zu einer österreichischen Linie" machen. Mit an Board habe man die SPÖ bereits bei der Indexierung der Familienbeihilfe. Hierbei müsse man vor allem achten, dass alle Menschen gleich behandelt würden.

Kritik aus den Parteien

Die Ankündigungen stoßen beim politischen Mitbewerb auf Unverständnis. Der Koalitionspartner SPÖ ortete nur "viele Überschriften", die FPÖ die "üblichen Sprechblasen". Kritik an dessen Sicht auf Europa gab es von den Grünen und den NEOS. Zumindest vom Team Stronach gab es ein wenig Lob und ein Angebot zur Zusammenarbeit.

Für die SPÖ rückte Klubobmann Andeas Schieder aus: Kurz habe "wieder einmal bewiesen, dass er viele Themen bespielen kann, aber offenbar keine Antworten geben will". Der ÖVP-Minister zeige seine Qualitäten im Anreißen von Überschriften, "sobald es aber um die Sorgen und Interessen der Österreicher geht, wird der Außenminister sehr leise". Auch der Vorschlag der Einschränkung der Sozialleistungen sei schon wieder völlig anders dargestellt worden.

"ÖVP-Minister Kurz produziert wieder einmal die üblichen Sprechblasen, ob er jemals vom Ankündigungs- in den Umsetzungsmodus kommt, ist mehr als zweifelhaft", meinte ähnlich der freiheitliche Europaabgeordnete Harald Vilimsky. Genau jene Missstände, die er heute wortreich beklagt, habe er als Regierungsmitglied selbst mitverursacht. "Abgesehen davon bleibt er in vielen Fragen ohnehin auf halbem Weg stehen", kritisierte Vilimsky.

Die grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig sprach wiederum von "einem Armutszeugnis für einen Europaminister", nicht zuletzt wegen seiner Absage an eine Sozialunion. Kurz gefährde mit seinem Kurs des Rückzugs ins Nationalstaatliche die Rolle Österreichs in Europa, warnte sie. Zudem übernehme er "schrittweise die Positionen der FPÖ". "Er verfolgt offenbar konsequent das Ziel, Bundeskanzler unter Schwarz-Blau zu werden", so Glawischnig.

Sorgen um die Europa-Linie machten sich auch die NEOS. "Die Sozialpolitik ist zur Gänze eine nationalstaatliche Angelegenheit", meinte Sozialsprecher Gerald Loacker. Die EU könne hier nichts vorschreiben, gleichzeitig dürfen Grundfreiheiten wie die Personenfreizügigkeit nicht eingeschränkt werden, was Kurz eigentlich wissen müsste. Die Behauptung, EU-Bürger könnten bereits nach einem Arbeitstag ins österreichische Sozialsystem wechseln, sei zudem sachlich "schlichtweg falsch".

Ein wenig Applaus gab es zumindest vom Team Stronach. "Es ist sehr erfreulich, dass der Außenminister erkannt hat, dass Österreich kein sozialer Selbstbedienungsladen ist", meinte dessen außenpolitischer Sprecher Christoph Hagen. Es sei aber fraglich, ob mit Teilen der ÖVP die Vorstellungen des Außenministers dann auch zur Umsetzung kommen. Hagen kann sich eine Plattform vorstellen, der Kurz vorsteht, um nach der nächsten Nationalratswahl "konstruktive Lösungen" umzusetzen.

Nationale Maßnahmen in Flüchtlingspolitik

In der Flüchtlingspolitik setzt Kurz laut Pressestunde-Gespräch weiterhin auch auf nationale Maßnahmen - vor allem, sollte die Türkei ihre Drohungen wahr machen und den Pakt mit der EU aussetzen. "Das was wir selbst tun können, das müssen wir auch selbst tun", konstatierte der Außenminister. Menschen, die Sicherheit suchen, müsse man diesen Schutz natürlich auch bieten. Falsch wäre es, so Kurz, Menschen aufgrund der Erwartung aufzunehmen, in Europa schlicht ein besseres Leben zu finden.

Auch die Vorhaben in der Integrationspolitik der Regierung verteidigte Kurz abermals. Er sieht keine Widersprüche in den unterschiedlichen Gesetzestexten. So würden die unterschiedlichen Maßnahmen einander ergänzen, es brauche ebenso das Integrationsjahr wie auch Verbote von "Symbolen der Gegengesellschaft" wie der Vollverschleierung. Kritik der Bischofskonferenz sieht der Minister gelassen: "Ich bin ein gläubiger Mensch, aber trotzdem habe ich meine eigene Meinung und als Politiker eine Verantwortung."

Spekulationen, dass Kurz den derzeitigen ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner ablösen könnte, wollte der Minister wieder nicht nähren. "Der Druck ist gar nicht groß", meinte er zu den öffentlichen Erwartungen, auch Umfragen seien "nicht relevant". Kurz: "Ich habe einen Job, der mir extrem viel Freude macht." Auch Indizien für einen möglichen Neuwahltermin gebe es nicht - "Ich mache meinen Job".

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