Sonja Wehsely: "Bei einem Mann würde man sagen, der ist cool"

Stadträtin Wehsely (47): „Mir geht es um die Sache, und nicht um Imagewerte“
Ärztestreik, SPÖ-Debakel in Leopoldstadt, Streit um Islam-Kindergärten. Keine Politikerin polarisiert so wie Wiens Stadträtin Sonja Wehsely.

KURIER: Frau Wehsely, in Ihrem Heimatbezirk Wien-Leopoldstadt gab es am Sonntag bei der Wahlwiederholung ein historisches Debakel für die SPÖ. Der Bezirksvorsteherposten ist weg, die SPÖ schrumpfte auf 28 Prozent. Schlimmer geht es nimmer. Wie nahe geht Ihnen diese Niederlage?

Sonja Wehsely: Stimmt, schlimmer geht es nimmer. Ich war sehr betroffen. In erster Linie über das schlechte Ergebnis, aber insbesondere auch über die niedrige Wahlbeteiligung. Nach dem ersten Schock muss man die Weichen für die Zukunft stellen. Wir haben sieben Mandate verloren und mussten daher eine neue Liste erstellen. Viele, die ein fixes Mandat in der Tasche hatten, haben darauf verzichtet, damit wir eine gute Mischung mit acht Frauen und neun Männern, Erfahrenen und Jungen, zustande gebracht haben.

Der ehemalige Bezirksvorsteher Karlheinz Hora hat bereits seinen Hut genommen und ist zurückgetreten. Wie viel Verantwortung übernehmen denn Sie für dieses Wahldebakel in der Leopoldstadt?

Schauen Sie, ich bin Bezirksvorsitzende. Daher bin ich für die Liste zuständig, aber auch für die Frage, wie geht es weiter. 2020 wollen wir den Bezirksvorsteher wieder stellen. Und das schaffen wir.

Ihr schlechtes Image und Ihre beinharte Haltung gegen über den Ärzten hat aus Ihrer Sicht keinen Anteil an dem desaströsen Wahlergebnis?

Dieser Schluss wäre ein ganz klarer Logikbruch.

Wieso sehen Sie hier einen Logikbruch?

Die FPÖ, die inseriert hat: "Wer SPÖ wählt, wählt Sonja Wehsely", konnte ihr Wahlergebnis mit dem Slogan nicht verbessern. Und die andere Partei, nämlich die ÖVP, die den Praterstern kampagnisiert hat, hatte beim ersten Wahlgang 7,0 Prozent und hat nun nochmals ein Prozentpunkt verloren. Hätten wir eine Situation, wo diese Parteien stark dazu gewonnen haben, dann könnte man diesen Schluss ziehen, so ist er einfach falsch.

Der Umkehrschluss, dass die Bürger nicht wählen gingen, weil sie eine SPÖ mit Sonja Wehsely nicht wählen wollen, klingt für Sie dann auch nicht plausibel ...

Nein. Die Zuspitzung war im Gegensatz zur Wiener Wahl im vergangenen Jahr, als es um SPÖ gegen FPÖ ging, eine andere. Und die Wähler waren durch die neuerliche Verschiebung der Bundespräsidentenwahl sicher irritiert, weshalb die Wahlbeteiligung auch so niedrig war. Hier lassen sich formal gebildetere Menschen, das sind in der Regel die Grünwähler, weniger irritieren als andere.

Sonja Wehsely: "Bei einem Mann würde man sagen, der ist cool"
Interview mit der Stadträtin Sonja Wehsely am 22. 09 . 2016 in Wien
Es ist aber unbestritten, dass Ihre Beliebtheitswerte in der Öffentlichkeit im tiefsten Keller sind. Wie leben Sie damit, die Buhfrau zu sein?

Das ist ein Postulat, das Sie so setzen. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um dann stolz zu sein, eine Funktion zu haben. Ich verantworte das größte Ressort in der Stadt mit vier Milliarden Euro Budget und mehr als 30.000 Mitarbeitern. Mein Zugang zur Politik ist, dass wir einen großen Bereich in hoher Qualität im öffentlichen Spitalswesen haben und weiter entwickeln müssen, sowie eine deutliche Verbesserung im niedergelassenen Bereich brauchen. Um das zu erreichen, braucht es Veränderung. Wenn man sich da von Widerstand und Wind, der einem entgegenbläst, abbringen lässt, dann wird das ganze System infrage gestellt. Dafür stehe ich nicht.

Das allein kann es nicht sein. Widerstand gibt es immer bei Reformen. Vielmehr soll es Ihr Verhandlungsstil und Ihr Umgang mit den Verhandlungspartner sein, der immer wieder zu Zerwürfnissen führt.

Da müssen Sie mir jetzt ein genaues Beispiel bringen.

Im "profil" wurde ein Arzt zitiert, der meinte: "Zum Glück ist Sonja Wehsely nicht in der Außenpolitik tätig, sonst hätten wir bereits den Vierten Weltkrieg".

Das sind Vorhalte, die schwer zu verifizieren sind. Ich möchte die Lebensqualität der Menschen in dieser Stadt nachhaltig verbessern. Das geht eben nur, wenn Dinge verändert werden. Versuchen aber Frauen Reformen durchzusetzen, dann wird das anderes beurteilt, als wenn Männer diese umsetzen. Ich kann Ihnen sagen, was noch über mich verbreitet wird: Sie ist eine Streberin. Sie ist überehrgeizig. Sie ist zu machtbewusst. Sie ist zu burschikos, trinkt nichts (lacht).Wissen Sie, was der beste Test ist? Stellen Sie sich all diese Beschreibungen – mit Ausnahme von burschikos – bei einem männlichen Politiker meines Alters, der 1,80 Meter groß ist, vor. Würde bei ihm auch alles negativ konnotiert werden? Oder würde man nicht viel eher sagen: Der ist cool. Denn ist es gut, dass derjenige, der das größte Ressort in der Stadt managt, machtbewusst ist, weil er ja das Zepter fest in der Hand halten muss?

Ist das jetzt nicht ein bisschen zu einfach, sich in die Opferrolle der Frau zu begeben, um Ihre schlechten Imagewerte zu erklären?

Nein, nein, nein, ich begebe mich überhaupt nicht in eine Opferrolle. Mit diesem feministischen Bewusstsein ist jedoch klar, warum es diese Zuschreibungen gibt. Dieses Bewusstsein macht es für mich auch einfacher, mit diesen Zuschreibungen umzugehen. Und was die Ärzte betrifft: Es gibt einen Grund, warum niemand vor mir die Dienstzeiten angegriffen hat. Weil dieses Thema wie eine heilige Kuh war und jeder wusste, dass sich die Dienstzeiten nicht locker, flockig verändern lassen, obwohl es notwendig ist.

Wie stecken Sie die permanenten Beleidigungen gegen Ihre Person weg?

Ich würde Spitzen statt Beleidigungen sagen. Denn wer mich beleidigt, das entscheide schon ich selbst. Das ist natürlich nichts, was man sich wünscht. Das Attribut, dass ich überehrgeizig bin, begleitet mich schon, seit ich mit 26 in den Wiener Gemeinderat kam – und ich werde jetzt bald 47. Ich suche den Widerstand nicht. Natürlich gibt es immer Situationen, wo man im Rückblick Fehler erkennt. Wem geht es nicht so? Ich weiß natürlich, dass die Konflikte meine Beliebtheit nicht steigern. Ich bin ja nicht naiv. Wenn ich aber abwäge, geht es um meine Beliebtheit oder um die Weiterentwicklung für die Stadt, dann entscheide ich mich für die Weiterentwicklung von Wien.

Wenn Sie offenbar ständig falsch interpretiert werden, wäre es interessant zu erfahren: Wie sieht sich Sonja Wehsely selbst?

Ziemlich geerdet, überzeugt – sowohl ideologisch als auch pragmatisch. Und ich bin insofern unabhängig, dass ich die Dinge, die ich für richtig halte, umsetze. Mein eigener Ruf ist bei mir kein Teuferl im Hinterkopf, das mich aufhält. Und glauben Sie mir, diese Haltung macht ziemlich frei.

Nach dem Ärztestreik, gab es nun neuerlich Verhandlungen, wo Sie den Ärzten doch einige Zugeständnisse machten. Haben Sie zähneknirschend nachgegeben?

Nein. Ich sage schon seit Längerem, Schauen wir uns doch gemeinsam an, ob es bei den Nachtdienstreduktionen da oder dort Probleme gibt. Es gibt auch die klare Definition, dass 12,5 Stunden Nachtdienste in Ordnung sind. Es ist auch klar, dass es keine Zwangsschichtdienste gibt, und dass angeordnete Überstunden in Zeitausgleich oder in Geld ausbezahlt werden. In diesem Punkten gab es, zugegeben, sicher schlechte Kommunikation. Aber ein bisschen Sorge macht mir, dass die vereinbarte gemeinsame Kommunikation offenbar nicht lange hält. Denn der Ärztekammerpräsident gibt schon wieder Interviews, wo er meint, ob das alles nicht nur eine Nebelgranate vom Wiener Krankenanstaltenverbund ist. Aber davon lasse ich mich nicht provozieren.

Ähnlich wie bei Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer sagt man von Ihnen, dass Sie Ihren Verhandlungspartnern ordentlich Beton geben. Gibt es denn auch eine weiche Seite an Sonja Wehsely?

Ich denke, ich bin ein emotionaler und empathischer Mensch. Aber ich lasse mich nicht von Gruppierungen beeindrucken, denen es in erster Linie um ihre individuelle Bequemlichkeit auf Kosten eines Systems geht. Wenn Sie mit Finanzminister Hans Jörg Schelling oder Innenminister Wolfgang Sobotka sprechen, die beide keine "Lercherln" beim Verhandeln sind, werden beide bestätigen, dass, wenn man mit mir was ausmacht, dann hält das auch. Egal, wer sich im Nachhinein dagegen stellt. Diesen beiden ÖVP-Politikern würde man solche Konnotationen, wie man mir zuschreibt, nur positiv zuschreiben.

Auch Wolfgang Sobotka nennt Sie immer als Beispiel, dass er kein rotes Tuch für Linke ist. Warum verstehen Sie sich so gut mit dem Minister?

Wir sind zwar ideologisch ganz unterschiedlich. Auch wenn uns oft Welten trennen, weiß ich bei Wolfgang Sobotka, egal, ob wir uns um zehn Uhr in der Früh oder um vier Uhr in der Nacht etwas ausmachen, dann gilt es. Er wird auch nicht zurückrudern, wenn ihm die eigene Partei danach Probleme macht. Außerdem schätze ich Politiker, die etwas bewegen wollen, auch wenn das Ziel diametral zu meinen Positionen ist.

Sie gelten als eine der Mitorganisatorinnen der Werner Faymann-Ablöse. Wie beurteilen Sie die ersten 130 Tage von Christian Kern?

Ich habe den Eindruck, dass eine Aufbruchstimmung herrscht. Kern hat persönlich gute Werte, das schlägt sich noch nicht in der Partei nieder. Aber es unternimmt die ÖVP alles, um den Erfolg zu verhindern. Das macht die Situation schwierig, aber Kern macht es bis jetzt sehr gut .


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