Skepsis und tote Pferde im Parlament
Sie kamen getrennt ins Plenum, zuerst der Bundeskanzler, dann der Vizekanzler, aber das ist kein Ausdruck von Misstrauen, auf keinen Fall, Indianer-Ehrenwort!
Warum Indianer? Das hat mit einem Sprachbild zu tun, das im Parlament für Heiterkeit sorgt, aber dazu später.
Zunächst das Wesentliche: Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner haben die adaptierte Version des Regierungsprogrammes nun auch dem Nationalrat präsentiert.
Vordergründig stehen die Fraktionen dahinter, ein entsprechender Antrag wurde von allen SPÖ- und ÖVP-Mandataren unterfertigt, die greifbar waren (siehe Bild).
"Wir haben kein SPÖ oder ÖVP-Programm gemacht, es ist ein Programm für unser Land", sagt der Kanzler. Es ist die erste Stelle seiner fast 20-minütigen Rede, bei der Applaus aufbrandet.
Kern erwähnt den Unternehmerbonus, er preist das zweite verpflichtende Kindergartenjahr und die Sicherheits- und Überwachungspläne, man kennt die Vorhaben, man hat sie am Montag vernommen.
Umso mehr lohnt ein Blick auf all das, was an diesem Tag in den Gängen hinter dem Plenum diskutiert wird. Dort laufen – nicht zum Amusement der Parteiführung – insbesondere bei der SPÖ zwei Debatten: Die eine ist die: Kann’s die ÖVP nicht lassen? Im Wesentlichen ist damit gemeint, dass die Volkspartei das 35-Seiten starke Regierungsprogramm auch an diesem Tag recht selbstbewusst für sich reklamiert. Bei Abgeordneten wie Jakob Auer und Klubchef Reinhold Lopatka klingt das dann so: Dank der ÖVP wird es auch in Zukunft keine Vermögens-, Erbschafts- und Maschinensteuer geben.
Keine Nullpartie
Die zweite, SP-interne Debatte dreht sich darum, welche der neuen Maßnahmen noch Bauchweh machen.
Insbesondere im Lager der Gewerkschafter ist da manches zu hören. "Alles ist super kann ich nicht sagen", sagt der Leitende Sekretär im ÖGB, Bernhard Achitz zum KURIER. Vor allem beim neuen Kündigungsschutz müsse man sich erst die Details anschauen.
Rainer Wimmer, Parlamentarier und Chef der größten Arbeitergewerkschaft PRO-GE, ortet insbesondere bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit noch Gesprächsbedarf. "Mit einer Null-Partie geht da sicher nichts", sagt Wimmer zum KURIER.
Soll heißen: Die Gewerkschaft will im Gegenzug für einen 12-Stunden-Arbeitstag etwas haben – mehr Freizeit, eine sechste Urlaubswoche, da ist man flexibel.
Es sind Wortmeldungen wie diese, die die Inszenierung der Regierungsspitze ein wenig stören.
Nach einer halben Stunde sind Kern und Mitterlehner am Ende. Die Stimmung flaut ab, der Raum leert sich – und Matthias Strolz nutzt die Gunst des Augenblicks. "Spüren sie nach!", mahnt er die beiden Parteichefs. "Da ist keine Energie im Raum, da ist die Luft draußen!"
Energie? Das klingt nach einem Anflug von Esoterik. Abgeordnete aus ÖVP und FPÖ rufen schnell "Baum-Umarmer!" Hat sie Strolz gehört? Gut möglich.
Jedenfalls ist er gleich hoch motiviert und bemüht ein schärferes Sprachbild: Tote Pferde. "Nur verzweifelte Indianer reiten tote Pferde!", sagt er donnernd. In den nächsten zwei Minuten werden Kern und Mitterlehner also zu Indianern. Ihr Programm ist ein "schöner Sattel", der laut Strolz auf einen verblichenen Gaul gepackt wird.
"Tote Pferde sind tote Pferde!", wiederholt Strolz, er ist kaum zu bremsen. Und je intensiver die "Pferde-Orgien" (© Josef Cap) wird, desto klarer verändert sich auch die Stimmung auf der Regierungsbank. Erst grinst der Vizekanzler, dann schmunzelt der Kanzler. Und am Ende lachen sie beide. In trauter Gemeinsamkeit.
Michael Bachner
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