"Wir waren im Schwitzkasten der eigenen Partei"

LH-Vorsitzender Schützenhöfer will darüber reden, ob Länder in Insolvenz geschickt werden können
Serie "II. Republik - War's das?" Der steirische Landeshauptmann Herman Schützenhöfer (ÖVP) sieht noch Chancen für die Regierung.

Herr Landeshauptmann Schützenhöfer, wann haben Sie Ihren Vorgänger Franz Voves (SPÖ) zuletzt gesehen?

Hermann Schützenhöfer: Vor ein paar Tagen bei einem Frühstücksempfang für den Salzburger Erzbischof Franz Lackner, der in seiner steirischen Heimat war.

Er gehört also nach wie vor zu Ihren Freunden?

Ja. Die ersten Jahre haben wir ja viel gestritten, aber dann gab es diese Reformpartnerschaft, wo wir vertrauensvoll zusammengearbeitet haben. Daraus ist eine persönliche Freundschaft entstanden, die wir auch pflegen.

Wie ging das? Sie haben einander massiv bekämpft, und auf einmal hat die Zusammenarbeit funktioniert?

Wir waren beide im Schwitzkasten der eigenen Partei. Gleich nach der Wahl im Jahr 2010 haben wir beschlossen, dort weiterzumachen, wo wir fünf Jahre zuvor aufgehört hatten. Ich kannte ihn ja schon lange gut, weil ich lang für den Sport zuständig war – und er ASKÖ-Präsident. Wir haben gewagt, enkeltaugliche Politik zu machen, indem wir nicht auf den nächsten Wahltag geschaut haben.

Sie waren beide "im Schwitzkasten ihrer Parteien". Würden Sie so auch die Lage von Kanzler und Vizekanzler beschreiben?

Als Bundeskanzler Kern gekommen ist, hatte ich den Eindruck, dass sie sich aus dem Schwitzkasten befreien. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die zwei miteinander wollen, aber das ist noch nicht durchgesickert auf die Regierungsebene und zu den Mandataren.

Warum spürt man diese Feindschaft zwischen SPÖ und ÖVP so stark?

So werden wir das Land nicht weiterbringen. Es braucht ein Grundvertrauen, das es zwischen Kern und Mitterlehner auch gibt. Bei manch anderen handelnden Personen bin ich mir nicht so sicher.

Sie sind jetzt Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, die gibt es in der Verfassung gar nicht. Sind nicht die Länderchefs zu stark und die Regierung zu schwach?

Die Sozialpartnerschaft stand lange auch nicht in der Verfassung, und sie ist auch wichtig. Wobei sie aufpassen muss, dass sie nicht die Lösungskompetenz verliert. Und Bund und Länder müssen ein neues Verhältnis zueinander finden.

Das Land leidet ja unter den vielen Doppelkompetenzen zwischen Bund und Ländern.

Dazu habe ich Kanzler und Vizekanzler zur nächsten Landeshauptleutekonferenz nach Graz eingeladen. Wir müssen aufeinander zugehen und dürfen uns gegenseitig nicht blockieren.

Beispiel Mindestsicherung. Wäre da eine bundesweite Regelung nicht sinnvoller?

Ja, es kann ein Bundesgesetz geben. Oder wir verlängern die 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Ich will, dass sich weniger Leute in die Mindestsicherung hineinschleichen. Jedenfalls sollten wir gemeinsam agieren und nicht ideologisch in Bezug auf die Ausländer.

Kürzlich haben Sie im Fernsehen gesagt, wir sollten uns "alle daran gewöhnen, mit weniger auszukommen".

Wir müssen uns sicher daran gewöhnen, dass es nicht immer mehr wird. Österreich ist ein großartiges Land, aber wir sind ziellos und saturiert geworden. Das gilt für ganz Europa, das ist ein satter Kontinent. Der überwiegenden Mehrheit bei uns geht es gut, wobei ich nicht übersehe, dass die Minderheit wächst, die den Euro drei Mal umdrehen muss.

Was müssen wir tun, um den Wohlstand zu halten?

Wir sollen über Sein und Sinn reden, und nicht über Soll und Haben. Junge Leute fragen mich nicht, wie viel Geld sie verdienen werden, sondern wie ihre Zukunft wird. Aber in unserer Gesellschaft hat sich so viel Beliebigkeit eingenistet, für zu viele Menschen ist die eigene Befindlichkeit das Maß aller Dinge geworden. Der geistige Wohlstand kann mit dem materiellen Wohlstand nicht mithalten. Alle reden nur davon, was steht mir zu. Aber niemand redet von der Pflicht zur Leistung. Mein Wertesystem ist die katholische Soziallehre, und die sagt mir, dass Arbeit zur Sinnerfüllung des Lebens gehört.

Viele Berufe und Berufsgruppen gibt es aber nicht mehr, und im Zuge der Digitalisierung verstärkt sich der Trend.

Eine Gesellschaft kann ohne die menschliche Arbeit nicht existieren. Meine Eltern haben nichts gehabt, und uns Kinder irgendwie durchgebracht. Heute gibt es einen Sozialstaat von der Wiege bis zur Bahre, den wir uns kaum noch leisten können. Wir gehen sicher nicht in die Armut zurück, aber den ständigen Zuwachs wird es nicht mehr geben.

Aber den Sozialstaat finanzieren wir über die Arbeit, die, wie alle sagen, zu hoch besteuert ist. Und über die sogenannte Maschinensteuer darf man gar nicht nachdenken.

Wir brauchen den Mut zu substanziellen Reformen. Also Pensionsreform, Pflegereform, Gesundheitsreform, Bürokratiereform, die Unternehmen ersticken in der Bürokratie. Ich verspreche, die Länder ziehen bei Reformen mit. Dann kann die Regierung vor den Wahlen 2018 sagen, ein Genehmigungsverfahren dauert in Österreich nicht länger als drei Monate. Die Unternehmer brauchen keine Subventionen, die wollen in Ruhe arbeiten, etwa ihren Betrieb ohne Probleme erweitern können. Unternehmen, die Gewinne machen, sichern unseren Sozialstaat ab, sie sind Vorbilder und nicht Feindbilder.

Aber Sie reden auch von verzichten. Gilt das auch für diejenigen, die besonders viel haben.

Mit der Neiddebatte kommen wir nicht weiter. Ich habe schon 1984 einen Mindestlohn gefordert, da waren alle dagegen, sogar der ÖGB. Als Wunsch an die Sozialpartner hat es dann erstmals die Regierung Schüssel formuliert. Mich hat nie die Debatte interessiert, wer zu viel verdient, sondern die Frage, wie hoch muss ein Einkommen sein, um einen menschenwürdigen Mindestlebensstandard zu erreichen.

Und wie hoch sollen hohe Einkommen und Vermögen besteuert werden?

Da muss man ohne ideologische Scheuklappen den gordischen Knoten durchschlagen. Also wir diskutieren jetzt wieder über Studiengebühren, also reden wir auch über Vermögen.

Einkommen durch Dividende werden ja etwa nur mit 25 Prozent versteuert.

Wir müssen das Steuersystem nochmals durchforsten. Ich bin nicht für eine Maschinensteuer, ich will nicht die Wirtschaft belasten und auch nicht den Mittelstand.

Aber in der Schweiz gibt es Vermögenssteuern – und dafür deutlich niedrigere Einkommensteuern.

Und über das müsste man reden, ganz ohne Scheuklappen. Die Koalition müsste es schaffen, über solche Fragen intern ruhig zu verhandeln. Und da bin ich nur mehr vorsichtig optimistisch, ob diese Regierung bis 2018 hält. Weil die einen gehen rechts, die anderen gehen links raus, anstatt dass wir alle über unseren eigenen Schatten springen.

Wissen Sie, wo die bösen Buben oder auch Mädchen in SPÖ oder auch ÖVP sitzen, die eine sinnvolle Kooperation verhindern?

Ja, aber die würde ich Ihnen nicht nennen.

Aber was hält die beiden dann noch zusammen?

Eine riesige Angst vor der FPÖ. Die ÖVP müsste die Bürgerbewegungen, die es ja gibt, wir haben es bei Frau Griss gesehen, einbinden. Österreich ist ein bürgerliches Land und passt nicht zur FPÖ des derzeitigen Zuschnitts.

Aber wie gehen Sie bürgerlich gegen Populismus vor?

Gar nicht. Weil ich es ablehnen würde, jemanden rechts oder links zu überholen. Aber ich bin für klare Aussagen. Bei der Anzahl der Flüchtlinge wird es eng, wenn es um die Frage der Integration geht. Auch am Land gibt es immer mehr Schulen, wo die Kinder nicht Deutsch können. Ich bin für klare Fakten, aber schüre keine Ressentiments wie die anderen. Integration dauert lange. Ein positives Beispiel für Integration sind die Ungarn, die 1956 gekommen sind. Keiner dieser Ungarn würde auf die Idee kommen, für Orban in Österreich zu demonstrieren, wie es die Türken für Erdogan tun.

Aber auch in der Bildungspolitik führen SPÖ und ÖVP einen ideologischen Streit.

Ja, und das ist falsch, ich muss praktisch hinschauen. Wir brauchen mehr Ganztagesbetreuung für die Kinder, weil sich die Welt geändert hat. Meine Mutter war nicht berufstätig und konnte auf die Kinder selber schauen. Das war in der damaligen Generation so. Meine Tochter und unser aller Töchter sind gut ausgebildet und berufstätig. Deshalb brauchen sie Angebote, damit sie Beruf und Familie vereinbaren können.

Kommen wir zurück zur Zweiten Republik, die sich ja gerade stark verändert, was funktioniert daran eigentlich noch?

In der Steiermark die Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP.

Wenn beide wollen?

Ja, wenn beide wollen, und der eine den anderen nicht überlöffeln will. Dann wird es halt für die Medien schwieriger. Als wir mit den Reformen begonnen haben, gab es nur mehr alle sechs Wochen eine Pressekonferenz. ÖVP und SPÖ haben nicht ausgedient, wenn sie sich darauf besinnen, dass ihr eigenes Klientel nur mehr einen kleinen Anteil an der gesellschaftspolitischen Realität hat. Und wenn sie verstehen, dass sie sich öffnen müssen.

Keine Dritte Republik?

Nein, wir brauchen eine Debatte über Wertmaßstäbe. Wir machen in Graz einen großen Kongress zum Thema "Österreich 22". Mit Vordenkern aus dem ganzen Land und Menschen aus allen Lebensbereichen diskutieren wir über die Zukunft der Republik. Da werden wir darüber reden, wie wir die Republik weiterentwickeln.

Zur Frage unserer Serie: Zweite Republik, das war’s also noch nicht?

Zweite Republik umkrempeln, Neustart. Darauf besinnen, dass es ein Staat ist, in dem es den Menschen weiter gut gehen wird.

Zur Person: Später Landeschef

Der geborene Niederösterreicher Hermann Schützenhöfer hat sein Leben in der steirischen Politik verbracht. 2015, als er nicht mehr damit rechnete, wurde er nach der Wahlniederlage von Franz Voves (SPÖ) doch Landeshauptmann, obwohl die SPÖ knapp vor der ÖVP lag. Jetzt ist er Chef der Landeshauptleutekonferenz.

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