Schönborn: "Wir haben ein wunderbares Land"

Kardinal Schönborn im erzbischöflichen Palais in Wien.
Die Politik solle sich aber ehrlich mit Generationengerechtigkeit auseinandersetzen, fordert der Kardinal.

Im Sonntags-KURIER hat der Kardinal eine Parallele zwischen dem dreißigjährigen Religionskrieg und der jetzigen Situation im Islam gezogen. Am Ende habe es Aufklärung und Toleranz zwischen Protestanten und Katholiken gegeben. Schönborn über Werte, Politik, Gentechnik und den Papst.

KURIER: Gibt es Ansätze, dass sich unsere christliche Gesellschaft bereits dem Islam unterwirft?

Kardinal Christoph Schönborn: Wir können muslimischen Familien nicht den Vorwurf machen, dass sie mehr Kinder haben als Christen. Vor einem vorauseilenden Gehorsam sollten wir uns aber hüten.

Das geschieht schon – etwa mit einem nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht.

Da muss sich die Zivilgesellschaft die Frage stellen: Was sind uns unsere bürgerlichen Freiheiten und Werte wert? Und dafür kämpfen.

Das wäre eine Chance für die Kirche, sich als Verteidigerin dieser aufgeklärten, bürgerlichen Werte zu präsentieren. Ist die katholische Kirche zu still?

Das ist eine verständliche Frage, mit der ich sehr oft konfrontiert werde: "Warum sagen Sie nicht mehr?" Ich versuche sehr viel über das Evangelium zu reden und zu schreiben. Die Ängste der Menschen sind berechtigt, aber es hilft nicht, wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen, sondern: Was tun wir?

Manche meinen: Grenzen zu. Das unterstützen Sie nicht.

Das ist letztlich auch nicht durchführbar. Wir können Europa nicht zur Festung ausbauen.

Österreich hat viel mehr Flüchtlinge aufgenommen als andere Länder. Wo ist der Punkt, wo das Land überfordert ist?

Wie viele Flüchtlinge kann ein Land aufnehmen? Das ist eine völlig berechtigte Diskussion. So lange wir zwischen den Aufnahmeländern ein so großes Ungleichgewicht haben, ist es verständlich, dass man sagt: Österreich kann nicht eine Last tragen, vor der sich die anderen drücken. Wie geht’s Ihnen, wenn ein Politiker bei einer Wahl mit dem Kreuz auftritt oder ein anderer, letztlich vergeblich, die Hoffnung ausspricht: "So wahr mir Gott helfe"?

Ich kann nur sagen: Möge es authentisch sein.

Mit dem Kreuz Politik zu machen, ist in Ordnung?

Leider ist mit dem Kreuz viel Politik gemacht worden. Man hat Waffen gesegnet mit dem Kreuz.

Schönborn: "Wir haben ein wunderbares Land"
Interview mit Kardinal Christoph Schönborn im erzbischöflichen Palais. Wien, am 03.12.2016
Wie schaffen Sie den Spagat zwischen den eher rechten Christen und eher grün-linkskatholischen Kreisen?

Beherzt – und mit einer gewissen Fröhlichkeit.

Steckt die Fröhlichkeit und Begeisterung des Papstes an?

Ich bin begeistert vom Papst und freue mich einfach, dass er auch für so viele Menschen, die mit Kirche und Religion wenig zu tun haben, so glaubwürdig ist.

Man könnte auch sagen, er ist populistisch.

Das sagen ihm seine Gegner nach. Ich erlebe ihn als sehr authentisch.

Er ist auch sehr klar, was die ungerechte Verteilung von Vermögen betrifft. Auch bei uns werden die Verteilungskämpfe stärker. Wie kann Österreich gerechter werden?

Indem wir ehrlicher werden. Warum gelingt es uns in diesem Land nicht, offen über Generationengerechtigkeit zu sprechen? Es ist eindeutig, dass die jüngere Generation am Gerechtigkeitskuchen weniger Anteil haben wird als die Älteren. Ich wünsche mir, dass man sich in der Politik traut, die Dinge beim Namen zu nennen. "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", hat Ingeborg Bachmann gesagt. Man sieht ja: Die Politik der Halbwahrheiten bringt nichts.

Zum Thema Missbrauch gab es im November eine Veranstaltung im Parlament. Ist das Thema nun für die Kirche abgeschlossen?

Es kann für uns keinen Schlussstrich unter dieses Thema geben, weil die Gefahr des Missbrauchs immer da ist. Zur Zeit kommt das Thema Missbrauch auch im Sport zur Sprache. Es gibt sicher noch weitere Bereiche in der Gesellschaft, wo dieser ehrliche Umgang, um den wir uns in der Kirche bemüht haben, noch fehlt.

Vor einer Generation stand die strafende Kirche im Vordergrund, nun ist es eher die Caritas-Kirche.

Was nicht so schlecht ist. Die karitativen Institutionen der Kirche sind inzwischen ein riesiger Bereich, an die der Staat sehr viel an sozialer Verpflichtung delegiert.

Es werden viele Milliarden ausgegeben, um das Leben des Menschen zu verlängern – bis hin zu Forschung für unendliches Leben. Der Mensch greift überall ein, Stichwort: Genetik. So wird er selbst ein schöpfender Gott, könnte man sagen.

Ich kann das nur mit Ironie betrachten, denn die Forscher werden irgendwann einmal sterben, wie wir alle. Außerdem kalkuliert man da mit einer Wohlstandssituation, die absolut nicht selbstverständlich ist. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob wir in eine weltweite Ernährungskrise kommen, was die Lebenserwartung sehr schnell wieder senken wird.

Aber auch die Wissenschaft entwickelt sich weiter und lässt sich schwer kontrollieren.

Das werden sich ein paar reiche Leute leisten können. Die dürfen dann etwas länger Bridge spielen, bis sie dann letztlich doch auch sterben.

Sind Sie prinzipiell skeptisch bezüglich gentechnischer Forschung am Menschen?

Ich bin fasziniert, vor allem über die Therapiemöglichkeiten. Auch wenn man natürlich mit jeder neuen Erfindung Furchtbares anstellen kann. Etwa, dass man versucht, gemischte Embryonen aus Mensch und Tier zu erzeugen. In unserer Gesellschaft existiert eine ganz große Sehnsucht nach Spiritualität, die die christlichen Kirchen offenbar nicht stillen können. Ihnen rennen die Schäfchen davon.

Sie kommen nicht in hellen Scharen, aber sie kommen zurück, wenn sie eine persönliche Glaubenserfahrung machen. Jesus hat schon den damaligen Pharisäern vorgeworfen, dass Sie den Schlüssel zur Erkenntnis verlegt haben. Diese Gefahr besteht natürlich. Daher braucht es mehr denn je geistliche Meister.

Sie finden aber immer schwerer Priester.

Da geht es nicht nur um Priester. Ich habe wunderbare Laien erlebt, die eine ganz große geistliche Kompetenz haben.

Die Kirche schließt ja 50 Prozent – die Frauen – vom Priesteramt aus. Wann ändert sich das?

Das kann ich nicht beantworten, aber eines weiß ich sicher: Es gibt sehr viele Frauen mit großer geistlicher Kompetenz, und ich versuche sie auch sehr zu fördern.

Gibt es das Christkind?

Das gibt es natürlich. Es ist die große Freude des Weihnachtsfestes. Dass man ab einem gewissen Alter den Kindern erklärt, dass das Christkind nicht persönlich die Geschenke unter den Christbaum gelegt hat, ist in Ordnung.

Wie es ein Priester vor Kindern gesagt und damit Proteste ausgelöst hat.

Ja, aber dazu hat ein Kind aus dieser Pfarre sehr treffend gemeint: "Der Herr Pfarrer kann uns doch nicht anlügen!"

Ihr Weihnachtswunsch an die Österreicher?

Aufeinander zugehen und sagen: Wir haben doch ein wunderbares Land, das uns gemeinsam anvertraut ist.

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