"Schön, wenn neues Leben entsteht"

Arche Bauern: Thomas, Sissy und Michaela Strubreiter
Die Landflucht ist weiblich. Zwei Frauen, die diesem Trend trotzen, verraten dem KURIER, warum.

Wenn man im Hof der Familie Strubreiter im Salzburger Lammertal aus dem Auto steigt, kommt nicht nur der Hofhund neugierig gelaufen. Es fetzt auch ein fröhliches Ferkelchen herbei, um an den Schuhbändern zu knabbern. Es hat ein graues Fell mit schwarzen Streifen und heißt Esmeralda. Zu den ausgefallenen Hofbewohnern zählt auch eine Hirschkuh namens Nina. Sie versenkt ihren schlanken, eleganten Kopf in meiner Handtasche, um deren Innenleben zu erkunden. Nina folgt den Menschen zum Kaffeetisch vor dem Haus und stellt sich beim Fotografieren löblicherweise mit ins Bild.

Die Strubreiters sind als "Arche"-Bauern spezialisiert auf das Züchten seltener Rassen. Im Rinderstall stehen prächtige Exemplare von Pustertaler Sprinzen. Der Ziegenstall ist mit unterschiedlich hohen Holzplattformen ausgestattet, damit die Babys der Blobe-Bergziegen früh das Springen üben können. In Gehweite befindet sich das Gelände der Mangalitza Woll-Schweine, auf dem sich zwei Säue mit ihren Frischlingen tummeln.

"Schön, wenn neues Leben entsteht"
Bauernhof Arche, Scheffau, im Bild v. li: Michaela Strubreiter Arche Bäuerin und Tochter Sissy Strubreiter Arche Jungbäuerin, mit Hirschkuh Nina ist im Herbst neu eingezogen, 12.04.2017 Foto: Franz Neumayr/SB

Diese Land-Idylle ist die Welt von Michaela und Sissy Strubreiter. Sie sind Mutter und Tochter und halten den Hof in Gang, wenn Thomas Strubreiter Holz fällt oder für die zweite Einnahmequelle des Hofs, die Tierzucht, unterwegs ist.

Das Leben von Michaela und Sissy ist stark von den Jahreszeiten geprägt. In diesen Apriltagen steht das Lammertal bereits in voller Blüte. Sie haben sehnsüchtig darauf gewartet, denn sie haben drei Wintermonate hinter sich, in denen kein einziger Sonnenstrahl den Hof an der Nordseite des Tennengebirges erreicht. In wenigen Wochen werden sie den Hof wie jedes Jahr für vier Monate schließen und mit Sack und Pack auf die Alm ziehen. "Da oben habe ich kein Fließwasser. Wir duschen, wenn es regnet, unter der Dachtraufe", erzählt Michaela.

Auch die 19-jährige Sissy freut sich schon auf die Alm-Monate bis Anfang September. "Das ist die Zeit, wenn die Kitzlein von den Geißen getrennt werden. Da stehe ich dann jeden Tag früh auf, gehe zum Melkstand, wo die Geißen schon auf mich warten, um gemolken zu werden." Großstadtleben mit Partys und Büro locken Sissy nicht: "Hier auf dem Land kann ich meine Kreativität ausleben. Voriges Jahr habe ich begonnen, in Öl eingelegten Ziegenkäse zu produzieren. Heuer möchte ich mich zusätzlich den Almkräutern zuwenden und Verwendungsmöglichkeiten testen."

Sissy und ihre Mutter Michaela sind in ihrer Land-Liebe Ausnahme-Frauen. Die ländlichen Regionen haben mit Abwanderung zu kämpfen, und die Landflucht ist weiblich. Es fehlt den Frauen an vielem: an Bildungsmöglichkeiten, an adäquaten Jobs, an Kinderbetreuung und schlicht und ergreifend an Wertschätzung für ihre Leistung und an Gehör für ihre Anliegen.

Pro 1000 Einwohner verlassen 50 Frauen zwischen 19 und 26 Jahren das Land. Das ist viel – nämlich zehn Prozent der Frauen, und genau die jungen. Die Hälfte dieser weiblichen Landflüchtlinge kehrt zwar irgendwann wieder zurück, doch die Hälfte dieser Rückkehrerinnen ist dann schon in Pension.

Wer die Landregionen retten will, muss den Fokus auf die Frauen richten. Das hat auch Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter erkannt. Er setzt denn auch 2017, in seinem Themenjahr "Regionalität", eine Reihe von frauenspezifischen Initiativen. In der Digitalisierung sieht Rupprechter eine Chance, Frauen auf dem Land zu halten. Ultraschnelles Internet in jeden Winkel Österreichs lautet eines seiner Ziele. Sich per Livestream aus dem Hörsaal zu bilden, auf dem Hof einen digitalen Arbeitsplatz einzurichten und auf der ganzen Welt Freundschaften mit gleichgesinnten Frauen zu pflegen – das sind neue Möglichkeiten, die helfen könnten.

Global vernetzt sein – auch in der Almhütte mit Dachtraufendusche. Oder, wie es Sissy ausdrückt: "Wir sind nicht aus der Welt. Wir haben Handy und Internet."

Kommende Woche wird sich auf Rupprechters Initiative im Tiroler Bergdorf Alpbach eine Art Internationale der Bergbäuerinnen (bzw. deren Vertretungsorganisationen) treffen. Aus Nepal kommt die Leiterin des Zentrums für Frauen im Himalaya, Tshering Yodin Sherpa. Aus Kirgistan reist die Leiterin der Bergpartnerschaft Zentralasien, Elbegzaya Batjargal, an. Es kommen Monica Gabay von Argentiniens Ministerium für Bodenmanagement und Musonda Mumba vom Network of African Women Environmentalists. Die heimischen Bäuerinnen werden von Andrea Schwarzmann, Bergbäuerin aus Vorarlberg, vertreten.

Michaela würde ihren Bäuerinnenberuf nicht mit einem Bürojob tauschen wollen: "Ich kann daheim arbeiten. Ich habe meine Versorgung selbst in der Hand – Milch, Fleisch, den Garten."

Sissy schätzt besonders den Umgang mit Tieren: "Sie haben keine Vorurteile, es ist ihnen egal, ob jemand Markengewand trägt."

Dass sie die Tiere, bei deren Geburt sie helfen, die sie aufwachsen sehen und denen sie Namen geben, essen, damit haben die Strubreiters kein Problem: "Tiere schützen heißt, sie zu nützen."

Es ist die Nähe zum Elementaren, die Sissy motiviert, Hoferbin zu werden. "Man sieht, wie Wesen geboren werden, und wie sie gehen. Auf dem Hof liegen Leben und Tod nah beisammen. Es ist schön zu sehen, wenn neues Leben entsteht."

Internationales Bäuerinnen-Treffen

Am 18. und 19. April veranstaltet Umweltminister Andrä Rupprechter (Bild links) in Alpbach eine internationale Konferenz zur Rolle der Frauen in Bergregionen. Es kommen Vertreterinnen aus Ost- und Westafrika, Argentinien, Nepal, Bhutan, Kirgistan. Sie werden mit Bäuerinnen aus Österreich und Südtirol über Umwelt, Wirtschaft, Kultur und Soziales diskutieren. Die Konferenz wird eine Plattform zum permanenten Informations- und Erfahrungsaustausch ins Leben rufen. Das Generalthema lautet: Die Regionen sind essenziell für Klima, Umwelt, Wasserressourcen, gesunde Lebensmittel, Artenvielfalt, regionale Kultur – daher müsse die Rolle der Frauen in Bergen und anderen ländlichen Regionen in den Vordergrund rücken.

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