Schelling: "Der New Deal existiert nicht"

Finanzminister Hans Jörg Schelling vor seiner Budgetrede
Am Mittwoch hält er die Budgetrede. Der Finanzminister über die Regierung und Reformen.

KURIER: Am Freitag wurde das Angebot von den HETA-Gläubigern angenommen. Wie groß ist die Erleichterung, dass der jahrelange Nervenkrieg nun zu Ende ist?

Hans Jörg Schelling: Es ist ein enormer Rucksack, den wir hier mitgeschleppt haben. Die Erleichterung ist da, weil es wieder Vertrauen und Rechtssicherheit schafft. Für Kärnten und für Österreich war es wichtig, dass ein Bundesland nicht in die Insolvenz geht. Das wäre ein furchtbarer Kollateralschaden gewesen. Die Ratings wären hinuntergefahren. Wir hätten weit höhere Zinsen in den kommenden Jahren zahlen müssen. Nur ein Beispiel, wie ernst die Lage war: Als der Streit mit den Gläubigern eskalierte, strichen die deutschen Banken die Kreditlinien für Österreich. So ist der Reputationsschaden für den Finanzplatz wiedergutgemacht und alle Kreditlinien sind offen.

Schelling: "Der New Deal existiert nicht"
Finanzminister Hans Jörg Schelling im Interview in seinem Büro. Wien, 06.10.2016.

Als Sie das Moratorium in Kraft setzten, meinten Sie, dass Sie kein weiteres Steuergeld in die HETA pumpen werden. Können Sie das noch immer garantieren?

Wir gehen mit großer Wahrscheinlichkeit davon aus. Was sehr erfreulich ist, ist, dass der Abbau in der HETA besser funktioniert als ursprünglich geplant. Wenn man sich die Cashpositionen anschaut, bin ich zuversichtlich, dass wir unserem Ziel, kein Steuergeld mehr in die Hand nehmen zu müssen, nähe kommen. Endgültig kann man das erst sagen, wenn die HETA komplett abgewickelt ist. Wir haben einen Zeitplan, dass bis 2020 80 Prozent abgewickelt sein müssen.

Gehen wir zum Finanzausgleich. Die Reform war eines Ihrer Hauptziele für 2016. Der steirische Finanzlandesrat Michael Schickhofer fordert nun für die Länder 500 Millionen Euro mehr an Budget, aber an Reformen wie etwa der Steuerautonomie ist er nicht interessiert. Wie verärgert sind Sie?

Ich bin weniger verärgert, als er erstaunt. Wir haben gemeinsam mit den Ländern ausgemacht, dass wir Reformen machen wollen. Der Tenor war: "Das ist der Einstieg zum Umstieg." Wenn sich jetzt Schickhofer hinstellt und sagt: 500 Millionen mehr, aber keine Reformen, dann ist das kontraproduktiv. Entweder war er bei den Sitzungen nicht anwesend oder Schickhofer hat es nicht verstanden – das mag sein. Die Signale der Länder sind klar, es handelt sich hier wohl um eine Einzelmeinung Schickhofers. Ich stelle daher klar: Wir sind auf einem guten Weg. Bei der Steuerautonomie gibt es nicht die generelle Ablehnung. Drei Länder wollen es haben, drei lehnen es ab, drei sind abwartend. Die Steuerautonomie lässt sich auch nicht so schnell umsetzen. Daher werden wir hier Schritt für Schritt agieren. Alle erwarten sich zwar den Big Bang. Aber der geht nicht. In der Schweiz hat man 15 Jahre benötigt, um den Finanzausgleich umzustellen.

Schelling: "Der New Deal existiert nicht"
Finanzminister Hans Jörg Schelling im Interview in seinem Büro. Wien, 06.10.2016.

Wie wird der Reformstart ablaufen?

Die geplanten Reformen sind in den nächsten Wochen zu beschließen. In den Jahren 2018, 2019, 2020 soll dann die Umsetzung folgen. Der Einstieg bei der Aufgabenorientierung sind etwa die Kindergärten. Hier können die Länder und Gemeinden einen bestimmten Betrag pro Kindergartenkind erhalten, dafür aber weniger Geld aus dem allgemeinen Steuertopf. Warum ist das wichtig? Weil sich der ganze Verteilungsschlüssel dadurch verändert und nicht mehr vom abgestuften Bevölkerungsschlüssel alleine erklärt wird. Unser Modell im Bereich einer intensiveren Aufgabenorientierung hätte einen jährlichen Differenzbetrag von 0,02 Prozent für das Budget der Länder ergeben. Ich meine, das kann man verkraften. Vor Kurzem hat Salzburgs Vize-Landeshauptmann Christian Stöckl gemeint: Der Bund verhandelt so hart. Was hat man von mir erwartet? Dass alle kommen und sagen: Gib mir mehr Geld und ich nicke ab. Ich habe eine Gesamtverantwortung zu tragen.

Die SPÖ ist gegen eine Pensionsreform, die Österreicher sind gegen längeres Arbeiten. Gelingt wenigstens die Abschaffung der kalten Progression?

Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich jede Art von Umverteilung durch die kalte Progression nicht mitmache. Mein System sieht vor, dass die kalte Progression automatisch im Börserl ankommt. Dabei bleibe ich. Das Modell des Koalitionspartners sieht keine Automatik vor, sondern der Finanzminister müsste dann einen "Progressionsbericht" vorlegen, auf Grundlage dessen die Regierung jedes Mal aufs Neue über eine Abgeltung der kalten Progression entscheidet und welche Einkommensschichten diese überhaupt erhalten. Da die nächste Regierung keine Alleinregierung sein wird, frage ich mich, wie soll man sich bei diesem Modell einigen. Jetzt haben wir ein bisschen Zeit, weil die Steuerreform die kalte Progression abfedert. Aber die Abschaffung wird und muss kommen. Das steht den Steuerzahlern zu.

Am Mittwoch halten Sie die Budgetrede. Im Bildungsbudget fehlen 550 Millionen, die Länder und Gemeinden wollen jeweils 500 Millionen. Dazu kommt die Flüchtlingskrise. War das Ihr bisher schwerstes Budget?

Ich hätte auch gerne 500 Millionen. Aber das Budget ist ausgereizt. Weil wir mehrere außerordentliche Situationen haben, etwa mit der Migration und der Integration. Dann haben wir ein Arbeitsmarktproblem, das viel Geld kostet. Bei den Pensionen sagen alle, dass sie weniger kosten. Sie kosten nicht weniger. Die Zuschüsse des Bundes steigen nur nicht so stark wie geplant an – aber sie klettern hinauf. In den nächsten Jahren werden sie wieder um drei Milliarden ansteigen. Wie finanzieren wir das alles, und erreichen auch noch das strukturelle Nulldefizit? Das geht, weil wir bei einigen Positionen, etwa bei den Zinsen, weniger Belastungen als geplant haben. Aber mehr geht nicht. Das Budget ist durch diese außerordentliche Situation ziemlich an die Kante gekommen. Was die Bildung betrifft, wird es eine Lösung geben. In Zukunft möchte ich eine bessere Evaluierung der Ausgaben und auch eine Ausgabenanalyse einführen und nicht einfach die Positionen weiterzuschreiben.

Schelling: "Der New Deal existiert nicht"
Finanzminister Hans Jörg Schelling im Interview in seinem Büro. Wien, 06.10.2016.

Man hatte bei nicht wenigen Ihrer jüngsten Aussagen das Gefühl, dass Sie schon im Wahlkampfmodus sind. Sie sind ein Mitterlehner-Gefolgsmann, bleiben Sie auch Finanzminister unter Sebastian Kurz?

Die Frage stellt sich nicht. Wann Neuwahlen sind, und wer dann als Spitzenkandidat in den Wahlkampf geht, berührt mich überhaupt nicht. Mein Arbeitsplatz ist das Finanzministerium. Ich beziehe Positionen. Ich bin gegen neue Steuern und gegen neue Schulden. Das wird man wohl noch sagen dürfen, ohne gleich im Wahlkampfmodus zu sein. Wenn man etwas anderes will, müsste man eine neue Regierungslinie daraus formen. Aber mir ist nicht bekannt, dass die Regierungslinie verändert wurde. Wenn ich als Finanzminister von halb Europa angerufen werde, ob wir nun den EU-Stabilitätspakt verlassen, dann muss ich das klarstellen. Außerdem muss ich als Finanzminister Dinge auch objektivieren. Ich habe mir angeschaut, wer in Europa überhaupt spart. Und da stellt man fest: Ganz Europa spart nicht. Die Defizite gehen überall hinauf. Österreich hat eine stabile Investitionsquote von drei Prozent im öffentlichen Bereich. Wo sparen wir da? Daher habe ich den Gedankengang von Christian Kern, den er in der Frankfurter Allgemeinen publiziert hat, nicht verstanden.

Sie haben einmal gesagt: Sollten die Blauen in die Regierung kommen, wollen Sie nicht mehr weitermachen. Kann man im Umkehrschluss davon ausgehen, dass Sie Alexander Van der Bellen wählen werden am 4. Dezember?

Das heißt es nicht. Ich habe mit beiden Kandidaten meine Probleme. Ich habe damals gesagt, dass ich in einer blau-schwarzen Regierung nicht zur Verfügung stehe. Die Frage ist bei einer schwarz-blauen-Regierung: Wer führt die Regierung? Wenn man das Land nach vorne bringen will, dann braucht man Regierungen, die bereit sind, etwas einzusetzen. Aber ich sehe derzeit die Lösungskompetenz bei der FPÖ nicht. Wenn man an die vielen Ministerwechsel bei der Schwarz-Blauen-Regierung zurückdenkt, dann sieht man, dass die Personalressourcen bei der FPÖ nicht sehr groß sind. Jetzt warten wir ab, wann die nächste Wahl ist und wie die ausgeht. Daher soll sich niemand jetzt schon große Hoffnungen machen, dass er der sichere Sieger ist.

Sie rechnen also mit Neuwahlen?

Das glaube ich nicht. Außer, man verlässt den Weg jetzt. Im Wesentlichen ist ein New Deal angekündigt worden. Aber der New Deal existiert nicht und ist über die Ankündigung nicht hinausgekommen. Wenn ich sehe, was auf Beamtenebene verhandelt wird, so befinden wir uns noch immer im alten Tauschgeschäftsmodus: Ich gebe dir die Gratis-Zahnspange, und du gibst mir den Handwerkerbonus. Das ist kein New Deal. Da mache ich nicht mit. Will man den New Deal, dann gibt es nur eine mutige Frage zu stellen: Was nützt es dem Land, und was nützt es den Menschen? Wenn wir uns nicht von der Frage verabschieden – was nützt es der Partei und was nützt es mir –, dann werden wir dieses Land nicht nach vorne bringen.

Sie haben sich bis zur Budgetrede auf Diät gesetzt. Wie geht es Ihnen dabei?

Ich mache keine Diät, sondern ich verzichte auf Alkohol und esse nichts Süßes. Das erste Glas Wein werde ich erst nach der Budgetrede trinken. Das ist für einen Winzer besonders schwierig. Aber ein schlankes Budget braucht einen schlanken Finanzminister. Eine Kleidergröße weniger habe ich schon geschafft.

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