Scharfe Kritik an Putins Wien-Visite

Diplomatischer Balanceakt vor dem Besuch. Der Vertrag über South Stream wurde bereits unterzeichnet.

Wien bereitet sich auf hohen Besuch vor, doch der rote Teppich am Flughafen Schwechat bleibt eingerollt. Der zunächst geplante Staatsbesuch des Kremlherren ist plötzlich ein viel weniger pompöser "Arbeitsbesuch". Doch mit oder ohne allerhöchste staatliche Weihen – Wladimir Putins Sechs-Stunden-Abstecher in die Bundeshauptstadt bringt die heimische Politspitze in Erklärungsnot. Seit der Annexion der Krim durch Russland hat kein EU-Land mehr den russischen Staatschef zu einem bilateralen Besuch empfangen. Österreich öffnet dem heiklen Gast heute als erster EU-Staat seit Beginn der Ukraine-Krise seine Tore. Bevor Putin den Flieger richtung Wien bestieg, sendete er in dieser Causa auch Entspannungssignale: Er zog die Erlaubnis für seine Truppen zurück, in der Ukraine einzugereifen (mehr dazu siehe hier).

Und auch wenn sich Bundespräsident Heinz Fischer den umstrittenen Besuch nach sorgfältiger Rücksprache mit der EU-Spitze absegnen ließ, sah sich Außenminister Kurz am Montag genötigt, Österreichs Haltung zu verteidigen: Fischer schere nicht aus der gemeinsamen EU-Position aus, "sondern er sucht das Gespräch mit beiden Seiten. In diesem Fall halte ich das für absolut legitim". Nichtsdestotrotz wird Fischer heute Abend nicht bei der Kranzniederlegung am Ehrenmal der Roten Armee mit dem russischen Staatschef zu sehen sein. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wird als Regierungsvertreterin teilnehmen. Dies geschehe auf persönliches Ersuchen des Bundespräsidenten. Fischer selbst ist am Abend verhindert, Putin wird aber am Nachmittag bei ihm zu Gast sein.

Daran hat in der Riege der EU-Außenminister nicht jeder Freude: Schwedens Carl Bildt kritisierte Putins Wien-Besuch: "Man weiß, dass Putin die Europäische Union spalten will." Kontakte mit Moskau seien wichtig, zuständig dafür sei aber nicht Wien, sondern die EU. Auch die US-Botschaft in Wien kritisiert: Österreichs Regierung, Wirtschaftsvertreter und Bevölkerung sollten vorsichtig sein, ob die heutigen Ereignisse den Friedensbemühungenin der Ukraine förderlich seien.

South Stream fixiert

In Österreich empören sich die Grünen am lautesten. Ihre Kritik aber gilt weniger dem russischen Staatschef als Präsident Fischer und Kanzler Faymann. Denn diesen gehe es bei den viel beschworenen Gesprächen mit dem Kremlherrn weniger um die Ukraine als um die russisch-österreichischen Wirtschaftsbeziehungen. Ein Vorwurf, den Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner am Montag zurückwies. Angesichts der gestoppten Gaslieferungen "müssen wir jetzt den Dialog beginnen und über Gas reden. Im Winter, wenn die Industriebetriebe kein Gas mehr für die Produktion haben, fragt keiner mehr, wo denn die Solidarität war".

Im Vorfeld des Besuchs wurde am Dienstag auch bereits zwischen OMV und Gazprom der Vertrag über South Stream unterzeichnet. OMV-Generaldirektor Gerhard Roiss und Gazprom-Chef Alexej Miller fixierten den Bau des österreichischen Abschnitts der Gaspipeline, die ab 2017 russisches Gas bis nach Österreich bringen soll (siehe unten). Dass der Deal schon vor Putins Ankunft in Wien abgeschlossen wurde, dürfte diesem nicht genehm sein: Dem Vernehmen nach wollte Russlands Präsident bei der Unterzeichnung gerne dabei sein.

Auch am Bau von South Stream hagelt es Kritik: Während die EU-Kommission das Projekt aus politischen Gründen auf Eis legen möchte und das auf russisches Gas angewiesene Bulgarien den Bau nach Druck aus Brüssel vorerst gestoppt hat, hält die österreichische OMV an dem Projekt, mit dem die unsichere Verbindung durch die Ukraine umgangen werden soll, unbeirrt fest: "Es handelt sich um eine Investition in die Sicherheit der Energieversorgung Europas", sagte OMV-Chef Roiss.

Fischer: "klare und deutliche Sprache"

Bundespräsident Heinz Fischer geht im Ö1-Morgenjournal am Dienstag davon aus, dass "rationale Argumente bei Putin auf einen fruchtbaren Boden fallen können". Fischer will eine "klare und deutliche Sprache" zu sprechen. Nach Kurz´ Verteidigungsrede am Montag haben sich heute mehrere Regierungsmitglieder angeschlossen: Österreich habe die Funktion eines "Brückenbauers", so der Tenor am Rande des Ministerrats. ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger betonte, man müsse "die Gesprächskanäle offen halten".

"Es ist eine gute Möglichkeit, unsere Punkte anzusprechen, etwa dass man das Vorgehen Russlands in der Ukraine-Krise nicht akzeptiere", sagte Spindelegger. "Im Fokus der Gespräche muss eine Lösung in der Ukraine stehen", betonte auch Innenministerin Mikl-Leitner und stellte in Abrede, dass es bei dem Treffen um Wirtschaftsinteressen gehe. "Österreich war immer Brückenbauer und international Drehscheibe für Lösungen", so Mikl-Leitner.

Auch SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer sagte, "es sei notwendig, Brücken aufrecht zu erhalten. Wenn man miteinander Reden kann, sollte man miteinander reden", so Hundstorfer.

SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann betonte nach dem Ministerrat die Rolle Österreichs als Brückenbauer: "Ich bin der Überzeugung, dass derartige Gespräche geführt von Österreich sinnvoll sind." Es sei wichtig, bei Bemühungen für Frieden und Deeskalation die Stimme zu erheben und Russland und Putin aufzufordern, aktiv eine Rolle in der Friedenspolitik zu spielen.

Indes kehrt im Krisengebiet im Osten der Ukraine heute etwas Ruhe ein. Die prorussischen Separatisten haben eine Waffenruhe verkündet. Mehr dazu lesen Sie hier.

Scharfe Kritik an Putins Wien-Visite

Heute ist der russische Präsident in Wien. Obwohl polit-medial schlecht beleumundet, heißt die Mehrheit der Österreicher gut, dass ihn hohe heimische Polit-Vertreter empfangen; 55 Prozent befinden das für richtig, wie eine OGM-Umfrage für den KURIER ergibt. Nur 29 Prozent missfällt es.

Brückenbauer-Sicht

„Eher im Bauch sitzende Motive“ würden die Befürworter leiten, sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer dem KURIER. „Wir sind noch immer tief im Herzen neutral, reden mit allen. Wir sahen uns stets als Brückenbauer zwischen Ost und West.“ Opportunistisch-diplomatisch werde auch gedacht – im Sinne von: „Das kann eher nützen als schaden.“ Und so spiele Wirtschaftliches ebenfalls mit: „Die Gasversorgung.“

Wie steht es mit dem Gefühl, als kleines Land zumindest kurzfristig global beachtet zu werden? „Das gibt es. Nach dem Motto: Wir sind wer.“ Abgesehen davon gebe es in Österreich – trotz kritischer Berichterstattung – „auch eine gewisse russenfreundliche Stimmung, oft verbunden mit anti-amerikanischer Haltung“, sagt Bachmayer. Und die Neos von Matthias Strolz hätten „die Thematik hochgezogen: Russland gehört zu Europa.“

Immerhin 62 Prozent der Pink-Anhänger behagt, dass Putin heute mit dem Bundespräsidenten, dem Kanzler, dem Außen- und Wirtschaftsminister zusammentrifft. Der größte Zuspruch (76 %) zu diesen Arbeitsgesprächen kommt freilich von FPÖ-Sympathisanten. Bachmayer: „Damit folgen sie der pro-russischen Linie von Parteichef Heinz-Christian Strache, die er schon seit Längerem, zuletzt aber wieder sichtbarer fährt.“ Lediglich für Grün-Fans ist nicht richtig, dass Putin in der Bundeshauptstadt zugange ist: „Das liegt eindeutig an Putins Umgang mit Menschenrechten.“

Auch Junge sehen Putins Österreich-Trip eher skeptisch (42 % sind dafür, 29 % dagegen). Anders ist das bei Über-50-Jährigen. Zweidrittel von ihnen halten die Visite für gut.

Die Außenminister der EU-Staaten haben bei ihrem Treffen am Montag in Luxemburg, an dem auch der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin teilnahm, den Ton gegenüber Russland noch einmal verschärft.

In einer gemeinsamen Erklärung warnten sie Moskau vor einer weiteren Eskalation der Lage: „Sollte die Situation dies erfordern“, seien „gezielte Maßnahmen“ in Vorbereitung. Die EU fordert Russland erneut auf, die Grenze zur Ukraine für Waffen und Bewaffnete zu schließen und die prorussischen Separatisten zu stoppen.
Bis Freitag habe Russland noch Zeit, einzulenken, sagte der britischer Außenminister William Hague: „Putin sollte nicht daran zweifeln, dass die EU bereit für Sanktionen ist.“

Außenminister Sebastian Kurz meinte hingegen: „Derzeit ist eine Verschärfung kein Thema.“ Noch sehe man in Verhandlungen und dem Friedensplan der ukrainischen Regierung, der von der EU unterstützt wird, „eine große Chance“, so Kurz.

Sollte sich die Lage jedoch zuspitzen, könnten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten bei ihrem Gipfel am Freitag über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland entscheiden. Nach Konto- und Einreisesperren geht es in „Phase 3“ nun um Wirtschaftssanktionen, die in der EU jedoch umstritten sind: Möglich sind Handelsbeschränkungen (z. B. für Luxusgüter wie Wodka, Kaviar, Pelze oder Diamanten), ein Waffenembargo, Einschränkungen im Kapitalverkehr und, als schärfste Maßnahme, ein Embargo auf russische Gas- und Ölimporte.

Bis kurz vor Vertragsabschluss haben Gazprom und OMV noch über Details verhandelt. Dienstagmittag wurde der Vertrag für das letzte Teilstück der Pipeline South Stream über Ungarn nach Baumgarten (Niederösterreich) in Wien unterschrieben. Es geht dabei um eine niedrige dreistellige Millionensumme.
Das Projekt ist trotz des relativ geringen Betrages sowohl für die EU als auch für Russland wichtig. Denn die neue South Stream kann die EU ab 2018 vom Gastransfer durch die Ukraine unabhängig machen und die Position Österreichs als Drehscheibe für den EU-Gashandel stärken. Als Gegenleistung erhält die Gazprom vom Mehrheitseigentümer OMV Anteile an der Gasbörse CEGH (Central European Gas Hub). Die CEGH speichert wichtige Daten über den Gashandel. Kein Wunder, dass die Gazprom Anteile besitzen will.

Scharfe Kritik an Putins Wien-Visite
Der erste Versuch, einen solchen Deal durchzuziehen, war 2011 gescheitert. Die EU hat das Tauschgeschäft South-Stream-Anschluss gegen Beteiligung an der Gasbörse gestoppt. Die Gazprom wollte damals 50 Prozent der CEGH-Anteile. Das konnte Brüssel nicht akzeptieren. Die Gazprom hätte dadurch nicht nur ein Drittel des Gasbedarfs der EU geliefert , sondern auch noch beim Handel mit Gas kräftig mitgemischt.

Auch diesmal müssen die Wettbewerbshüter dem Geschäft zwischen Gazprom und OMV zustimmen. „Wir werden uns die Verträge genau ansehen“, verspricht Walter Boltz, Vorstand der Aufsichtsbehörde E-Control. Angeblich ist die Gazprom diesmal mit einem deutlich geringeren Anteil an der Gasbörse von etwa 25 Prozent zufrieden. Möglich, dass die Wettbewerbshüter Auflagen erteilen.

Die EU-Kommission steht der South Stream reserviert gegenüber. Brüssel befürchtet eine steigende Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland. Dazu kommt, dass laut EU-Recht der Lieferant des Erdgases nicht den Zugang zur Pipeline kontrollieren darf. Die Gazprom ist auch Mehrheitseigentümer der South Stream. EU-Energiekommissar Günther Oettinger: „Ich will die South Stream nicht blockieren, aber ich denke, dass alle Beteiligten das EU-Recht akzeptieren sollten.“

Fünf Sperrzonen in der Wiener Innenstadt und ebenso viele angekündigte Gegen-Demonstrationen: Der Staatsbesuch von Russlands Präsidenten Wladimir Putin sorgt für einen Großeinsatz der Polizei.

Per Verordnung der Landespolizeidirektion Wien wurden Sperrzonen für folgende Gebiete erlassen: Ballhaus- und Heldenplatz (ab 12 Uhr), das in zwei Zonen unterteilte Gebiet rund um das Ritz Carlton am Schubertring, das Gelände um den Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz und der Stubenring bei der Wirtschaftskammer (alle ab 17 Uhr).

Obwohl fünf Demonstrationen gegen Putins Besuch angemeldet wurden, rechnen die Sicherheitskräfte nicht mit einer Eskalation von Gewalt. Gegen den russischen Staatschef wird am Josef-Meinrad-Platz, am Minoritenplatz, am Schwarzenbergplatz, am Heldenplatz und vor dem Parlament demonstriert.

Laut Wiener Polizei beträgt die Gesamtzahl der angemeldeten Demonstranten rund 1200. Ihnen werden, wie Polizeisprecher Roman Hahslinger erklärt, „ein paar Hundert Polizisten“ für die Sicherung des Staatsgastes gegenüberstehen. Hahslinger will auch nicht von besonderen Sicherheitsvorkehrungen sprechen: „Für uns ist das ein ganz normaler Staatsbesuch.“

Schon vor Jahren hätte es die EU in der Hand gehabt, über eine gemeinsame Energiepolitik die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Geschehen sei nichts, kritisiert Simeon Djankov, von 2009 bis 2013 bulgarischer Vizepremier, im Gespräch mit dem KURIER.

2010 hätten sich sieben osteuropäische Länder – angeführt von Polens Premier Donald Tusk und Bulgariens damaligem Regierungschef Bojko Borissow – an die EU-Kommission sowie Deutschland, Frankreich und Italien gewandt. Damals stand die Neuverhandlung der Lieferverträge mit Gazprom bevor. „Alle haben Unterstützung zugesagt, geholfen hat keiner. Nationale Interessen wurden über europäische gestellt“, klagt Djankov. Deutschland habe nämlich ohnehin günstiges Gas erhalten, um etwa 380 US-Dollar pro tausend Kubikmeter. Bulgarien habe damals mit 660 US-Dollar fast das Doppelte dafür gezahlt. Noch wichtiger als ein billiger Einheitspreis wäre es gewesen, Europas Verhandlungsmacht in die Waagschale zu werfen.

Auch die OMV-Pipeline Nabucco, die ohne Russengas auskommen wollte, sei an fehlender EU-Unterstützung gescheitert, sagt Djankov. Das russische South-Stream-Projekt, aus seiner Sicht nur die zweitbeste Option, sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. Die EU lässt die Bauverträge in Bulgarien überprüfen – zu Recht, sagt der Ökonom: „Transparenz ist das Wichtigste.“ Er wirft der sozialistischen Nachfolgeregierung vor, die Vergabe ohne Ausschreibung durchgeboxt zu haben. Bulgariens Energiesektor leide seit Jahrzehnten unter Korruption und Ineffizienz. Zugleich ist dieser von Russland abhängig wie in keinem anderen EU-Land. Hermann Sileitsch

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