Rot-Schwarz: Ein System auf der Kippe

Leitl, Foglar: Zweieinhalb Stunden Kriseneinsatz im Kanzleramt.
Sozialpartner und ÖVP wollen keine irreparable Trennung der großen Koalition. Dies würde der FPÖ nach Neuwahlen alle Trümpfe in die Hand geben: Sie könnte sich den Partner aussuchen und den Koalitionspakt diktieren.

Donnerstag, der 26. Jänner 2017 um 21.30 im Café Griensteidl in der Wiener Innenstadt. ÖGB-Präsident Erich Foglar und Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sitzen in einer Fensternische des Kaffeehauses. Bei einem Glas Wein philosophieren die beiden Spitzen-Sozialpartner über die gute, alte Zeit. Anton Benya und Rudolf Sallinger – ja die konnten Kompromisse schließen! Globalisierung war damals ein Fremdwort, die Wirtschaft noch auf nationaler Ebene steuerbar. Drei, vier Prozent Wachstum jedes Jahr waren die Norm – da gab’s noch was zu verteilen!

Und heute? Die Politik läuft der globalisierten Wirtschaft hinterher, und die Kompromissfähigkeit der Sozialpartner nimmt ab, weil nichts mehr zum Verteilen da ist. Wer selbst mit dem Rücken zur Wand steht, fühlt sich nicht in der Lage, anderen gegenüber großzügig zu sein.

Während die beiden Präsidenten nostalgischen Erinnerungen an die Hochzeiten der Sozialpartnerschaft nachhängen, ringt im Kanzleramt, nur einen Steinwurf vom Griensteidl entfernt, die rot-schwarze Koalition ums Überleben.

Die beiden Präsidenten schätzen die Lage ernst ein. Ist sie tatsächlich ernster als sonst?

Es stimmt schon – zwischen SPÖ und ÖVP sind Regierungskrisen immer schon an der Tagesordnung gewesen. Seit 1986 picken die beiden Parteien – mit Ausnahme der sechs Jahre Schwarz-Blau – aufeinander. Dass sich da eine gewisse Koalitionsmüdigkeit einstellt, ist nicht weiter verwunderlich.

Grundkonsens steht auf dem Spiel

Dennoch ist die Situation diesmal anders als bei früheren Trennungen auf Zeit. Früher konnten SPÖ und ÖVP auf den Bestand ihrer Hochburgen vertrauen, auch wenn eine der beiden Parteien eine Zeit lang nicht in der Regierung saß. Die unantastbaren Sozialpartner, die von diesen selbstverwaltete Sozialversicherung, die Landeshauptleute, Banken, staatsnahe Wirtschaft, Aufsichtsräte, Verwaltung, Justiz – all das blieb im Wesentlichen rot-schwarz austariert, selbst wenn sich SPÖ und ÖVP gerade als Regierung und Opposition gegenübersaßen. Der rot-schwarze Grundkonsens der Kompromissfähigkeit, verkörpert in der Sozialpartnerschaft, hat bisher immer gehalten.

Jetzt steht er zum ersten Mal auf dem Spiel. Der Grund: SPÖ und ÖVP verlieren bei den Wahlen Hemd und Hosen. Beispiele dafür gibt’s viele: Erstmals ist ein Grüner an der Staatsspitze. Die Blauen führen seit Monaten in allen Bundes-Umfragen. Die Grünen hängen die SPÖ in ihren früheren Stammgebieten, den Städten, ab. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis nach dem Sonderfall Kärnten auch andere, gewichtigere Bundesländer blaue Landeshauptleute bekommen.

Eifersüchteleien & Animositäten

Diese Entwicklung hat logischerweise Folgen in den traditionellen Staatsparteien. Sie bezichtigen einander, schuld am eigenen Unglück zu sein. Daher erfreut sich eine Auffassung steigender Beliebtheit, die lautet: Nichts wie weg aus der Koalition, wenn wir noch länger beisammenpicken, sind wir tot.

Hinzu kommen Eifersüchteleien, Animositäten und Misstrauen. Selbst wenn die Regierung nochmals ein Programm zusammenbringt – die über die Jahre aufgebauten Aversionen lassen sich nicht übers Wochenende wegverhandeln.

"Die SPÖ soll sich endlich andere Mehrheiten abseits der ÖVP suchen", fordert etwa Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl mit der kaum verhohlenen Forderung nach dem Wechsel zu Rot-Blau.

Auf der ÖVP-Seite wurde der Störenfried vom Dienst, Reinhold Lopatka, von Parteichef Reinhold Mitterlehner zwar aus der großen Verhandlungsrunde ferngehalten. Es fragt sich aber, welchen Wert von den rot-schwarzen Verhandlern Vereinbartes hat, wenn der Klubobmann der ÖVP, der letztlich alles durchs Parlament bringen soll, nicht mit am Tisch sitzt.

Selbstschädigung

Die Emotionen auf beiden Seiten mögen zwar menschlich nachvollziehbar sein, aber sie sind auch in höchstem Maß selbstschädigend. Das haben die Sozialpartner-Präsidenten ebenso erkannt wie einflussreiche Politiker in der ÖVP. Ihre Argumentation: Wenn die Regierung jetzt in einem großen Krach auseinandergeht, dann tritt sie mit leeren Händen vor die Wähler. Rot-Schwarz, ohnehin auf einem Beliebtheits-Tiefpunkt, wäre als Neuauflage nach der Wahl ein No-Go.

Unter der Hypothese, dass nach der nächsten Wahl SPÖ, ÖVP und FPÖ ungefähr gleich stark sind, würden der FPÖ alle Trümpfe in die Hand geteilt. Im Szenario, dass Rot-Schwarz als Koalitionsvariante ausgeschlossen ist, könnte die FPÖ den Koalitionspakt diktieren und sich aussuchen, entweder, wer ihr Juniorpartner wird, oder, wen sie als Juniorpartner zum Kanzler macht.

Die Grünen und die Neos wären, bei einem irreparablen Scheitern von Rot-Schwarz, ebenfalls aus dem Spiel – denn keine der bei den Parteien will bei einer Variante mit der FPÖ mit dabei sein.

Finaler Krach würde FPÖ nützen

Mit einem Wort: ein finaler Krach zwischen SPÖ und ÖVP an diesem Wochenende katapultiert mit hoher Wahrscheinlichkeit die FPÖ in die Regierung und stattet sie auch noch mit sehr, sehr guten Karten für Regierungsverhandlungen aus.

Abgesehen von dem Schub, den sie allein durch das Scheitern der Regierung erhielte.

Die Gefahr, sich der FPÖ auszuliefern, ist ein wesentlicher Grund, warum selbst die Falken-Fraktion in der ÖVP, die noch heuer Neuwahlen haben will, nun eine sanfte Trennung von der SPÖ ins Spiel bringt. Die Variante lautet: SPÖ und ÖVP einigen sich jetzt auf ein Programm, das gut genug ist, damit sich die Regierung nicht endgültig diskreditiert und eine Neuauflage nach der Wahl zumindest als taktische Variante offen bleibt.

Irgendwann im Herbst sollten die Regierungsspitzen Mitterlehner und Christian Kern dann vor die Wählern treten und sagen: Dass die EU-Präsidentschaft mit unseren Wahlen zusammenfällt, und dass wir als Ratspräsidentschaft auch noch den Brexit zu finalisieren haben, ist passiert, dafür können wir nichts. Wir müssen Wahlen und EU-Vorsitz trennen, weil beides nicht zu bewältigen ist, daher ersuchen wir um Verständnis für eine Vorverlegung der Nationalratswahl. Und da die vier Bundesländer, die im Frühjahr 2018 wählen, keine Bundeswahl inmitten ihrer Landtagswahlen wollen, schlagen wir den November 2017 als Bundes-Wahltermin vor.

Die Idee dahinter ist, eine Scheidung im Krach zu vermeiden und den Wählern eine Schmierenkomödie über einen gekünstelten Koalitionsbruch zu ersparen. Damit, so hoffen die Befürworter dieser Vorgangsweise, würde man erreichen, dass Rot-Schwarz nicht final beschädigt wäre, was das Erpressungspotenzial durch die FPÖ bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen reduzieren würde.

Spätere Exit-Strategie

Außerdem müsste keine Partei den Malus für das Provozieren einer Neuwahl fürchten, denn dafür, dass die EU-Präsidentschaft mit der Nationalratswahl zusammenfällt, sind die Briten verantwortlich. Österreichs Präsidentschaft wäre ins Frühjahr 2019 gefallen. Weil Großbritannien aus dem EU-Vorsitz-Radl ausscheidet, sind wir früher dran.

Aber es ist gut möglich, dass die Basis zwischen SPÖ und ÖVP für so eine gemeinsame Vorgangsweise bereits zu dünn ist.

Interessant im Zusammenhang mit Neuwahlen – und spätestens kommendes Jahr müssen sie ja stattfinden – ist die Entwicklung in der Wiener SPÖ. Die Kritiker von Bürgermeister Michael Häupl haben Oberwasser, und sie haben keine Berührungsängste mit der FPÖ. Ihr Exponent, Michael Ludwig, war, wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, auf Niessls rot-blauer Neujahrsparty. Die SPÖ-Wien war stets ein Widerstandsnest gegen die FPÖ. Wenn die dort herrschende Rot-Grün-Fraktion die Macht verliert, und stattdessen die Rot-Blau-Fraktion ans Ruder kommt, ist die größte Hürde für eine rot-blaue Koalition auf Bundesebene weggeräumt.

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