Reinhold Mitterlehner: "Bin gegen Maulkorb für Lehrer"

Reinhold Mitterlehner
VP-Chef über die Schul-Misere, die Chancen von Trump und Khol und den Asyldeal.

KURIER: Herr Vizekanzler, seit wir über die Missstände an Volks- und Mittelschulen geschrieben haben, melden sich immer mehr Lehrer. Viele anonym, weil sie Angst vor Repressionen haben. Wussten Sie, wie unerträglich die Situation zum Teil ist?

Reinhold Mitterlehner: Ich habe Ihre Berichte verfolgt und sehe die Probleme vor allem in der Neuen Mittelschule wegen der Sprachprobleme, aber auch beim sogenannten Teamteaching. Genau dort muss die Schulreform jetzt ansetzen, also wir brauchen qualitative Verbesserungen, vor allem bei der Sprachausbildung.

Aber Ihr Staatssekretär Mahrer hat die Schulreform gemeinsam mit der Bildungsministerin präsentiert. Da hieß es, sie sei ein Meisterstück.

Die vom KURIER losgetretene Debatte ist das eine. Bei der Reform, die wir vorhaben, geht es vor allem um den Übergang vom Kindergarten in die Schule und um mehr Autonomie in den Schulen. Bei allem muss im Mittelpunkt das Kind stehen.

Was halten Sie vom Maulkorb-Erlass des Bildungsministeriums für Lehrer?

Das ist die falsche Strategie, ich bin für Dialog. Jedes Gespräch ist wichtig, nur so können wir die Probleme lösen.

Noch dazu kam der Maulkorb, während die Ministerin in New York weilte.

Ich kann die Wichtigkeit des New-York-Besuchs nicht einschätzen. Aber ich nehme an, dass die Ministerin selbst weiß, dass viele Gespräche in Österreich nötig sind.

Sie haben selbst Kinder. Welche Schwächen der Schulen haben Sie beobachtet?

Ich möchte über die Stärken reden. Die neue Form der Zentralmatura ist sinnvoll, weil sie wettbewerbsorientiert ist. Das hebt die Qualität.

Reinhold Mitterlehner: "Bin gegen Maulkorb für Lehrer"
Interview mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in seinem Büro im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Wien, 18.03.2016.
Wir berichten von Lehrern, die mit 25 nicht Deutsch sprechenden Kindern konfrontiert sind. Im Ministerium heißt es, wir sollen nicht dramatisieren. Glauben Sie nicht, dass das die Menschen zusätzlich aufbringt?

Das ist in erster Linie ein Wiener Problem; und ich sehe das gar nicht parteipolitisch. Man kann ja keine Sprachpille verordnen, sondern hat auf allen Ebenen anzusetzen. Wir müssen bei der Sprache ansetzen und den Lehrern mehr Unterstützung geben, etwa durch Sozialarbeiter.

Also mehr Geld?

Es braucht in erster Linie strukturelle Änderungen, eine bessere Organisation, mehr Effizienz. Österreich investiert schon jetzt mehr Geld ins System als andere Länder.

Die Landeschefs Niessl und Pröll sind aus Protest aus der Reformgruppe ausgetreten. Sollen sie zurückkommen?

Wir sind über diese Arbeitsgruppe hinaus. Jetzt wird parlamentarisch verhandelt, die Landeshauptleute sind ohnehin eingebunden.

Flüchtlingskinder, die erst seit Kurzem da sind, lernen schnell Deutsch. Während die zweite Generation von Ausländern es nicht lernt, wenn die Eltern nicht Deutsch können und zu Hause etwa nur türkisches Satellitenfernsehen läuft.

Mir ist selbst in meiner Heimatgemeinde aufgefallen, wie schnell Kinder nach ihrer Ankunft Deutsch lernen. Über sie müssen wir auch die Eltern integrieren. Aber die Quantität und Dynamik der Zuwanderung sind natürlich eine Herausforderung.

Wird das jüngste Abkommen mit der Türkei und Aufteilung von Flüchtlingen in der EU auch funktionieren?

Das muss sich erst zeigen. Es gibt Länder wie Irland oder Portugal, die noch gar nicht so viele Flüchtlinge bekommen haben, wie sie wollen, weil viele Flüchtlinge noch immer die Illusion haben, sie können nach Deutschland kommen. Es gibt aber kein Recht darauf, sich das beste Land auszusuchen. Die Verteilungsfrage ändert auch nichts daran, dass wir den Schutz der Außengrenzen brauchen – nicht nur zur Türkei, sondern im ganzen Mittelmeerraum. Da brauchen wir NATO und Frontex.

Ist Viktor Orban noch ein Parteifreund?

Ja, ich komme mit ihm in der Sache gut aus, was nicht heißt, dass ich alle seine Meinungen teile.

Das tun Sie ja mit anderen Parteifreunden auch nicht?

(lacht) Orbans Vorgangsweise, Grenz-Zäune zu errichten, finde ich richtig, er hat ja nie gesagt, dass er Asylanträge nicht bearbeitet.

Hält Österreichs Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen auch juristisch?

Obergrenzen sind möglich, weil kein Land unbegrenzt aufnehmen kann – aber es kommt eben auf die Art der Umsetzung an. Alle Eventualitäten werden mit Experten auf Praxistauglichkeit geprüft.

Was kann die Politik tun, um die Angst vor Fremden und Abstieg zu nehmen?

Wir wissen, dass man in kleinen Gemeinden, die noch nie einen Flüchtling gesehen haben, oft besonders ängstlich reagiert. Wir müssen daher mit vielen positiven Beispielen zur Integration motivieren. Das wird besser gehen, wenn jetzt durch den intensiven Schutz der Außengrenzen das Gefühl zurückkehrt, dass wir wieder Herr im eigenen Haus sind.

Soll es mehr Sanktionen für Integrationsunwillige geben?

Es soll mehr Anreize geben, ins Arbeitsleben einzusteigen, daher gibt es auch unsere Initiativen für Beschränkungen bei der Mindestsicherung. Wer zum Beispiel Sprachkurse verweigert, sollte auch mit harten Sanktionen rechnen müssen.

Wird die Bundespräsidentenwahl Ende April nun endgültig zu einer Abstimmung über die Flüchtlingspolitik statt über den Nachfolger Heinz Fischers?

Kann sein, aber ich erwarte das derzeit nicht. Durch die härtere Flüchtlingspolitik und die Maßnahmen der EU, hier Ordnung zu schaffen, könnte der Druck auf dieses Thema eher abnehmen als zunehmen.

Die FPÖ wird aber weiter trommeln, Europa habe die Tür zur Türkei zu weit aufgemacht.

Das wird sich durch Fakten widerlegen lassen. Wir werden in den Wochen vor der Wahl mehr über die Aufgaben des Bundespräsidenten reden: Dass es einen Kandidaten wie Van der Bellen gibt, der so lange wählen lassen will, bis eine ihm genehme Regierung rauskommt. Oder dass es eine Kandidatin gibt, die zurücktreten will, wenn es zu kritisch wird. Ich glaube, dass es darum gehen wird, vorzutreten. Andreas Khol ist hier als erfahrener Verfassungsjurist trittsicher. Es wird sich bald herausstellen, dass er in Umfragen unterschätzt wurde.

Überraschend ist auch, dass Khol nun gegen das TTIP-Abkommen ist. Muss man sich vor der Kampagne von Boulevardzeitungen verneigen, um als Präsidentschaftskandidat zu reüssieren?

Khol sagt nichts anderes als ich selber. Unterschreitungen von Standards im Lebensmittelbereich werden weder er noch ich akzeptieren.

Sind Sie wie Khol ein Fan des linken US-Demokraten Bernie Sanders?

Ich finde nur sympathisch, dass er in seinem Alter noch derart eloquent agiert. In Amerika gilt er fast als Kommunist, in Österreich wäre er ein Kandidat der linken Mitte.

Gefällt Ihnen etwas auch an Trump?

Er hat einen gewissen Unterhaltungswert, ist aber aus meiner Sicht nicht wählbar. Aber das müssen die Amerikaner entscheiden.

Falls Andreas Khol nicht einmal in die Stichwahl kommt: Wird die ÖVP dem Leider-nein-Kandidaten Erwin Pröll die Schuld geben? Oder dem Parteichef, der Khol als Ersatz gekürt hat?

Ich gehe davon aus, dass wir ein gutes Ergebnis erreichen und sich diese Frage nicht stellen wird. Wenn es anders kommt, fragen Sie mich bitte am 24. April noch einmal.

Ist Finanzminister Hans Jörg Schelling nach Scheitern des HETA-Angebots für die Finanzausgleichspoker nachhaltig beschädigt?

Nein, der Finanzminister hat das maximal Mögliche zum Kärntner Angebot beigetragen. Die Herausforderung beim neuen Finanzausgleich wird sein, dass am Ende nicht das herauskommt, was wir bisher oft hatten: Lassen wir alles, wie es ist, aber geben wir überall ein bisschen mehr drauf. Statt mehr desselben brauchen wir ein Ergebnis, das da und dort echte strukturelle Veränderungen bringt.

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