Regierung vs. Verfassung: Die heiklen Pläne von Türkis-Blau

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Gleich mehrere Vorhaben der neuen Regierung ernteten bereits harsche Kritik von Verfassungs- und Europarechtlern.

Der Familienbonus passierte diese Woche den Ministerrat. Schon in seinem Wahlprogramm hat Sebastian Kurz aber klar gemacht, dass die Maßnahme auf Kinder, die in Österreich leben, beschränkt werden würde. Die Regelung findet sich nun auch im neuen Entwurf wieder, auf den sich ÖVP und FPÖ geeinigt haben. Familien mit Kindern in anderen EU-Staaten werden wohl nicht in den Genuss des Bonus kommen. Aber ist das rechtlich überhaupt zulässig?

Gegenüber Plänen, die EU-Bürger anders behandeln als Einheimische, ist grundsätzlich Skepsis angebracht. Der renommierte Europarechtler Walter Obwexer bestätigte dies am Mittwoch im Gespräch mit dem Standard. "Ich sehe hier keinen Rechtfertigungsgrund", sagte Obwexer zum geplanten Ausschluss von Kindern in anderen EU-Staaten. Es handle sich ja um die Kinder von Personen, die ins System eingezahlt haben. Der Europarechtler Franz Leidenmühler von der Universität Linz äußerte sich ähnlich. Er glaube, dass Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren ins Haus stehe.

Familienbeihilfe: "Erhebliche Zweifel"

Es ist nicht das erste Mal seit der Angelobung der neuen Regierung, dass Rechtsexperten vor Ideen oder geplanten Maßnahmen warnen, oder gar Alarm schlagen. Bei der Reform der Familienbeihilfe etwa verfolgt die Regierung eine ähnliche Linie wie beim Familienbonus: Im EU-Ausland lebende Kinder sollen weniger Geld ausbezahlt erhalten als Kinder im Inland. Die Beträge sollen an die Kaufkraft im jeweiligen Land angepasst werden.

Eine Schlechterstellung gegenüber Kindern in Österreich? Experten sind auch hier skeptisch: Es gebe "erhebliche Zweifel, dass die Regelung halten könnte", erklärte dazu etwa Günter Herzig, Europarechtsprofessor an der Uni Salzburg, vergangene Woche im Ö1-Mittagsjornal. Tatsächlich aber ist es im Fall der nach Kaufkraft ausbezahlten Familienbeihilfe aber nicht ganz so klar, ob sie gegen EU-Recht verstoßen würde. Der die Regierung beratende Sozialrechtler Wolfgang Mazal etwa hält die Regelung für rechtskonform. Er verwies in einem Gutachten unter anderem auf die Regelung beim Unterhalt für im Ausland lebende Kinder, denn auch hier würden die unterschiedlichen Lebenserhaltungskosten berücksichtigt.

Wahrscheinlich bräuchte es für die Umsetzung eine so genannte Änderung des Sekundärrechts der EU, sagte Walter Obwexer im vergangenen September dem KURIER, als die Pläne der ÖVP Wahlkampfthema waren. "Um das Sekundärrecht zu ändern, braucht es eine einfache Mehrheit im EU-Parlament und eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat", sagte er. Es brauche also mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten (16 von 28), und diese müssen zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen. "Und das wird sicher schwierig, weil osteuropäische Staaten da kaum zustimmen werden."

Ausgangssperre für Asylwerber: "Absoluter Unfug"

Vergangene Woche sprach sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache in einem ORF-Interview dann auch für Ausgangssperren für Asylwerber aus – ein weiteres umstrittenes Vorhaben der neuen Regierung. Abends würden Asylwerber demnach in ihren Quartieren bleiben müssen.

„Ich halte das nicht für möglich“, sagte Verfassungsjurist Heinz Mayer dem KURIER. Auch sein Kollege Bernd-Christian Funk erteilte der Idee eine Absage. Funk hält die Idee für „rechtsstaatlich absoluten Unfug“; seit 2004 hat es drei Urteile des Verfassungsgerichtshofs gegeben, die in eine ähnliche Richtung deuten. „Das kommt einer Verhaftung, einer Internierung gleich“, sagte er – das sei ein nicht zulässiger Eingriff in die persönliche Freiheit (mehr dazu hier). Um die Idee ist es mittlerweile ruhiger geworden.

"Entrümpelung" des Rechtsbestands: "Problematisch"

ÖVP und FPÖ planen im ersten Jahr ihrer Regierungskoalition auch eine "Deregulierungsoffensive". Im Zuge dessen werde die österreichische Rechtsordnung um Gesetze und Verordnungen des Bundes, die bis zum Stichtag 1. Jänner 2000 kundgemacht worden sind, bereinigt werden, kündigte Justizminister Josef Moser vergangene Woche an. Einen eigenen Konvent wird es dazu laut Vizekanzler Strache aber nicht geben. Die Rechtsvorschriften sollen außer Kraft gesetzt werden, es sei denn, die Ministerien wollen bestimmte Teile explizit belassen.

Auch diese Ankündigung stieß bei Juristen auf Kritik. "Da kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Da kann es ja unabsehbare Folgen geben", sagte Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk im KURIER-Gespräch. "Will Moser unser Rechtssystem in die Luft sprengen?"

Sein Kollege Obwexer von der Uni Innsbruck sah das ähnlich: "Das Vorhaben halte ich jedenfalls für problematisch", sagte er. "Das Problem ist die Rechtssicherheit. So läuft man Gefahr, dass Bestimmungen aufgehoben werden, die man eigentlich doch brauchen würde. Da wäre es doch klüger, das Prozedere umzudrehen, also zuerst prüfen, was obsolet ist."

Bargeldabnahme bei Asylwerbern: "Unzulässiger Eingriff"

Laut Regierungsprogramm ist geplant, Asylwerbern bei der Ankunft Handy und Bargeld abzunehmen, um an Daten zur Identitätsfeststellung zu kommen – und um die Grundversorgung zu finanzieren. Ob das rechtlich durchsetzbar ist? Die Abnahme von Bargeld sei ein "unzulässiger Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum", sagte Europarechtsexperte Obwexer im vergangenen Dezember. Auch in Deutschland, wo ähnliche Regelungen zum Bargeld gelten, ist das Thema juristisch hoch umstritten.

Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte: Gerichte am Zug

Die türkis-blaue Regierung plant, in einem bundesweiten Gesetz an Flüchtlinge pro Kopf weniger auszuzahlen als an den Rest der Bevölkerung. Die Bundesländer Oberösterreich und Niederösterreich haben anerkannte Flüchtlinge in ihren Mindestsicherungs-Regelungen bereits schlechter gestellt. Oberösterreich argumentiert, dass man zumindest befristete Asylberechtigte im Vergleich zu unbefristet Asylberechtigten weniger auszahlen und damit schlechterstellen dürfe.

Niederösterreichs Kürzungen zielen auf all jene ab, die in den vergangenen sechs Jahren nicht mindestens fünf Jahre im Land gelebt haben – in der Praxis trifft das wohl hauptsächlich Flüchtlinge.

Doch über die Zulässigkeit der Vorbilder in den Ländern beraten noch die Gerichte: Die niederösterreichische Regelung ist beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anhängig, die oberösterreichische beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Da die Genfer Flüchtlingskonvention und EU-Statusrichtlinie explizit darauf hinweisen, dass anerkannte Flüchtlinge bei Sozialleistungen gleich zu behandeln seien, ist bei den Ländermodellen zunächst Zweifel angebracht. Das Landesverwaltungsgricht Oberösterreich, das den EuGH in diesem Fall um eine Vorabentscheidung gebeten hat, nimmt in dem Antrag selbst an, dass die EU-Vorgabe "nicht vereinbar ist, den befristet aufenthaltsberechtigten Asylberechtigten geringere Leistungsstandards (...) zuzuerkennen".

Die Meinung des Verfassungsjuristen Theo Öhlinger zur oberösterreichischen Regelung war im Jahr 2016, wenige Monate bevor sie beschlossen wurde, jedenfalls recht eindeutig: "Es gibt hier sehr deutliche Grenzen. Die Mindestsicherung zu kürzen ist klar verfassungs- und unionsrechtswidrig", zitierte ihn der Standard.

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