Regierungsspitze macht sich rar und will so Koalition retten

Kern teilte seinen Plan Mitterlehner am Montag mit.
Der Kanzler stellt sich nicht mehr allwöchentlich Journalistenfragen: "Ich will Politik nicht auf ein Hunderennen reduzieren“. Auftritte mit seinem Vize gibt es nur noch bei gemeinsamen Lösungen.

Ende. Aus. Vorbei – nach mehr als 40 Jahren.

Der 30. August 2016 wird in die Annalen der politischen Geschichte Österreichs eingehen. Das hat Bundeskanzler Christian Kern geschafft, indem er das seit Bruno Kreisky existierende Pressefoyer nach dem Ministerrat abgeschafft hat.

Um 10 Uhr vormittags, kurz vor Beginn der allwöchentlichen Regierungssitzung im Kanzleramt, trat der SPÖ-Chef am Dienstag vor die im Steinsaal wartenden Journalisten – und verkündete seine Entscheidung. Er wolle "Politik nicht auf ein Hunderennen reduzieren". Er wolle nicht nur ein paar "Soundbites abgeben", um "drei, vier Schlagzeilen" zu produzieren, erklärte Kern. Thematisch in die Tiefe zu gehen, sei nicht mehr möglich.

Heißt übersetzt: Der Regierungschef will beim Hecheln nach Schlagzeilen nicht mitmachen.

Regierungsspitze macht sich rar und will so Koalition retten
Ulrich Brunner, Bruno Kreisky 26.4.1983
Damit geht eine Polit-Tradition zu Ende. Kreisky hatte Anfang der 70er-Jahre damit begonnen, die Presse dienstags nach dem Ministerrat über die Regierungsarbeit zu informieren. Der legendäre SPÖ-Kanzler mischte sich unter die Berichterstatter – und maßregelte den einen oder anderen mitunter auch. Dieses sogenannte Pressefoyer wurde in unterschiedlicher Form bis gestern beibehalten (siehe Artikel unten).

Beliebt war es freilich auch schon bei früheren Kanzlern nicht. Zuletzt wurde unter Kern-Vorgänger Werner Faymann über ein Aus nachgedacht. Wenig verwunderlich: Journalisten nutzten die Gelegenheit stets, alle innenpolitisch relevanten Themen abzufragen. Da galt es, inhaltlich sattelfest und schlagfertig zu sein. Patzer wurden gnadenlos aufgezeigt. Das bekam auch Christian Kern zu spüren. Weil er Begriffe verwechselte, brach ein Streit um die Asylzahlen in der Regierung aus.

Hinter vorgehaltener Hand schildern Schwarze, Kern sei vor dem "Foyer" stets "nervös" gewesen, er fühle sich in Situationen, die er "nicht kontrollieren" könne, nicht wohl. Da mag etwas dran sein. Denn schon vor seinem ersten Auftritt im Mai hieß es zunächst, der Neo-Kanzler würde nur ein Statement abgeben. Erst auf Druck von Pressevertretern wurden Fragen zugelassen. Damit ist es nun also vorbei – zumindest dienstags.

Mit ÖVP akkordiert

Das hat Kern am Montag mit ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner besprochen. Künftig werden die Regierungskoordinatoren – SPÖ-Kanzleramtsminister Thomas Drozda und ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer – den Journalisten Rede und Antwort stehen. Drozda tat das schon am Dienstag, (der in Alpbach weilende) Mahrer wurde von Finanzminister Hans Jörg Schelling vertreten.Kern will sich der Presse nur noch stellen, wenn er Relevantes zu verkünden hat. Regelmäßige Infos soll es im "Kanzlerblog" geben. Schon gestern erläuterte Kern in einem Video auf Facebook, warum das Foyer Geschichte ist.

Journalistenvertreter kritisieren die "Einschränkung der Medienfreiheit".

"Vor- und Nachteile"

Mitterlehner sieht Vor- und Nachteile: "Einerseits verliert man sich nicht im tagespolitischen Klein-Klein und kann sich auf die großen Themen konzentrieren. Andererseits fehlt das Signal der Gemeinsamkeit." Sein Fazit: "Wenn es gelingt, die großen Einigungen vernünftig darzustellen, kann die Regierung profitieren."

Die großen Einigungen müssen freilich erst gelingen.

Das Kanzleramt gilt als ältestes Regierungsgebäude in Europa. Schon Staatskanzler Clemens Wenzel Fürst von Metternich, Außenminister von 1809 bis 1848, nützte im Haus am Ballhausplatz das „Große Speisezimmer“, das heute das Ministerratszimmer ist, für seine Regierungsgeschäfte. Aber erst in den 1970er-Jahren, genau am Dienstag, den 14. März 1972, begann der damalige Kanzler Bruno Kreisky die Tätigkeiten der Regierung auch öffentlich zu machen.
Wie die Arbeiterzeitung berichtete, überraschte „Medienkanzler“ Kreisky zur großen Freude seiner roten Regierungsmannschaft und der anwesenden Journalisten mit Kaffee und Krapfen und einer Premiere: Als Neueinführung wollten sich „Kanzler und Regierung jeweils nach dem Ministerrat den Journalisten bei einem Pressefoyer zu Fragen und Interviews zur Verfügung stellen“. Das habe sich gleich bewährt, berichtete die Zeitung.

Als erster Bundeskanzler ergriff Kreisky die Möglichkeit, sich auch medial in Szene zu setzen. Kreiskys freundlicher Umgang mit Journalisten war schnell legendär. Möglich, dass Kreisky als Medienkanzler besonders glänzte, weil sein Nachfolger Fred Sinowatz, Kanzler von 1983 bis 1986, das grelle Licht der Scheinwerfer so gar nicht suchte. Er behielt zwar die Tradition des Foyers, verlegte sie aber ins kleine Ministerratszimmer in Form einer Pressekonferenz.

Unterschiedliche Formate

Dessen Nachfolger Franz Vranitzky (1986–1997) kehr-te wieder zum Stehfoyer à la Kreisky zurück, wieder mit einer Neuerung: Er sprach ab 1996 gemeinsam mit Vizekanzler Wolfgang Schüssel zu den Journalisten. Kurzzeit-Kanzler Viktor Klima (1997–2000) änderte den Ablauf und sprach wieder alleine aus dem Kongress-Saal.
Raumschiff statt PultDann übernahm Schüssel die Agenden, zuerst kehrte das Stehpult zurück, das durch einen wuchtigen Tisch, spöttisch „Raumschiff“ genannt, ausgewechselt wurde. Die Vizekanzler waren nicht immer dabei. Auch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (2007– 2008) stand nicht immer neben seinem Vizekanzler Wilhelm Molterer.

Werner Faymann (2008–2016) kehrte zum Stehpult zurück – und übertrug die Pressefoyers erstmals auch via Internet-Stream.
Tatsächlich hielt sich das Format des Pressefoyers also bis gestern, als Bundeskanzler Christian Kern via Homepage und Facebook-Seite des Kanzleramts in einem YouTube-Video das Ende der fast 45-jährigen Tradition verkündete.

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