"Die Schlepper werden immer unprofessioneller"

Wie Menschen zur Ware werden, erklärt Polizei-Experte Tatzgern.

Es ist ein beinhartes Geschäft geworden. Die Nachfrage (an Flüchtlingen) steigt rasant – aber der Platz in den Schlepperfahrzeugen ist nur begrenzt vorhanden.

Mit den üblichen Folgen solcher Entwicklungen: Der Preis für die Schleppungen wird in die Höhe getrieben, die Qualität der Leistung lässt nach. Immer öfter verunglücken Lenker mit den Fahrzeugen. Es wird ohne Rücksicht auf die Flüchtlinge agiert.

"Die Schlepper werden immer sorgloser und unprofessioneller", bestätigt auch Oberst Gerald Tatzgern. Er ist der oberste Schlepper-Bekämpfer im Innenministerium. "Früher haben die Organisatoren darauf geschaut, dass die Flüchtlinge gut ankommen." Heute sei das immer weniger der Fall, bei der Masse an ständigen Neuankömmlingen laufe das kriminelle Geschäft ohnehin.

Kapazitätsengpässe

Außerdem werde derzeit jedes Gefährt aufgetrieben, das nur irgendwie verfügbar ist – vom Zug, Schiff bis zum Lkw. Erst vor wenigen Tagen waren 86 Flüchtlinge zusammengepfercht in einem kleinen Transporter auf der Westautobahn gefunden worden. "Ein Wunder, dass wir keine Toten gefunden haben", schilderte ein Polizist der niederösterreichischen Verkehrsabteilung damals.

"Die Schlepper werden immer unprofessioneller"
APA5969406 - 23112011 - WIEN - ÖSTERREICH: Gerald Tatzgern, Leiter des Büros für Menschenhandel- und Schleppereibekämpfung im BK, am Mittwoch, 23. November 2011, während einer PK des Innenministeriums zum Thema "Aushebung eines bulgarischen Menschenhändlerrings" in Wien. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH

Dass dies früher oder später doch passieren würde, damit rechneten Insider bereits. Dass es solche Ausmaße wie am Donnerstag annehmen würde, daran wagte allerdings niemand auch nur ansatzweise zu denken.

Auch 2009 gab es schon einen Fall mit 65 Flüchtlingen in einem Kühl-Lkw in Zöbern. Damals war dies ein großer Sattelschlepper. Nun könnten ähnlich viele Flüchtlinge in einem 7,5-Tonner Platz gefunden haben.

Das Problem damals wie heute: Damit Kühl-Lkw bei Kontrollen nicht auffallen, müssen sie die Temperatur herunterdrehen. Die Insassen waren damals fast erfroren, als man sie fand.

Verwischte Spuren

"Es gibt nicht den einen Zampano, der im Hintergrund sitzt", sagt Tatzgern. Allerdings dürfte es mehrere größere "Reiseunternehmer" geben, die sich lokaler Fahrer für den Transport bedienen.

Um ihre Spuren zu verwischen, werden von den Drahtziehern die Familien gezielt getrennt. Die Reise führt auf unterschiedlichsten Routen kreuz und quer über den Balkan. Erst am Zielort werden die Getrennten wieder zusammengeführt. Das führt mitunter zur Behauptung, wonach Flüchtlinge ihre Familien zurücklassen würden. Tatzgern: "Oft kommen deren Frauen oder Kinder Tage später nach."

Laut Erkenntnissen von Europol deutet alles daraufhin, dass die Hintermänner der Schlepperei in Spanien, Griechenland und der Türkei sitzen. Das ergaben Analysen von Finanzströmen. Bei der Polizei sind die Prognosen mehr als düster. Alle Kooperationen am Balkan werden derzeit auf "fünf bis zehn Jahre" ausgelegt. Tatzgern: "Alles, was jetzt passiert, ist erst der Beginn der Welle."

Kommentare