Politologe: FPÖ will mit Provokation mobilisieren

Straches Strategie: Der FPÖ-Chef provoziert bewusst – zuletzt mit dem Autor des Hakenkreuz-Liedes.
Die bewusste Provokation ist budgetschonende Strategie, um die öffentliche Debatte zu bestimmen. Am Ende könnte Strache damit aber dem politischen Gegner helfen.

Heinz-Christian Strache lächelt sein übliches Lächeln. Hinter ihm sind die rot-weiß-rote Fahne und das Parlament ins Bild gerückt, darunter zitiert der freiheitliche Parteichef den kriegstreiberischen Lyriker und Schöpfer des "Hakenkreuzliedes" Ottokar Kernstock.

Ein deutsch-tümmelnder Blut & Boden-Dichter, der in einer offiziellen Meldung eines Parteichefs gewürdigt wird? Noch dazu am österreichischen Nationalfeiertag?

Dass FPÖ-Chef Strache ob des Postings binnen Stunden heftigst kritisiert werden würde, das war von vornherein klar – zumal sich die Äußerung in eine Serie mehr oder weniger großer Provokationen einreiht.

Drohender Bürgerkrieg

Bereits am Montag hatte Strache bei seiner "Rede zur Lage der Nation" in aller Ernsthaftigkeit vor einem Bürgerkrieg gewarnt, auf den Österreich zusteuere; und am Samstag will Straches Generalsekretär Herbert Kickl in Linz am Kongress der "Verteidiger Europas" teilnehmen. Ein Treffen, bei dem sich rechtsextreme, deutsch-nationale und antisemitische Organisationen und Redner freundschaftlich austauschen.

Der richtige Umgang für hochrangige Vertreter einer Parlamentspartei? Vermutlich nicht. Angesichts der staatstragenden Optik, um die sich der freiheitliche Hofburg-Kandidat Norbert Hofer im Wahlkampf bemüht, kann, ja muss man die Frage stellen: Warum tun die Freiheitlichen das? Haben die Provokationen mit der Hofburg-Wahl zu tun – und falls ja: Nutzen sie Hofer?

Mobilisierung durch Provokation

Die beiden ersten Fragen sind schnell beantwortet. "Wenn man davon ausgeht, dass Strache seine ,Rede an die Nation’ nicht spontan gehalten hat, ist klar, dass die Aussage zum Bürgerkrieg auf Provokation und Mobilisierung ausgerichtet war – genau wie das jüngste Facebook-Posting mit der Kernstock-Hymne", sagt Politikbeobachter Peter Filzmaier zum KURIER.

Das Muster, das die FPÖ bemühe, sei sattsam bekannt und technisch bewährt: Auf einen gezielten Affront folgt die erwartbare Empörung – und hernach eine Gegen-Reaktion des Provokateurs.

"Weil viele Medien mitspielen, ist der Ablauf nicht nur immer der selbe, sondern für den Provokateur von ungebrochener Attraktivität", sagt Filzmaier. "Als Provokateur kommt man medial vor, bekommt Platz in den Medien – und muss keinen einzigen Euro in ein Wahlkampf-Inserat investieren."

Apropos Wahlkampf: Der läuft derzeit ja durchaus gut – wenn auch eher für die andere Seite. Denn während Alexander Van der Bellen versucht, als gewählter, aber eben noch nicht amtierender Bundespräsident aufzutreten und dabei vor allem auf dem Land in Erscheinung tritt, verwehren Van der Bellen und seine Wahlkampf-Bewegung den Freiheitlichen durchaus konsequent, was Hofer strategisch wohl am meisten zupass käme: einen Lagerwahlkampf.

"Spiel-Verweigerer"

"Wir als Van der Bellen-Bewegung steigen auf dieses Match erst gar nicht ein. Eine Polarisierung nutzt vor allem der FPÖ, wir stehen für das Gegenteil, für Konsens und Zusammenhalt", sagt ein Van der Bellen-Stratege. Tatsächlich gab es zuletzt kaum öffentliche Streitgespräche zwischen dem früheren Grünen-Boss und Hofer; und auch hochrangige Grünen-Politiker bzw. Van der Bellen-Befürworter sind dazu angehalten, sich nicht über Gebühr an den Freiheitlichen zu reiben.

Umso mehr muss die FPÖ in der veröffentlichten Meinung vorkommen. Und das gelingt eben am einfachsten mit der Provokation.

Der Haken am Affront

Der gezielte Affront aber hat, und hier wird die Sache aus Sicht der FPÖ durchaus heikel, zumindest zwei Kehrseiten.

Die erste ist die Breite: "Wenn man bei einer Nationalratswahl Erster werden will, genügen dafür mitunter 30 Prozent – die kann man mit der Provokationsstrategie vielleicht mobilisieren", sagt Filzmaier. "Bei der Hofburg-Wahl muss Norbert Hofer aber mehr als 50 Prozent schaffen." – Und dafür sei ein polarisierender Wahlkampf nur bedingt geeignet, weil die Mehrheit der Wähler eben Stabilität und Konsens bevorzuge.

Der zweite Haken: Niemand weiß, in welche Richtung Provokationen mobilisieren. Ähnlich wie beim "negative campaigning", also beim Verbreiten von Falschmeldungen über die Konkurrenz, können rhetorische Ausfälle nach hinten losgehen. Der "worst case" aus FPÖ-Sicht: Die Provokation emotionalisiert Van der Bellens Wähler, treibt diese zur Urne – und im Gegenzug bleiben viele Hofer-Wähler zu Hause, weil sie mit Kernstock & Kickls Linzer Kumpanen nichts zu schaffen haben wollen.

FPÖ-Chef Heinz Christian Strache hat am Nationalfeiertag auf Facebook ein Foto von sich vor einer Österreich-Fahne und dem Parlament veröffentlicht – und darunter eine Strophe der Hymne der Ersten Republik. Ottokar Kernstock hatte diese 1920 zur Melodie der Kaiserhymne – unter dem Titel „Deutschösterreichische Volkshymne“ – verfasst. 1929 wurden Text („Sei gesegnet ohne Ende“) und Melodie zur Bundeshymne erklärt – die auch im austrofaschistischen Ständestaat bis 1938 beibehalten wurde. 1923 hatte Kernstock außerdem das „Hakenkreuzlied“ für die Fürstenfelder Ortsgruppe der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP) geschrieben. Kernstock führte die Bezeichnung Wechselgau für den Bereich zwischen Hartberg und dem Wechsel ein. Der Begriff setzte sich nicht durch (vermutlich zur Distanzierung zu Reichsgauen Nazi-Deutschlands).

In Österreich waren nach seinem Tod (1928) etliche Straßen und Plätze nach Kernstock benannt worden. Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde vor allem das Hakenkreuzlied von den Nazis zur Propaganda verwendet. Manche Orte, die ihm zu Ehren benannt worden waren, wurden mittlerweile umbenannt. 1992 wurde der Kernstockplatz in Wien-Ottakring zum Familienplatz, 1993 die Ottokar-Kernstock-Straße in Wien-Penzing zur Jägerstätterstraße.

Kernstock entstammt Marburg an der Drau. Er studierte Jus, wurde Mitglied der Akademischen Sängerschaft „Gothia“. 1867 trat er in das Chorherrenstift Vorau ein, wo er den Namen Ottokar erhielt. 1871 wurde er zum römisch-katholischen Priester geweiht. 1916 wurde ihm offeriert, Dozent für Poetik, Rhetorik und Stilistik an der Lehrerakademie des Wiener Pädagogiums zu werden. Karl Kraus kritisierte das in seiner Zeitschrift Die Fackel massiv. Kernstock nahm das Angebot nicht an.

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