Erfahrene Politiker warnen vor Demokratiepaket

APA9490772-2 - 18092012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Präsident des Pensionistenverbandes Karl Blecha (r.) und ÖVP-Seniorenbundobmann und Seniorenratspräsident Andreas Khol, am Dienstag, 18. September 2012, während einer Pressekonferenz zum Thema "Aktuelles" in Wien. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
Für Blecha und Khol bedeutet das Demokratiepaket ein "Ende des Erfolgsweges" und den "Beginn der 3. Republik".

Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger wollen noch vor der Nationalratswahl das Demokratiepaket durchs Parlament peitschen. Demnach sollen erfolgreiche Volksbegehren, die von zehn Prozent der Wahlberechtigten unterstützt sind, automatisch zu Volksbefragungen führen. „Das wäre ein Schritt in die plebiszitäre Demokratie mit weit reichenden Folgen für unser politisches System“, warnt der Präsident des SPÖ-Pensionistenverbandes, Karl Blecha. Blecha war Zeit seines Lebens Spezialist für Wahlrechts- und Demokratiefragen sowie für Demoskopie (Meinungsforschung).

Der Meinung Blechas ist auch der Chef des ÖVP-Seniorenbundes, Andreas Khol, Verfassungsprofessor, erfahrener Parlamentarier und Ex-Nationalratspräsident. In einem Mail an einen Kreis von ÖVP-Abgeordneten schreibt Khol: „Der vorliegende Vorschlag bedeutet das Ende der parlamentarischen und der Übergang zur plebiszitären Demokratie. National- und Bundesrat würden entmachtet, der föderale und sozialpartnerschaftliche Aufbau der Republik und ihre Verankerung in der EU, das Geheimnis des Erfolgs des Landes seit 1945, sind gefährdet.“ Der Volksbefragungs-Automatismus wäre „der Weg in die 3. Republik“, zitiert Khol ein berühmtes Konzept Jörg Haiders.

In dem Verfassungsentwurf, den die ÖVP der SPÖ unterbreitete, ist von einer Volksgesetzgebung nur eine „grundlegende Änderung der Verfassung“ ausgenommen – normale Verfassungsgesetze nicht. Dadurch könne auch das geplante Verbot, das Volk über EU-Recht zu befragen, ausgehebelt werden. Man müsse nur ein Volksbegehren gegen diese Verfassungsbestimmung machen.

Khol führt aus, was sonst noch alles zum Spielball politischer Kampagnen würde: die Verankerung der Sozialpartnerschaft, die Bestellung der Regierung (Volkswahl des Kanzlers), die Bund-Länder-Kompetenzen, die öffentliche Finanzierung der Parteien, die Politiker-Bezüge. Blecha assistiert: „Milliardäre wie der Herr Stronach finanzieren dann Kampagnen gegen das politische System.“

Blecha fordert im KURIER-Gespräch, dass die Verfassungsänderung nicht mehr vor der Wahl beschlossen wird: „Ein so weit reichendes Gesetz darf nicht ohne gründliche Diskussion und innerhalb von Tagen durchs Parlament gepeitscht werden. Jede Schmonzes-Novelle wird einem Begutachtungsverfahren unterzogen, aber der weitreichende Schritt in die plebiszitäre Demokratie soll im Husch-pfusch passieren.“

SPÖ und ÖVP sollten sich auf einen Entwurf einigen, dieser sollte aber von der Regierung wie sonst üblich in Begutachtung geschickt werden. Blecha: „Da liegen so viele Minen herum, das muss diskutiert und von Experten geprüft werden.“ Im neuen Nationalrat nach der Wahl könne der Entwurf wieder eingebracht und gründlich beraten werden.

Den Einwand, dass Volksbefragungen rechtlich nicht bindend seien, wischen Blecha und Khol vom Tisch: Man habe bei der Volksbefragung über die Wehrpflicht gesehen, dass alle Parteien vor der Befragung gesagt haben, das Ergebnis sei für sie bindend. Blecha: „Keine Partei wird sagen: Fragen wir das Volk und dann halten wir uns nicht ans Ergebnis.“

Blecha und Khol sind nicht die einzigen Skeptiker. Stellvertretend für viele Abgeordnete sei ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath zitiert. Er bloggt: „NEIN zu einer boulevardgetriebenen Kampagnendemokratie und einem ungewissen Weg in die dritte Republik.“

Ikrath und Blecha sind für mehr Bürgermitsprache zur Stärkung des Parlaments. Statt die Volksvertretung plebiszitär zu schwächen, solle man sie aufwerten, indem die Bürger echte Mitsprache bei der Auswahl ihrer Volksvertreter bekommen. Blecha: „Vorwahlen bei der Kandidatenauswahl und ein personalisiertes Wahlrecht würden die Qualität der Demokratie wirklich verbessern.“

Kommentare