Wenn alle Parteien im Wahlkampfarbeitseifer sind

Genossen mit Klassenkampftönen auf Stimmenfang: die Stadträte Ludwig und Brauner, Bürgermeister Häupl und SPÖ-Chef Faymann.
Offiziell wird der "Tag der Arbeit" zelebriert. Tatsächlich geht es um Stimmungsmache gegen die Konkurrenz – für die bevorstehenden vier Landtagswahlen. Häupl bietet der Mai-Marsch Bühne.

Tausende Genossen singen "Die Internationale", etliche haben dabei die geballte Faust gen Himmel gestreckt. Klassenkampf gibt es bei jedem 1. Mai-Fest der Roten in Wien, dem mittlerweile 125sten. Diesmal ist auch viel Wahlkampf dabei.

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Am 11. Oktober bestimmen die Bürger ihre politischen Vertreter neu. Und so wird das SPÖ-Hochamt zur Belangsendung für Stadtchef Michael Häupl, der neben der übrigen Parteiprominenz auf der Bühne vor dem Rathaus steht. Die Vorzüge Wiens heben alle Redner hervor – als "Ergebnis sozialdemokratischer Politik: Lebensqualität, günstige Öffis, sauberes Wasser, das die Konservativen und Rosaroten längst verscherbelt hätten", befindet Stadträtin Renate Brauner. Auch der Koalitionspartner kommt dran: Die Ökopartei setze "nur aufs Fahrrad. Und die grüne Kollegin (gemeint ist Parteichefin Maria Vassilakou) plane "um teures Geld einen autofreien Ring".

Wenn alle Parteien im Wahlkampfarbeitseifer sind
Wohin maschieren die Roten?

SPÖ-Bundeschef Werner Faymann lässt Häupls Polit-Gegner außen vor. Er preist den Bürgermeister. "Dinge, die man hat, ist man gewohnt"; die in Wien gebe es nur, "weil man sich auf die Sozialdemokratie und auf dich, lieber Michael, verlassen kann". Dieser blickt vorerst in die Vergangenheit, spricht über jene, die Wien, das vor 70 Jahren "in Trümmern, Asche und Elend versunken" sei, aufgebaut haben. "Vieles ist allzu selbstverständlich geworden." Womit Häupl in der Gegenwart ist. Auch für diese gelte der Befund des einstigen ÖGB-Präsidenten Anton Benya: "Das Beste ist, durch aktive Arbeitsmarktpolitik den Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, sodass sie erst gar nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind." Das bringt Applaus des Publikums. Ebenso die Beteuerung, dass "ein Beitrag der Millionäre immer noch auf der Tagesordnung" stehe.

Schelling-Seitenhieb

Wenn alle Parteien im Wahlkampfarbeitseifer sind
1. Mai 2015
ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling solle "private und öffentliche Investitionen ermöglichen"; eine Reichensteuer müsse her. Nachsatz Marke Häupl: Dann könne auch Schelling sicher sein, dass seine Enkel in einer "ganz wunderbaren Stadt" leben. Selbst wenn sie "gelegentlich hinausfahren in das Weingut nach Niederösterreich, das sie geerbt haben von Ihnen, um dort bei der Feldarbeit zumindest zuzuschauen, damit sie wissen, wie Arbeit ausschaut". Das kommt an bei den Genossen. Mit "Bravo"-Rufen wird Häupl bedacht, als er einmal mehr mitteilt, dass wieder Gemeindewohnungen gebaut würden – und urteilt: "Die Konservativen achten auf niedrige Löhne und hohe Mieten. Wir achten auf hohe Löhne und niedrige Mieten."

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Zu Pädagogen äußert sich Häupl erwartungsgemäß nicht. Die hat er kürzlich mit einer Arbeitszeit-Äußerung ("Wenn ich 22 Stunden in der Woche arbeite, bin ich Dienstagmittag fertig") erbost; so sehr, dass der SPÖ-Lehrerverein den Mai-Aufmarsch boykottiert.

Wenn alle Parteien im Wahlkampfarbeitseifer sind
1. Mai 2015
Auch anderen Spitzen-Roten missfällt der Plan der Bundesregierenden, die Unterrichtspflicht um zwei Stunden pro Woche zu erhöhen. Bemerkenswert ist, dass ÖGB-Boss Erich Foglar dies auch auf der Festbühne kundtut: "Zwei Stunden mehr Unterrichtszeit ist nicht die Bildungsreform, die wir brauchen. Wer bei Lehrern spart, spart bei Zukunftschancen der Kinder. Das ist nicht sozialdemokratisch!" Generell dürfe im öffentlichen Dienst "nicht beim Personal gespart werden". Das haben die Koalitionäre im Zuge der Verwaltungsreform ja vor.

Eines Sinnes sind Foglar und Faymann darin, jenen eine sechste Urlaubswoche zu gewähren, die nicht lange genug in einem Betrieb sind, um sie zu beanspruchen. "Für die sechste Urlaubswoche und faire Arbeitsverhältnisse ist jetzt der richtige Zeitpunkt", ruft Faymann den Parteigängern zu. Häupl verabschiedet sich von diesen mit einer Zeile aus der "Internationalen": "Die Müßiggänger schiebt beiseite!" Viele brechen auf – zum Müßiggang im Prater.

Ein paar bunte Farbtupfer schimmern durch die roten Fahnen, die die Simmeringer Genossen in Richtung Rathausplatz tragen. Erstmals begleitet die SP-Organisation SoHo Simmering, die für die Gleichberechtigung Homosexueller kämpft, mit ihren Regenbogenflaggen den Mai-Aufmarsch der Bezirkspartei. Mehr als sechs Kilometer müssen die rund 400 Simmeringer Roten auf ihrem Weg in die Wiener City zurücklegen. Wer nicht zu Fuß gehen kann, fährt mit dem Bummelzug.

Modefarbe ist im klassischen Industrie- und Arbeiterbezirk aber längst Blau. Mit einem Plus von 16 Prozent schnellte die FPÖ bei den Bezirkswahlen 2010 auf 34 Prozent – und fuhr damit ein Wien-weites Rekordergebnis ein. Die SPÖ hält derzeit zwar noch fast 50 Prozent, dennoch könnte nach der Wahl im Oktober Simmering der erste blau regierte Bezirk werden.

Armer Bezirk

"Simmering hat Wien-weit die zweitniedrigsten Einkommen. Seit der Wirtschaftskrise ist zudem die Kurzzeit-Arbeit stark ausgeweitet worden" – so erklärt Parteichef Harald Troch das hohe Frustpotenzial in seinem Bezirk. Für Verunsicherung sorgt zudem der Bau eines islamischen Bildungszentrums. "Das hat Öl ins Feuer der FPÖ gegossen", sagt Troch, während er die Hände von Schaulustigen am Straßenrand schüttelt.

Sein Rezept gegen die FPÖ ist die Steuerreform: "Sie wird zwar erst 2016 spürbar, aber wir müssen den Menschen jetzt schon erklären, wie sehr sie davon profitieren werden." Weiters kämpfe er dafür, dass auch in Simmering neue Gemeindebauten errichtet werden.

Der Zug hat inzwischen den Ring erreicht, das Rathaus ist bald in Sichtweite. Mit der dortigen rot-grünen Koalition ist man mäßig zufrieden: "Ursprünglich habe ich sie begrüßt, das Vorgehen der Grünen gegen die Autofahrer hat mich aber sehr enttäuscht. Die Kritik für diese Politik haben dann aber wir geerntet", sagt Mirek Slosar, der seit Kindheitstagen am 1. Mai mitmarschiert.

Mittlerweile tun das aber auch wieder zahlreiche Jung-Genossen. Wie etwa der neue Lehrlingssprecher Michael Dedic (27). Er will die Jugendlichen verstärkt auf dem Arbeitsplatz politisieren. "Die FPÖ geht stattdessen in die Discos und schmeißt Lokalrunden. Das ist armselig."

Um die Bühne nicht der SPÖ zu überlassen, ist auch die ÖVP seit Jahren rührig am 1. Mai. Diesmal nimmt sie den Wiener Flughafen als Kulisse. Arbeitsbürgernähe demonstrieren Parteichef Reinhold Mitterlehner, sein Generalsekretär Gernot Blümel, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die auch ÖAAB-Chefin ist, und EU-Mandatar Othmar Karas.

Der Flughafen sei ein Ort, an dem 365 Tagen im Jahr gewerkt werde. Mit dem Besuch am Tag der Arbeit wolle die ÖVP diesen Leuten "Referenz erweisen", sagt Mitterlehner. Alt aussehen lassen wollen die Schwarzen wohl die Roten. "Während andere marschieren und dabei auf der Stelle treten, widmen wir uns der Zukunft", befindet der Spitzen-Schwarze. Der Airport in Schwechat sei nicht nur ein "Tor zur Welt", er sei auch "ein Ort der Bewegung". Diese sei Motto der ÖVP: "Bewegung heißt für uns: Reformen."

Für Begehren "aus dem letztenJahrhundert" wie Arbeitszeitverkürzung oder eine sechste Urlaubswoche sei seine Partei nicht zu haben: "Das sind arbeitsplatzfeindliche und wirtschaftsschädliche Forderungen. Wir wollen Reformen", etwa bei den Pensionen. Einmal mehr begehrt Mitterlehner, als Antrittsalter der Frauen rascher dem der Männer anzugleichen, als mit der SPÖ vereinbart worden ist. Auch die nächste Botschaft richtet sich an die SPÖ, ohne sie zu nennen; und an die rot-dominierte Gewerkschaft. Arbeitnehmer und Arbeitgeber dürften nicht auseinanderdividiert werden: "Alle sitzen in einem Boot." Vor allem die "neue Generation der Gründer" sei zu unterstützen.

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