Plasser: "Die EU besitzt den Schlüssel gegen Populismus"

Plasser: "Die EU besitzt den Schlüssel gegen Populismus"
Brexit. Trump. Danach Hofer und Le Pen? Würden sich die politischen Eliten nicht dermaßen überfordert zeigen, hätten Populisten nicht solchen Zulauf, sagt Politik-Forscher Fritz Plasser. Die EU und nationale Regierungen sitzen dabei in einem Boot.

"Warum? Wie kann man sich dermaßen ins Abseits schießen?", wunderten sich viele über den selbstgewählten EU-Exodus der Briten. Als dann noch herauskam, wie unverschämt Pro-Brexit-Politiker wie Boris Johnson die eigenen Bürger belogen hatten, lag die Vermutung nahe, dies würde manchem Wähler die Augen öffnen.

Doch dann kam Donald Trump. Und wieder fragt sich die Welt: Warum? Die Arbeitslosigkeit in den USA ist niedrig, die Konjunktur läuft besser als in Europa. Und dennoch.

Was kommt als nächstes? Norbert Hofer als Bundespräsident? 2017 Marine Le Pen als französische Präsidentin? Und fällt Italien in die Hände eines Beppe Grillo, wenn Matteo Renzi am 4. Dezember das Volksvotum über die neue Verfassung verliert, die Italien besser regierbar machen soll?

"Wir sehen hier eine Desillusionierung, einen substanziellen Vertrauensverlust in die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der politischen Eliten", beantwortet Politik-Forscher Fritz Plasser die Frage nach dem Warum.

Viele Bedrohungsbilder

Es gebe viele Bedrohungsbilder: Migration. Flaues Wirtschaftswachstum. Arbeitsplatzverlust durch Globalisierung und Roboterisierung. Plasser: "Gleichzeitig erscheint die Politik mit der Problemlösung überfordert. Wenn die EU-Spitzen Jean-Claude Juncker und Martin Schulz von einer schweren Krise der EU sprechen, verstärkt das den Eindruck, dass auch die Eliten resignieren und keinen Ausweg wissen. Das wiederum verstärkt den Pessimismus bei manchen Wählergruppen."

Wer sind diese Wählergruppen? Professor Anton Pelinka: "Trump- und Brexit-Wähler sind überdurchschnittlich unter den Älteren vertreten, aber auch bei den weniger Gebildeten im Sinne formaler Bildungsabschlüsse."

Professor Plasser bestätigt: "Die Älteren empfinden Veränderungen sehr oft als bedrohlich. Das Geschäft am Eck sperrt zu, das gewohnte Wirtshaus wird völlig neu gestylt, man fühlt sich nicht mehr wohl. Es gibt wahrscheinlich jede Woche Dutzende Erfahrungen für Ältere, bei denen sie sich fragen, ob sie da noch dazu passen. Wie viele über 65-Jährige wissen, was eine App ist? Wie viele wollen das überhaupt wissen?"

Generationenkluft feststellbar

Bei Brexit, Trump und auch in der österreichischen Wählerschaft sei eine Generationenkluft festzustellen, die Gabelung liege bei ca 40, 45 Jahren. Die Jüngeren waren für den Verbleib Großbritanniens in der EU, sie votierten mehrheitlich für Hillary Clinton und für Alexander Van der Bellen in der Stichwahl. Bei den über 45-Jährigen gab es Mehrheiten für den Brexit, für Trump und für Hofer. Plasser: "Jüngere Generationen sind anpassungsfähiger und empfinden Veränderungen positiv. Die Jüngeren sehen in der EU eine Mobilitätschance, für viele Ältere ist Multikulti irritierend." Pelinka: "Wer 30 ist, zumindest Englisch fließend beherrscht und vielleicht auch einen Studienabschluss hat, hat ja auch tatsächlich Grund, Veränderungen weniger als Bedrohung und mehr als Chance zu sehen."

Der Economist macht darüber hinaus auch die Tatsache für die Protestwahl verantwortlich, dass die Mittelstandseinkommen sinken, während Konzerne ihre Gewinne in Steueroasen parken. Das Schuften lohnt sich für arbeitende Menschen nicht mehr wie früher.

"Bildung, Bildung, Bildung"

Was kann man gegen den Populismus tun?

Pelinka: "Ich bin skeptisch ob die Politik viel tun kann, vor allem, weil sie ihrem Wesen nach mehr reagiert als agiert. Was sich auswirkt, ist Bildung, Bildung, Bildung. Und das ist ein Langzeitprogramm."

Plasser hingegen hat gleich eine Reihe von Ratschlägen für die Politik parat:

1. Ehrliche, offene Kommunikation: Was schief läuft, ansprechen, Bedrohungsbilder nicht wegschieben, Fragen beantworten. Den Wählern keine Beruhigungspillen verabreichen, die ohnehin nicht wirken.

2. Erreichbare Ziele setzen: Nicht vorgeben, Probleme in einem Tempo lösen zu können, von dem man weiß, dass es scheitern muss. Das erhöht den Vertrauensverlust.

3. Die Konfrontation mit den Populisten aufnehmen, aber nicht in deren Stil verfallen. Im Sinne von Michelle Obama ("When they go low, we go high") sich nicht dem aggressiven, affektgetriebenen Niveau anpassen. Durchhalten, meint Plasser, lohne sich: "Populisten sind in der Regel wenig enttäuschungsresistent und oft persönlich beleidigt, wenn etwas nicht gleich funktioniert. Das führt zu deren Entzauberung."

4. Die Wähler von populistischen Parteien nicht pauschal ausgrenzen. Dinge zu sagen wie "Die sind Rattenfängern auf den Leim gegangen", verstoße gegen die Integrität.

"In Europa", sagt Plasser, "besitzt den Schlüssel gegen die Ausbreitung von Populismus die EU." Sie müsse endlich lösen, was man von ihr erwartet: nämlich jene Probleme, die nationalstaatlich nicht mehr lösbar sind. Die nationalen Regierungen hätten nicht verstanden, dass sie sich selbst schaden, wenn sie den Schwarzen Peter der EU zuschieben oder EU-Lösungen hintertreiben. Plasser: "Die nationalen Regierungen werden so wie die EU als Teil ein und derselben Elite wahrgenommen – was sie ja auch sind. Sobald die EU die Probleme in den Griff bekommt, würde das positiv auf die nationalen Regierung abfärben, egal, welche politische Ausrichtung sie haben."

Standhaft bleiben

Ganz generell warnt Plasser davor, angesichts der Populismuswelle klein beizugeben: "Es wäre grundfalsch zu sagen: Jetzt kommt ein Zeitalter des Populismus, darum werden wir alle Populisten und sagen und tun Dinge, die wir eigentlich für falsch halten. Das wäre höchst verantwortungslos und nicht ehrenvoll. Man muss aufrecht und selbstbewusst zu dem stehen, was man für richtig hält."

Brexit

Am 23. Juni 2016 stimmten die Briten ab: 51,89 % stimmten für den EU-Austritt, 48,11 % dagegen.

US-Wahlen

Trump erreichte am 8. November die Mehrheit der Wahlmänner, obwohl er mit 60.071.650 Stimmen hinter Hillary Clinton mit 60.467.245 Stimmen blieb.

Frankreich 2017

Bei der Präsidentenwahl wird erwartet, dass Marine Le Pen in die Stichwahl kommt. 2012 war sie Dritte.

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