PISA: Rückkehr zur Mittelmäßigkeit

"Ich bin als Einzelperson außerhalb der statistischen Wahrnehmung" - ÖGB-Chef Erich Foglar (FSG/SPÖ) ist es "ehrlich gesagt wurscht", dass sein geplanter Pensionsantritt mit 62 das Regelpensionsalter unterbietet.
Nach dem schlechten Ergebnis 2009 sind die Ergebnisse 2012 wieder durchschnittlich.

Nach den schwachen Ergebnissen beim PISA-Test 2009 ist der Jubel über das Ergebnis des Tests aus dem Frühjahr 2012 groß: Die scheidende Bildungsministerin Claudia Schmied spricht von einer „Trendumkehr“, es gibt aber auch viele kritische Stimmen und einmal mehr einen politischen Streit. Was stimmt?

Was ist der PISA-Test?

PISA (Programme for International Student Assessment) ist eine internationale Schulleistungsstudie der OECD, die alle drei Jahre gegen Ende der Pflichtschulzeit der 15-jährigen Schüler in 65 Ländern durchgeführt wird. In allen Ländern haben zufällig ausgewählte Schüler aller Schultypen die gleichen Aufgaben zu Lesekompetenz, Naturwissenschaften und Mathematik bekommen.

Sind unsere Ergebnisse besser geworden?

PISA: Rückkehr zur Mittelmäßigkeit
Österreich liegt in Mathematik über dem OECD-Schnitt, in Naturwissenschaft im OECD-Schnitt, beim Lesen signifikant unter dem OECD-Schnitt. PISA 2012 zeigt nach dem Absturz 2009 in Mathematik eine Trendumkehr auf das Leistungsniveau von 2003. Gegenüber 2009 ist ein Aufwärtstrend bemerkbar.

Sind wir wirklich besser geworden?

Jeder interpretiert das Ergebnis anders. Das Ministerium rechnet Nicht-OECD-Länder aus dem Ergebnis heraus, womit wir in Mathematik von Platz 18 auf Platz 11 vorgestoßen sind. Laut OECD liegen wir unter allen Staaten aber nur „zwischen Rang 17 und 22“. Dazu kommt, dass beim Test 2009 teils zum Boykott aufgerufen wurde, und die OECD deshalb selbst den 2009-Ergebnissen nicht traut. Tatsächlich hat sich im langjährigen Vergleich kaum etwas geändert.

Sagt PISA etwas über die Qualität der Schultypen?

Besser als Österreich sind sowohl Länder mit einem differenzierten Schulsystem (etwa Deutschland oder die Schweiz) als auch Länder ohne unterschiedliche Schulformen (vor allem in Asien, aber auch Finnland und Schweden). Der stellvertretende OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher wies Spekulationen zurück, wonach die besseren Ergebnisse in der Schweiz und die schlechtere Performance von Finnland und Schweden ein Beweis für das Scheitern der Gesamtschule seien. Schleicher präferiert nach eigenen Aussagen die Gesamtschule, in Österreich lobte er die „Neue Mittelschule“.

Welche Schlüsse kann man für die Bildungs­debatte in Österreich ziehen?

Niemand kann mit Mittelmäßigkeit zufrieden sein, daher herrscht weiter dringend Reformbedarf. Dazu kommt, dass die Unterschiede zwischen Mädchen und Burschen sehr groß sind, Burschen sind in Mathematik deutlich besser, Mädchen beim Lesen. Schüler mit Migrationshintergrund als auch inländische Schüler aus bildungsfernen Schichten (Pflichtschulabschluss) schneiden sehr schlecht ab.

Warum sind Finnen und Schweden schlechter geworden?

Testergebnisse bei PISA haben auch immer mit der Kultur und Stimmung im Land zu tun. In Finnland ist die generelle Aufbruchstimmung, die es um die Jahrtausendwende gegeben hat, einer Krisenstimmung gewichen (siehe Bericht unten).

Was machen Schweizer und Deutsche besser?

In der Schweiz ist die Schule viel stärker in die Gemeinde und das gesellschaftliche Leben integriert. Das hat zur Folge, dass man dort viel differenzierter auf die Anforderungen vor Ort eingehen kann. In Deutschland arbeitet man bereits seit den ersten PISA-Ergebnissen im Jahr 2000 an einer Verbesserung des Unterrichts. Damals saß der Schock im „Kulturland“ tief, als klar wurde, dass die Schüler im internationalen Vergleich nur mittelmäßig sind. Außerdem schaffen es die Nachbarn besser, Migranten zu fördern.

Warum sind Buben in Mathematik so viel besser als Mädchen?

Mädchen trauen sich im Fach Mathematik weitaus weniger zu als Buben. Selbst dann, wenn sie bessere Leistungen erbringen als ihre männlichen Mitschüler. Das hat zur Folge, dass sie weniger motiviert sind. Dieses ist aber eine Grundvoraussetzung für gute Leistungen.

Was ist vom nächsten PISA-Test zu erwarten?

Getestet wird im Frühjahr 2015, die Ergebnisse 2016 veröffentlicht. Neue Reformen werden bis dahin kaum greifen können.

Wird in Österreich über Bildung diskutiert, zählen Sachargumente meist wenig. Jede Seite hat ihr Weltbild, von dem aus sie argumentiert. Die SPÖ will weiter Richtung Gesamtschule gehen, die ÖVP warnt vor der „Eintopfschule“ und beharrt auf einem differenzierten System.

Augenscheinlich wird die unterschiedliche Interpretation, wenn man vergleicht, was SPÖ und ÖVP aus den Ergebnissen konkret herauslesen. Der Pressedienst der SPÖ jubelt: „Die PISA-Ergebnisse 2012 zeigen einmal mehr deutlich, dass es keine Alternative zum eingeschlagenen Weg der Weiterentwicklung des österreichischen Schulwesens gibt. Die eingeleiteten Schulentwicklungsprojekte sind die Voraussetzungen für das Gelingen unserer Zukunft.“ Für Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) markiert der PISA-Test 2012 gar „einen Wendepunkt.“ Hin zum Guten natürlich. Dabei liegen Österreichs Schülerleistungen in etwa dort, wo sie am Beginn ihrer Amtszeit waren. Schmied ist der Ansicht, dass viele ihrer Reformen erst bei den nächsten PISA-Tests 2014 und 2017 greifen – etwa die Frühkindförderung, kleinere Klassen oder die Neue Mittelschule.

Keine Gesamtschule

Eine andere Schlussfolgerung liest man im ÖVP-Pressedienst: „Die jüngste PISA-Studie belegt die Sinnlosigkeit der Einführung einer Gesamtschule. Europäischer Sieger ist die Schweiz, die auf ein differenziertes Bildungssystem Wert legt.“ Verschwiegen wird, dass es sehr wohl Kantone mit Gesamtschulen gibt.

Die scheidende Bildungsministerin Claudia Schmied sieht weiterhin Reformbedarf: Zwar zeigen die Indikatoren wieder „alle in die richtige Richtung“, doch „es wäre sicher noch eine größere Veränderungsdynamik wünschenswert“.

Tatsächlich spiegeln sich die unterschiedliche Sichtweisen derzeit in den Koalitionsverhandlungen wieder. Ein großer Wurf in Sachen Bildungsreform ist daher eher nicht zu erwarten.

Die Politik interpretiert PISA so, wie es ihr ideologisch in den Kram passt. Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann ist amüsiert und relativiert die PISA-Ergebnisse: „Die österreichischen Schüler sind nicht wirklich besser geworden. Die Werte liegen alle innerhalb der statistischen Schwankungsbreite.“

Mit der Einführung der Bildungsstandards und der Zentralmatura habe das leicht bessere Abschneiden nichts zu tun. Der Druck auf die Lehrer habe sich erhöht. „Doch der Effekt auf PISA wird überschätzt. Schule erklärt nur einen kleinen Teil der Schülerleistungen. Diese hängen vor allem von sozialer Herkunft und kulturellem Hintergrund ab. Die Schule hat da nur einen Anteil von 15 bis 30 Prozent.“

Nicht überrascht hat ihn deshalb das etwas schlechtere Abschneiden Finnlands: „Das Land macht derzeit eine soziale und ökonomische Krise durch. Es wäre verwunderlich, wenn sich das nicht auswirken würde.“ Das gute Abschneiden der Schweiz ist für Hopmann ein Beleg dafür, dass es nicht auf die äußere Schulform ankommt: „Dort gibt es Kantone mit Gesamtschulen und welche mit Gymnasien oder Ganztagsschulen.“

Was kann man dann aus PISA und von den Schweizern lernen? „Wir müssen den unterschiedlichen Begabungen, Lebensumständen etc. besser gerecht werden als bisher. Das gelingt nur über eine Binnendifferenzierung. Lehrerbildung, Lehrerdienstrecht und Schulleitung sind die relevanten Themen, bei denen Reformbedarf besteht. Diese Maßnahmen sieht man nicht über Nacht. Sie werden von der Politik nicht angegangen, weil man da nicht schnell große Schlagzeilen machen kann.“

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