Petrik: "Die Sorgen findet man nicht als Pizzabote in zehn Minuten heraus"

Regina Petrik arbeitete für 6,50 Euro in einer Näherei.
Von der Näherin bis zur Bauarbeiterin. Burgenlands grüne Landtagsabgeordnete Regina Petrik absolvierte in zehn Monaten zehn verschiedene Praktika als Arbeiterin.

Sie wollte mehr als nur einen Werbe-Gag landen. Statt drei Stunden zu schnuppern – wie es Kanzler Christian Kern als Pizzabote machte – schlüpfte die Grüne Regina Petrik (53) tatsächlich in das Leben eines "Hacklers". Sie saß als Näherin an der Nähmaschine und fertigte im Akkord Teile eines BHs für einen Stundenlohn von 6,50 Euro, sie schupfte Ziegeln als Frau am Bau, sie pflegte Pensionisten, sie schleppte um fünf Uhr früh Kisten mit Grünzeug durch den Supermarkt . "Bevor ich als Spitzenkandidatin in den burgenländischen Wahlkampf ging, habe ich mir überlegt, was ich noch lernen muss, damit ich eine gute Politikerin werde", erzählt Petrik über ihre Motivation. Also absolvierte sie zehn Monate lang zehn verschiedene Praktika.

Vom Praktikanten-Lohn gelebt

Mehr noch: Die Landessprecherin der Grünen gab ihren bezahlten Job als Landesgeschäftsführern auf. Die alleinerziehende Mutter dreier Kinder lebte im wesentlichen vom Arbeiter-Lohn und von Erspartem („Ich hatte zum Glück 20.000 Euro am Konto“). Denn fünf der zehn Monate arbeitet sie auch noch ehrenamtlich. „Selbst am Flughafen, wenn man die Tochter abholt, aber das Flugzeug Verspätung hat, beginnt man zu rechnen, ob man sich die teure Parkplatzgebühr überhaupt leisten kann“, erinnert sich Petrik an das enge finanzielle Korsett. Auch ein Familienurlaub ging sich in diesem Jahr nicht aus.

Wer, wenn nicht die burgenländische Landtagsabgeordnete, hat die Legitimation zu beurteilen, wie viel Substanz das Intermezzo von Kern als Pizzabote tatsächlich hat? Die Inszenierung per se stört Petrik nicht. "Natürlich habe ich mir auch damals überlegt, wie ich öffentliche Aufmerksamkeit bekommen könnte. Zum Problem wird es nur, wenn die Inszenierung wichtiger wird als der Inhalt", kritisiert die grüne Politikerin. Was die Menschen wirklich bewegt, was ihre großen Sorgen sind, das findet man nicht bei "einem Stopp als verkleideter Pizzabote in zehn Minuten heraus".

"Schulter an Schulter arbeiten"

Man muss schon zwei Tage "Schulter an Schulter mit ihnen verbringen". Erst dann beginnen sie sich zu öffnen. Petrik hat keinen Tag der zehn Monate Praktika bereut. "Es tut gut, zu erleben und nicht nur zu wissen." Petrik weiß nun, wie man sich fühlt, wenn man 4000 BH-Träger auf Makellosigkeit überprüft. Wie aufdringlich und unangenehm das Dauergeräusch der Nähmaschinen und der Reinigungsdüsen ist. Wie viel die Arbeit am Bau dem Körper abverlangt. "Ich hatte einen unglaublichen Muskelkater", erinnert sie sich noch heute.

Eines hat sie aus dieser Zeit mitgenommen: Die Gesellschaft sollte nicht werten, welcher Job wertvoll und welcher Job es nicht ist. Als die Landtagabgeordnete als Näherin eingelernt wurde, zeigte ihr eine Kollegin wie eine perfekte Naht funktioniert. "Als mir die Kollegin die Naht zeigte, sagte sie zu mir: Ist das nicht eine schöne Arbeit. In diesem Moment war ich richtig beschämt."

Wo lag der politische Mehrwert für Petrik, die übrigens die Mutter der Jungen Grünen Revoluzzerin Flora Petrik ist? Die Tarife für die Zeit, die ein Pfleger für einen Heimbewohner aufwenden darf, sieht sie nun mit anderen Augen und die würde sie auch in der Gesetzgebung im Landtag nicht verschließen. "Wie wichtig das Thema Mindestlohn vor allem für Frauen ist, wird einem hier bewusst."

"Bauern alleine gelassen"

Sie erfuhr aber auch, wie allein vor allem die kleinen Bauern vom Bauernbund und der Landwirtschaftskammer gelassen werden. "Erst wenn man eine relevante Größe hat und die Produktion in Richtung Agrarindustrie geht, nimmt die Standesvertretung die Anliegen wahr", kritisiert Petrik. Denn auch ein Monat als landwirtschaftliche Hilfskraft am Biobauernhof Klampfer absolvierte die Politikerin. "Nicht nur der Naturgewalt Wetter sind die Bauern ausgeliefert. Nein, sie ärgern sich über die andere Gewalt, die Funktionärsgewalt und die Kammergewalt bringt sie zum Verzweifeln."

Könnte sich Petrik vorstellen, nochmals so eine Pratikums-Auszeit zu nehmen? "Das mache ich und kann es nur jedem empfehlen". Im Vorjahr verbrachte sie zwei Wochen als Mechatronik-Lehrling. "Ich war schockiert, dass die Lehrlinge ihre Entscheidung, eine Lehre zu machen, damit begründen, dass sie für die Schule zu schwach wären. Das muss sich ändern". Im Mai taucht sie in das Leben jener Männer ein, die den Müll entsorgen. Beim burgenländischen Müllverband wird Petrik zwei Wochen den Umweltdienst machen.

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