ÖVP stellt im Jänner Antrag auf Neuwahl

APA10589256-2 - 10122012 - SALZBURG - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Überblick auf Salzburger Landesbedienstete die am Montag, 10. Dezember 2012, anlässlich einer Demonstration der Landes- und Spitals-Bediensteten gegen eine Nulllohnrunde und für mehr Gehalt, während einer Kundgebung im Hof des Chiemseehofes in Salzburg, demonstrieren. APA-FOTO: Neumayr/MMV
Finanzskandal: Die Koalition aus SPÖ und ÖVP in Salzburg zerbricht wegen der verzockten Millionen. Die ÖVP beschloss am Montag, im Landtag Neuwahlen zu beantragen. Die Leute hätten es "satt".

Die Politiker zocken – und uns wollen sie mit Almosen abspeisen!“ Pfiffe und Buh-Rufe erntete die Polit-Spitze Montagvormittag in Salzburg. 4000 Landesbedienstete demonstrierten zwar primär gegen die geplante Nulllohnrunde, der Skandal um die verzockten Steuerzahlermillionen war freilich auch zentrales Thema. Während im Chiemseehof die Landesregierung tagte, skandierte die Menge draußen: „Wir haben das nicht verbockt, sie haben unser Geld verzockt!“

Landeshauptfrau Gabi Burgstaller unterbrach die Sitzung, um kurz mit den Demonstranten zu reden, doch das Hauptaugenmerk galt der Causa Prima, der Affäre um die geschätzten 340 verspekulierten Landesmillionen.

Keine Vertrauensbasis

Die entscheidende Frage gestern in Salzburg: Wie soll es nun weitergehen? Die Antwort gab gestern Abend der Landesparteivorstand der ÖVP: Neuwahlen. Damit wird es 2013 vier Landtagswahlen geben.

Die ÖVP ist Koalitionspartner der SPÖ in Salzburg – und sie kündigte gestern ihre Kündigung an. Die ÖVP will die Regierung mit der SPÖ nicht bis zum regulären Ablaufdatum im März 2014 fortführen. „Die Leute haben es satt, es muss Konsequenzen geben“, sagte Landes-ÖVP-Chef Wilfried Haslauer gegenüber der ZiB 2.

ÖVP-Klubobfrau Gerlinde Rogatsch sagte gestern Abend nach der ÖVP-Sitzung zum KURIER, das Verzocken von Hunderten Millionen dürfe „nicht ohne Konsequenzen bleiben“. Die „Regierung Burgstaller“ habe „keine Vertrauensbasis“ mehr, die Bevölkerung sei „angefressen“.

In erster Linie gelte es nun, bei den Spekulationsverlusten „zu retten, was noch zu retten ist“, so Rogatsch. Bei einer Sondersitzung des Landtags am 16. Jänner werde die ÖVP dann den Neuwahlantrag stellen. Von einem Untersuchungsausschuss noch vor der Wahl hält Rogatsch nicht viel, da bleibe „zu wenig Zeit“. Die erste Handlung der ÖVP im neu gewählten Landtag werde jedoch die Einsetzung eines U-Ausschusses sein.

Keiner war’s

Die Landes-SPÖ steht bis dato bei Neuwahlen eher auf der Bremse. Die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller hat in einer ersten Reaktion zum ÖVP-Wunsch nach Neuwahlen ihre am Sonntagabend im Landesparteivorstand festgelegte Position bekräftigt: "Wer jetzt Neuwahlen vom Zaun bricht, der hat kein Interesse an der Aufklärung des mutmaßlichen Kriminalfalls in der Finanzabteilung des Landes Salzburg“, hieß es in einer Aussendung am Montagabend. "Für die SPÖ ist die heutige Positionierung der ÖVP ein völlig durchsichtiges Manöver."

Auch die Grünen sind dagegen - aber der ÖVP reichen die Stimmen der Blauen, um den Landtag auflösen zu können und eine vorgezogene Landtagswahl zu initiieren. Salzburgs FP-Obmann Karl Schnell sagte gestern zum KURIER: „Ich bin absolut für Neuwahlen.“  Landespartei-Chef Karl Schnell wollte sich im APA-Gespräch am Montagabend noch nicht festlegen lassen: "Dass der Skandal zu Neuwahlen führen muss, ist klar. Ob das im Jänner ist oder im Feber oder noch später, ist egal."

Zuvor müsse jedoch geklärt werden, wie hoch der Schaden sei und wer ihn zu verantworten habe. Für Schnell steht fest: „Das ist kein Skandal der SPÖ, das ist ein Regierungsskandal. Die ÖVP sitzt voll im Boot.“ Aus der Sicht der ÖVP ist hingegen die SPÖ Schuld an dem Desaster. Die SPÖ wiederum sieht sich als Opfer einer kriminellen Beamtin und verweist auf einen ÖVP-Mann als deren Chef in der Finanzabteilung.

Wie die Wähler das Ganze beurteilen werden, wird sich im Frühjahr weisen. Am 16. Jänner wird der Neuwahlbeschluss fallen. Es ist unrealistisch, dass der Antrag keine Mehrheit findet. „Etwa zweieinhalb bis drei Monate später kann gewählt werden“, erklärt Michael Bergmüller, Referatsleiter für Wahlen in Salzburg. De facto legt die Regierung den Termin fest. Als wahrscheinlich gilt, dass der Urnengang im April angesetzt wird.

Frontfrau

Mit wem soll die SPÖ in die Wahl gehen? Der Salzburger SPÖ-Bürgermeister Heinz Schaden meint, das könne nur Gabi Burgstaller sein. „Das ist die einzig vernünftig Ansage.“ Burgstaller sei in den Finanzskandal „nicht persönlich involviert“. Außerdem: „Es gibt sonst niemanden – und mit dieser Einschätzung bin ich nicht allein“, betont Schaden.

Was ist, wenn Burgstaller zurücktritt, was sie selbst im KURIER-Interview nicht ausgeschlossen hat? Stünde Heinz Schaden als Spitzenkandidat zur Verfügung? „Nein, ich mache das mit Sicherheit nicht.“

Im Bund gibt es bereits erste Konsequenzen aus der Zocker-Affäre. Finanzministerin Maria Fekter will beim heutigen Ministerrat strengere Regeln für die öffentliche Geldveranlagung vorschlagen. Ob die Bundesfinanzierungsagentur vorerst die Geschäfte für Salzburg übernimmt, müsse aber erst noch geprüft werden.

Im Amt der Salzburger Landesregierung wurden gestern Büros der Finanzabteilung durchsucht. „Wir haben am Wochenende das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung mit den Ermittlungen beauftragt, am Montag wurden zahlreiches Datenmaterial sichergestellt und Einvernehmen gemacht“, sagt Erich Mayer von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zum KURIER. Bisher liege der WKStA nur eine anonyme Anzeige vor, die vom Land Salzburg ist noch nicht eingelangt. Einzige Verdächtige: die Ex-Landesbedienstete Monika R.

Doch der Finanzskandal kann nicht auf die mutmaßlichen Malversationen von Monika R. reduziert werden. Denn das Land Salzburg habe sich in den vergangenen Jahren der wilden Zockerei verschrieben, kritisieren Finanzexperten. Dazu muss man wissen: Salzburg hat zumindest 1,788 Milliarden Euro Schulden: Finanzierungsschulden, Wohnbaufonds- und Leasing-Verbindlichkeiten. Zum Vergleich: Das Landesbudget 2013 ist mit 2,43 Milliarden Euro veranschlagt. Um die Zinsbelastung zu minimieren, wurden in selber Höhe riskante Zinswetten und Währungs-Termingeschäfte abgeschlossen.

2007 unter Wasser?

Diese Spekulationsgeschäfte waren schon im Jahr 2007 mit 243 Millionen Euro im Minus, also nur 100 Millionen Euro weniger als jetzt infolge des Kriminalfalles. In den Folgejahren soll das Verlustrisiko auf 74 Millionen Euro (Jahr 2011) reduziert worden sein, aber mutmaßlich nur, weil noch mehr neue riskante Geschäfte abgeschlossen wurden. Salzburg steigerte sein Finanzrisiko kontinuierlich. Von 2007 bis 2011 erhöhte sich die Zins-Zockerei um 200 Millionen auf 658 Millionen Euro, die vermeintlichen „Absicherungsgeschäfte“ stiegen von 255 Millionen auf 899 Millionen Euro.

Die 50 Derivatgeschäfte, die SP-Landesfinanzreferent David Brenner Mitte November dem Landtag auflistete, haben verschiedene Laufzeiten. Sie reichen von 2018 bis 2038. Der größte Brocken (18 Deals über 625 Millionen Euro) hat eine maximale Laufzeit von 20 Jahren. Fakt ist: Der Eintritt der Verluste hängt von der Laufzeit ab. Derzeit geht Salzburg von 340 Millionen Euro Schaden aus. Daher dürften die Angaben über die Veranlagungen , die Brenner im Vormonat bekannt gab, nicht stimmen.

Drei Lösungsszenarien

Um die Misere in den Griff zu bekommen, gibt es drei Möglichkeiten: Erstens: Das Land kann mit den Banken – darunter sind Deutsche Bank, Salzburger Landes-Hypo und Bank Austria – Verhandlungen führen, um aus den Verträgen auszusteigen. Das geht bestenfalls zum Marktwert des Zins-Tauschgeschäftes, in der Regel aber nur zu schlechteren Konditionen. Das Resultat heißt Verlust.

Zweitens: Salzburg kann die Wettgeschäfte fortschreiben. Damit wird aktuell noch kein Verlust generiert, aber es steigt das Risiko, dass der Verlust am Ende noch größer wird. „Geht es schief, könnte sich das Minus auf 700 Millionen Euro verdoppeln“, sagt ein Experte. Drittens: Das Land nimmt nochmals Zig-Millionen in die Hand und schließt zu den verlustträchtigen Zinswetten Gegenwetten ab. Ziel ist der Ausgleich des Risikos. Aber um das Ausmaß des Desasters erfassen zu können, muss in Salzburg ein aktueller Finanzstatus erstellt werden. Das kann dauern, wie die Affäre um die 400-Millionen-Euro-Zinswette „Swap 4175“ der Stadt Linz bei der Bawag belegt.

„Wir haben zwei bis drei Monate gebraucht, bis wir die Hintergründe und die Wirkungen dieses Finanzgeschäfts einigermaßen verstanden haben“, sagt Meinhard Lukas, Dekan der Juridischen Fakultät der Linzer Kepler Universität und Rechtsberater der Stadt Linz. Lukas kritisiert generell die Bilanzierung der Gebietskörperschaften. Diese seien, vereinfacht gesagt, nur Einnahmen- und Ausgabenrechner.

Krebsübel abstellen „Das Krebsübel ist, dass die Kameralistik, also das Rechnungswesen der Öffentlichen Hand, keineswegs dafür geeignet ist, Risken aus Derivatgeschäften abzubilden“, sagt Lukas. „In der kameralen Buchhaltung werden nur Zahlungsströme abgebildet, in einem Unternehmen müssen Spekulationsrisiken in die Bilanz aufgenommen werden.“ Nachsatz: „Das Rechnungswesen der öffentlichen Hand muss dringend reformiert werden.“

ÖVP stellt im Jänner Antrag auf Neuwahl
ÖVP stellt im Jänner Antrag auf Neuwahl
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FAKTEN

Chronik der Zocker

2001
Salzburg schließt erstmals parallel zu den aufgenommenen Darlehen Derivate ab. Ziel der Spekulation ist die Reduzierung der Zinslast.

2007
Das Verlustrisiko beträgt damals 243 Mio. Euro, über die Vorjahre liegen keine Angaben vor.

Brisante Lage
2009 prüft der Rechnungshof die Lage: Moderate Kritik statt Forderung nach dem Ausstieg aus den Derivatgeschäften.

Juli 2012
Die dubiosen Deals der verantwortlichen Mitarbeiterin werden entdeckt. Ende November soll sie ein Geständnis abgelegt haben.

1,788 Mrd. €
Die Zockerei hat ein Aus- maß von 1,78 Mrd. Euro, etwa soviel wie die Landesschulden. Das Budget 2013 ist mit 2,345 Mrd. Euro veranschlagt.

ÖBFA
Ein Teil der Schulden wurde über die Bundesfinanzierungsagentur ÖBFA aufgenommen.

„Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“, hat uns Karl Marx gelehrt, aber auch hier hat er nicht unbedingt recht gehabt. Schauen wir einmal nach Salzburg. Da marschierten die Landesbeamten auch gestern wieder für eine deutliche Lohnerhöhung, obwohl sie wissen müssten, dass im Moment niemand ein Budget machen kann. Natürlich können die Beamten nichts dafür, dass eine Verwaltungsbedienstete unter den schläfrigen Augen der Politik Millionen verzockt hat. Aber so viel Realismus sollte es auch in Salzburger Amtsstuben geben: Diese Regierung muss einmal klären, wie viel Geld sie überhaupt noch hat.

Neuwahlen werden weder in Salzburg, noch in Kärnten oder im Bund das grundsätzliche Problem lösen: Die Leute haben in die heimische Politik einfach kein Vertrauen mehr. Den Satz:„Die Politik bereitet meine Heimat gut auf die Zukunft vor“ beantworten in Österreich nur 7 Prozent der Menschen mit Ja. Das ist das Ergebnis einer Umfrage in zehn europäischen Ländern. Sogar in den Krisenländern vertrauen die Menschen den Politikern mehr als bei uns. Und sie sind etwa in Griechenland oder Spanien auch optimistischer als in Österreich.

Die allgemeine Verwirrung geht aber weit über unser Land hinaus: 23 Prozent der Befragten wollen, dass China international mehr Verantwortung übernehmen soll, aber nur 20 Prozent erwünschen das von der EU-Kommission.

Wenn eine jahrelange Zockerei vom zuständigen Landesrat übersehen wird, muss dieser natürlich zurücktreten. Aber wo ist neues politisches Personal in Sicht? Und wo ist jemand, der den Menschen das Gefühl gibt, dass politisches Tun zur Verbesserung ihres Lebens beiträgt?

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