ÖVP: "Eine Art von Super-Gau"

Erwin Pröll und Johanna Mikl-Leitner
Der Zeitpunkt der Regierungsumbildung sorgt für heftige Kritik an Pröll und Mitterlehner.

Sie kamen gemeinsam in einem Wagen, die Amtsinhaberin und ihr Nachfolger. Und dass Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Wolfgang Sobotka den Fonds eines Dienstwagens teilten, war ein Detail, dass Sonntagabend zeigen sollte: In der ÖVP herrscht Harmonie.

In Wien-Meidling traf sich die Spitze der Volkspartei zum Bundesparteivorstand, um die erst am Samstag publik gewordene Rochade zu fixieren. Mikl-Leitner wechselt nach Niederösterreich, Sobotka wird Innenminister – und warum das ausgerechnet mitten im Hofburg-Wahlkampf über die Bühne gehen muss, versuchten Parteichef Reinhold Mitterlehner und Landeschef Erwin Pröll gestern zu erklären.

Staatspolitik versus Wahlkampf

Demnach gibt es für Entscheidungen wie diese nie einen perfekten Zeitpunkt. Und weil man, wie Pröll gelassen festhielt, ja schon seit Anfang März über den Wechsel nachdenke, habe man nun gehandelt. "Staatspolitische Entscheidungen" seien das eine, ein Wahlkampf das andere – und beide hätten nur begrenzt miteinander zu tun.

ÖVP: "Eine Art von Super-Gau"
ABD0011_20160411 - WIEN - ÖSTERREICH: LH Erwin Pröll vor Beginn einer Sitzung der ÖVP-Bundesparteileitung am Montag, 11. April 2016, in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Auf Nachfragen zum Zeitpunkt reagierte insbesondere Pröll verschnupft. "Wie hätten Sie's denn gern gehabt?", antwortete er einem Journalisten, als dieser die Motive hinterfragte. Und als ein anderer wissen wollte, warum man bei einer derart gravierenden Entscheidung nicht bis nach der Wahl hatte warten können, sagte er nur knapp: "Haben wir so undeutlich gesprochen?"

Der Wechsel war lange geplant, mit allen akkordiert und passiert nur, weil Mikl-Leitner zurück nach Niederösterreich will. Das ist die Version, wie sie von Mitterlehner und Pröll erzählt wurde.

Empörung über Pröll

Namhafte Parteigänger erzählen derweil eine andere. Hinter vorgehaltener Hand beschwerten sich Funktionäre über die Rochade und deren Zeitpunkt: Es sei empörend, dass Pröll die Regelung seiner Nachfolge ohne Rücksicht auf die Hofburg-Wahl durchziehe. Dieser habe in der Partei wie auf die Bünde-Chefs Druck gemacht. Und auch Mitterlehner bekommt sein Fett ab: Er hätte aus Rücksicht auf Hofburg-Kandidat Andreas Khol verhindern müssen, dass der Job-Tausch jetzt erledigt wird.

Mitterlehner gilt nicht nur intern als angeschlagen: In einer am Samstag veröffentlichten Umfrage von OGM im Auftrag der Regionalzeitungen halten ihn nur 18 Prozent der Befragten für den aussichtsreichsten ÖVP-Spitzenkandidaten bei der nächsten Nationalratswahl. Satte 58 Prozent – mehr als drei Mal so viel – sehen in Außenminister Sebastian Kurz den erfolgsträchtigeren Kandidaten.

ÖVP: "Eine Art von Super-Gau"
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Beraterin Heidi Glück, einst Pressesprecherin von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel, fällt über die Regierungs-Rochade ein hartes Urteil: Für Khol sei sie "eine Art von Super-GAU", denn "damit wird ihm die Chance auf einen Endspurt im Hofburg-Wahlkampf genommen." Im Fernsehen, sagt Kommunikationsexpertin Glück, könne Khol punkten. Insofern hätte er in den zwei Wochen bis zur Wahl noch Aussichten darauf gehabt, "ein passables Ergebnis einzufahren und in die Stichwahl zu kommen. Das hat man ihm genommen." Besonders bitter sei, "dass der Parteichef ihm in den Rücken fällt", sagt Glück. Und das, nachdem Khol – nach Prölls Absage – für den Bundespräsidenten-Wahlkampf eingesprungen sei und Mitterlehner so aus der Bredouille geholfen habe.

Einen einzigen positiven Effekt gebe es für Khol: "Wenn die Wahl für ihn nicht gut ausgeht, hat er wenigstens eine gute Begründung."

Die Rochade Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Wechsel Johanna Mikl-Leitners von der Bundes- in die Landesregierung dazu dient, die Nachfolge Erwin Prölls zu regeln. Zwar gilt es als möglich, dass Pröll noch einmal selbst antritt. Im Umfeld der ÖVP Niederösterreich wird aber gemunkelt, der Langzeit-Landeshauptmann könnte sich rund um seinen 70. Geburtstag im Dezember zurückziehen. Mikl-Leitner würde dann als Landeshauptfrau angelobt und hätte gut ein Jahr im Amt, bevor sie sich der nächsten Wahl stellen muss. Beim letzten Urnengang im Jahr 2013 hat die ÖVP die absolute Mehrheit im Landtag erreicht.

Das Wahljahr Planmäßig wird das Jahr 2018 zum Superwahljahr: Werden die Legislaturperioden nicht vorzeitig beendet, stehen in Kärnten, Niederösterreich, Tirol und auch in Salzburg Landtagswahlen an. Auch die nächste Nationalratswahl findet planmäßig 2018 statt.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) erklärte am Sonntagabend zum Wechsel im Innenressort, er respektiere die Entscheidung des Koalitionspartners. In einer Aussendung bedankte er sich bei Johanna Mikl-Leitner für ihre Arbeit in der Bundesregierung. Mit dem künftigen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hofft er auf eine gute Zusammenarbeit.

Mikl-Leitner - sie wechselt als Vize von Landeshauptmann Erwin Pröll zurück in die niederösterreichische Landesregierung - habe das Innenressort in einer "außergewöhnlich schwierigen Zeit" geführt, so Faymann, der ihr zudem "persönlich und beruflich alles Gute" wünschte.

ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol findet nicht, dass ihm seine Partei mit der jüngsten Personalrochade in die Wahlkampf-Suppe spuckt. "Ich bin weder verärgert noch beleidigt", hielt er im Ö1-"Mittagsjournal" fest. Vielmehr sei er "guten Mutes", denn entsprechende Negativ-Berichte würden seine Unterstützer noch stärker anspornen. "Ich habe heute einen Medientermin nach dem anderen, die hätte ich sonst vielleicht nicht gehabt", konnte Khol für seine Kampagne nur positive Effekte erkennen und fand das "super".

Der Schritt von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sei "zu respektieren", so Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil in einem der APA übermittelten Statement. Er versicherte, "dass ich auch mit meinem neuen Regierungskollegen gut zusammenarbeiten möchte". "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit", sagte Doskozil, der rote "Spiegelminister" des neuen Innenministers Wolfgang Sobotka. Außerdem lobte Doskozil zum Abschied die "Handschlagqualität" Mikl-Leitners, mit der er in der Migrationsfrage "sehr gut kooperiert" habe: "Persönlich finde ich es schade, dass sie aus der Regierung ausscheidet."

Freiheitlich und Grüne kritisieren den Wechsel und zeigen sich skeptisch. "Die Ablöse der völlig überforderten Innenministerin war überfällig“, sagte der Gernot Darmann, Sicherheitssprecher der FPÖ am Samstag. „Wer sich so für die Willkommensklatscher eingesetzt hat, darf sich nicht wundern, dass sich jetzt die Verabschiedungsklatscher freuen“, sagte Darmann. Er hoffe zwar auf eine Änderung der Flüchtlingspolitik, zeigt sich allerdings gegenüber Sobotka skeptisch. Auch die Grünen melden Skepsis an und kritisieren Sobotka im Vorfeld. „Sobotkas unsauberer Umgang in der niederösterreichischen Hypo-Causa ist sicher kein gutes Vorzeichen dafür, dass er nun die Leitung eines der sensibelsten Ressorts übernimmt“, hieß es in einer Stellungnahme von Bundessprecherin Eva Glawischnig.

Kritik auch von NEOS und TS

NEOS-Geschäftsführer Feri Thierry zeigt sich hingegen verwundert „nach welchen Grundsätzen in der ÖVP Personalentscheidungen getroffen würden. „Es dominieren Parteikalkül und ein offensichtlich nach Bundesländern aufgeteiltes Erbpachtprinzip“, sagte Thierry. Ähnlich sieht man das beim Team Stronach (TS). Klubchef Robert Lugar: „Gerade in der für das Land schwierigen Sicherheitslage einfach den Innenminister auszutauschen, weil der ÖVP das Personal ausgeht, ist ein Wahnsinn.“

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