Österreich, die Tür zum Asylparadies?

Österreich, die Tür zum Asylparadies?
An den Stammtischen wird das Thema mit vielen Emotionen diskutiert. Der KURIER gibt Antworten.

Wir sind als Flüchtlingsdestination zu attraktiv und machen es ihnen zu einfach, sich auf Kosten der Allgemeinheit aushalten zu lassen. So oder so ähnlich lautet die an vielen Stammtischen und zunehmend auch in der Politik ventilierte Meinung zum Umgang mit Asylwerbern.

Das Klima wird rauer, Rassismus führt bereits zu offener Gewalt gegen Asylwerber.

Gerade was die Motive einer Flucht nach Österreich angeht, ist zu hinterfragen: Sind es tatsächlich die Aussichten auf üppige Sozialleistungen, die Menschen aus zerbombten Landstrichen hierher führen? Der KURIER unterzieht die am häufigsten genannten Argumente einem Fakten-Check:

"Flüchtling, Asylwerber und Migrant – das ist doch alles dasselbe!"

Das ist falsch. Die Begriffe werden ständig vermischt, meinen aber verschiedene Dinge: Asylwerber sind Menschen, die in einem fremden Land um Hilfe bitten, bei denen aber unklar ist, ob sie bleiben dürfen. In einem Verfahren, das in letzter Instanz von Höchstgerichten geführt wird, entscheidet Österreich, ob der Asylwerber als Flüchtling anerkannt wird. Gemäß Genfer Flüchtlingskonvention ist man Flüchtling, wenn man sich außerhalb des ständigen Wohnsitzes befindet und wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder politischer Ansichten um sein Leben bangt. Wahr ist: Wer es von Syrien bis nach Europa schafft, hat gute Chancen, Asyl zu bekommen – in Syrien herrscht Krieg.

Ein Migrant hingegen verlässt aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen seine Heimat, wird dort aber nicht grundsätzlich verfolgt – und hat daher in Österreich auch kein Anrecht auf den Flüchtlingsstatus.

"Es gibt viel zu viele Asylwerber in Österreich!"

Derzeit sind 44.506 Asylwerber in Österreich in Quartieren und Zelten untergebracht. Pro Einwohner gerechnet hat Österreich mit 332 Anträgen je 100.000 Einwohner zwar mehr Asylwerber als Deutschland (247/100.000), aber klar weniger als Schweden oder Ungarn mit 844 bzw. 432 Antragstellern. Zum Vergleich: Laut UNO kamen 1956/’57 rund 180.000 Ungarn nach Österreich. Nach dem Zerfall Jugoslawiens wurden 90.000 Menschen aufgenommen. Heuer rechnet man mit 70.000 Anträgen.

"Wer erst einmal da ist, darf sowieso bleiben!"

Das stimmt nicht. Wahr ist, die Zahl der Menschen, die in Österreich Asyl bekommen, ist nur absolut gesehen derzeit hoch: Im Vorjahr wurden 9038 Menschen als Flüchtlinge anerkannt, im langjährigen Vergleich sind das doppelt bzw. drei Mal so viele wie in den Jahren zuvor (2013: 4133, 2010: 2977). Die Zahl der Anträge ist viel höher ist als die Zahl der Anerkennungen. 2013 wurden 17.503 Anträge gestellt und 4133-mal Asyl gewährt; im Vorjahr wurden 28.064 Anträge gestellt und gleichzeitig nur 9038 Anträge bewilligt. Und: Die stärksten Gruppen sind zahlenmäßig Syrer, Afghanen und Iraker – also Menschen, die nachweislich aus Regionen kommen, in denen Krieg und Faustrecht herrschen.

"Österreich schiebt praktisch eh niemanden ab!"

Allein von Jänner bis Juni gab es mit 4162 sogenannten "Außerlandesbringungen" doppelt so viele Abschiebungen wie im Vorjahr. Wie der Sonntag-KURIER berichtete, soll die Zahl weiter erhöht werden. Die Fremdenpolizei wird verstärkt dafür eingesetzt, denn für rund ein Viertel aller Anträge sind laut Dublin II andere Staaten zuständig.

"Die Verfahren dauern viel zu lange, deshalb sind so viele Asylwerber hier!"Laut letzter Messung dauert ein Asylverfahren im Schnitt 4,2 Monat bis zur Entscheidung in 1. Instanz. Damit gehört Österreich zu den schnellsten Behörden Europas. In Deutschland beträgt die durchschnittliche Dauer 5,1 Monate. In Italien, in dem heuer mehr als 40.000 Flüchtlinge landeten, schreibt das Gesetz einen Entscheid binnen 30 Tagen bis maximal 6 Monaten vor.

"Es gibt Homepages im Netz, auf denen wird Österreich als Asyl-Schlaraffenland beschrieben!"

Diese Behauptung wird auf einschlägigen Facebook-Seiten bisweilen verbreitet, hält aber einem Praxis-Test nur bedingt stand. "Ich kenne solche Seiten nicht und auch die Flüchtlinge, mit denen wir täglich arbeiten, kennen sie nicht", sagt Christoph Riedl vom Flüchtlingsdienst der Diakonie. In der Regel wüssten Flüchtende nicht im Ansatz, wie die Sozialsysteme in Europa funktionieren. Riedl bringt ein Beispiel: "In Niederösterreich haben wir eine Vereinbarung mit dem Land, dass wir als Diakonie anerkannte Flüchtlinge bei der Wohnungssuche unterstützen und überprüfen, ob sie sich gefundene Wohnungen leisten können." Dabei zeige sich oft, dass die Flüchtlinge keine Ahnung von Lebenserhaltungskosten oder möglichen Sozialleistungen haben. "Wir helfen ihnen dann, irgendwie eine Lösung zu finden", sagt Riedl.

Die "Flüchtlinge suchen sich Österreich wegen der üppigen Sozialleistungen aus, die hier auf sie warten!"

"Der wichtigste Grund, warum jemand versucht, nach Österreich zu kommen, ist, wenn er oder sie hier Familienanschluss hat", sagt Angela Brandstätter, Flüchtlingsexpertin der Caritas. "Wenn ich weiß, ein Bekannter oder Verwandter ist in einem Land sicher, dann versuche ich dorthin nachzukommen – die Familienbindungen sind in anderen Regionen der Welt weitaus stärker als bei uns." Hinzu kommt: Wer als Flüchtling in der EU anerkannt wird, darf zwar frei reisen. Der Hauptwohnsitz muss aber in jenem Land bleiben, in dem er oder sie anerkannt wurde. Deshalb suchen viele Anschluss bei Verwandten – ein späterer Umzug wäre illegal.

Die Vorzüge des rot-weiß-roten Sozialstaates spielen insofern kaum eine Rolle, als die meisten Flüchtlinge wenig bis gar keine Erfahrungen mit dem Sozialstaat westlicher Prägung haben. Brandstätter: "Von Flüchtlingen aus Syrien wissen wir, dass sie in ihrer Heimat oft einen guten Lebensstandard haben und deshalb lange mit der Flucht warten. Wer in der Stadt gewohnt hat, den vertreiben näherkommende Kämpfe oder Bomben mitunter aufs Land zu Verwandten. Erst wenn auch das zu gefährlich wird, geht man ganz fort."

"Die Asylwerber haben alle teure Smartphones, die haben offenbar zu viel Geld!"

Tatsächlich ist das Handy für viele Asylwerber ein ausnehmend wichtiger Gegenstand. Allerdings nicht als Statussymbol, sondern weil man versucht, mit den Verwandten zu Hause oder anderen geflüchteten Familienmitgliedern in Kontakt zu bleiben. Für viele ist das Handy die letzte Möglichkeit, mit jemand Vertrautem in der Muttersprache zu sprechen. Das Taschengeld, das ein Asylwerber erhält, beträgt 40 Euro im Monat. Davon müssen alle Anschaffungen getätigt werden. Vielfach handelt es sich bei den Telefonen um Wertkarten-Handys oder um geteilte Geräte – mehrere Asylwerber legen zusammen.

"Die Flüchtlinge tragen alle Markenkleidung!"

"Ich habe in Traiskirchen keinen einzigen Flüchtling in Markenkleidung getroffen", sagt Caritas-Expertin Brandstätter. "Wenn, dann handelt es sich wohl um billige, gefälschte Marken-T-Shirts."

"Sobald Flüchtlinge hier bleiben, ruhen sie sich auf der Mindestsicherung aus und schicken Geld nach Hause!"

In Österreich sind 382.000 Menschen ohne Job, darunter befinden sich 17.000 als arbeitslos vorgemerkte anerkannte Flüchtlinge (Stand: Ende Juni). Von diesen 17.000 Menschen bekommen 11.000 die bedarfsorientierte Mindestsicherung (827 Euro, 12-mal im Jahr). Betreuer Riedl bestätigt, dass Flüchtlinge Geld zu Verwandten schicken. "Ich kann daran aber nichts Verwerfliches finden, im Gegenteil: Wenn, dann sparen sie sich jeden Euro vom Mund ab, um jemand zu helfen, der noch weniger hat als sie."

"Die Mindestsicherung sollte durch Sachleistungen ersetzt werden, damit die Flüchtlinge nicht Geld, das sie eigentlich für ihre eigene Integration im Land verwenden sollten, nach Hause schicken!"

Experten halten das für mäßig zielführend. Erstens sollte es Menschen selbst überlassen bleiben, wofür sie eine finanzielle Hilfe – und eine solche ist die Mindestsicherung – verwenden. Zweitens ist die Frage, ob jemand seine Familie zu Hause unterstützt, nicht von der Mindestsicherung abhängig. Viele Flüchtlinge schicken auch dann, wenn sie Arbeit gefunden haben, viel Geld in Krisengebiete, um Freunde und Familien zu unterstützen.

"Das Unterbringen von Asylwerbern ist zu einem guten Geschäft geworden!"

Einrichtungen, die Asylsuchende beherbergen, bekommen 19 Euro pro Person und Tag für alle Aufwendungen.

Weiterführende Artikel:

Im innersten Kreis der ÖVP machte jüngst ein Planspiel die Runde: Wenn die Flüchtlingszahlen weiter ansteigen, werde die Innenministerin in der EU auf eine Wiedereinführung von permanenten Kontrollen an den österreichischen Außengrenzen drängen.

Das Aus für Schengen blieb bisher im Köcher. Statt dessen macht Österreich mit mäßigem Erfolg für eine gerechtere Verteilung der Asylwerber in Europa mobil.

Entnervt monierte Johanna Mikl-Leitner zuletzt: Frisches Geld für Griechenland gäbe es nur, wenn Athen in der Flüchtlingsfrage besser kooperiert. Das ist in der EU politisch noch schwerer durchsetzbar als die Quotenregelung, aber zu Hause für ein paar Tage schlagzeilenträchtig.

Die Innenministerin ist um ihren Job nicht zu beneiden, es ist derzeit der schwierigste im Land: Österreich ist bei der Aufnahme von Flüchtlingen gemessen an der Einwohnerzahl europaweit Spitze und Mikl-Leitner deswegen von FPÖ und Boulevard Hand in Hand unter Beschuss. Aber ist das Land ein "Flüchtlingsparadies" wie die blaue Propaganda behauptet? Der überdurchschnittliche Zustrom ist vor allem der geografischen Lage geschuldet: Österreich ist vom Süden via Mittelmeer-Route und Italien und von Osten her via Balkan-Route aus den Kriegsgebieten im Mittleren Osten im Focus der Schlepper. Grüne und NGOs wie die Caritas nehmen die Innenministerin wegen der katastrophalen Zustände in Traiskirchen und der Aufstellung von Zelten ins Visier. Setzt Mikl-Leitner nach CSU-Vorbild auf "Flüchtlingsabschreckung"? Ein nüchterner Blick auf die generellen Fakten und Tausende Einzelschicksale macht deutlich: Niemand gibt leichten Herzens sein Zuhause auf. Österreich bleibt streng bei der Gewährung von Asyl. Zwei Drittel wurden zuletzt abgewiesen. Wer nicht bleiben darf, wird vermehrt abgeschoben.

"Mutti" Merkel: Hartherzig, aber ehrlich

Dennoch macht sich nach der Angst blanker Hass breit. Vorgestern wurde erstmals auf Flüchtlinge geschossen (siehe Chronik). In Traiskirchen herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Mit Schaukelpolitik – Na-Ja und Schau-Ma-Mal – kommt man der Aufschaukelung der Gefühle nicht mehr bei. Immer mehr Österreicher fühlen sich zu Unrecht als Fremde in der Heimat; immer mehr Asylwerber leiden zu Unrecht unter menschenunwürdigen Umständen. Statt herumzureden, hat die Politik laut und deutlich allerorten beim Namen zu nennen: Kriegsflüchtlinge brauchen ohne jedes Wenn und Aber unseren Schutz und Hilfe; wer allein ein besseres Leben sucht,kann beim besten Willen auf Dauer nicht willkommen sein. Die deutsche Kanzlerin erklärte jüngst öffentlich gegenüber einer jungen Asylwerberin: "Es können nicht alle kommen, das können wir nicht schaffen. Es werden auch manche wieder zurückgehen müssen." Weil die 14-jährige Adressatin ob dieser Aussage bitter weinte, wurde Angela Merkel deshalb vielfach als hartherzig gescholten. Diese bedankte sich freilich hinterher dafür, dass Merkel wenigstens ehrlich zu ihr war. Deutschlands "Mutti" hat recht: Vater Staat muss auch in Sachen Flüchtlingen manchmal streng, aber immer gerecht sein.

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