Koalition: Gefeilsche geht heute weiter

Kern und Mitterlehner werden heute wieder verhandeln.
In vielen Punkten sollen sich SPÖ und ÖVP angenähert haben und teils auch schon einig sein. Einen Zwist gab es aber um die Obergrenze.

Arbeiten sie miteinander weiter? Oder läuft es auf einen Bruch der Koalition hinaus? Will SPÖ-Kanzler Christian Kern weiterhin mit ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner regieren? Oder will er, dass bald gewählt wird?
Diese Fragen standen auch gestern im innenpolitischen Raum. Bis in die Nachtstunden haben SPÖ und ÖVP hinter verschlossenen Türen im Bundeskanzleramt gefeilscht. Heute, Freitag, werden die Gespräche fortgesetzt.

"Neuwahlen bringen nichts"

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und ÖGB-Boss Erich Foglar, die am Abend zu den Verhandlungen hinzugezogen worden waren, zeigten sich danach im KURIER-Gespräch „zuversichtlich, dass weitergearbeitet wird“. Denn: „Neuwahlen bringen nichts.“

Ein neuer maßgeblicher Player in der heimischen Innenpolitik hatte schon tagsüber klargestellt, dass er nichts von einem vorgezogenen Urnengang hält: Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Er empfing die Regierung am Nachmittag in der Hofburg. Dort boten Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner dem neuen Staatsoberhaupt den Usancen entsprechend ihren Rücktritt an. Van der Bellen nahm diesen wie üblich – „surprise, surprise“ – nicht an. Er sagte, er sei zuversichtlich, dass die Regierung das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen werde. Beim Sechs-Augen-Gespräch mit Kanzler und Vizekanzler hinter der roten Tapetentür soll der Präsident noch deutlicher zum Ausdruck gebracht haben, dass Rot und Schwarz tunlichst weiterarbeiten sollen.

Nächtlicher Verhandlungsmarathon

Auf dem Weg retour ins Kanzleramt ließ der Bundeskanzler offen, ob sich der Wunsch des Präsidenten erfüllen wird: „Wir versuchen, uns zu einigen. Wie gut das gelingt, werden wir am Ende des Prozesses wissen“, sagte Kern. Auf die Frage, wie wahrscheinlich es sei, dass die Koalition weiter bestehen werde, sagte der Regierungschef: „Ich wette nicht auf Koalitionsbestände.“ Mitterlehner zeigte sich zu diesem Zeitpunkt „zuversichtlich“, dass „wir ein Ergebnis zustande bringen“. Wenig später begann der Verhandlungsmarathon zur Überarbeitung des Regierungsprogramms.

"Keine Sterbensglöckerl"

Kammer-Chef Leitl befand beim Eintreffen im Kanzleramt, dass jenes Kirchenglockengeläut, das zu diesem Zeitpunkt gerade zu hören war, „nicht die Sterbensglöckerl der Regierung sind“. Mit den beiden Sozialpartner-Spitzen haben Kern & Co vereinbart, dass sie die Detail-Verhandlungen für den Mindestlohn von 1500 Euro (eine SPÖ-Forderung) und die Flexibilisierung der Arbeitszeit (ein ÖVP-Wunsch) übernehmen werden.

Stundenlange Debatte

Merkbar intensiv war die Diskussion beim Thema Sicherheit. Etwa zweieinhalb Stunden, also wesentlich länger als geplant, saß die Sechserrunde (Kanzler & Vize, zwei Regierungskoordinatoren, Finanzminister und SP-Klubchef) mit den zuständigen Ministern Wolfgang Sobotka (Innenressort) und Hans Peter Doskozil (Verteidigungsressort) zusammen. Laut KURIER-Informationen soll man sich in mehreren Punkten einig gewesen sein. So dürfte etwa die SPÖ-Seite dem ÖVP-Verlangen nach einer Fußfessel für so genannte Gefährder zugestimmt haben. Auch für mehr Video-Überwachung soll es ein Okay gegeben haben.
Konfliktgeladen soll dann aber die Debatte über die Obergrenze verlaufen sein. Eingeweihte berichteten dem KURIER, dass ÖVP-Chef Mitterlehner zu einem Kompromiss bereit gewesen sein sei. Der da hätte gelautet: Man werde alles unternehmen, um die Zahl der Asylverfahren weiter zu reduzieren, es solle aber keine Obergrenze festgeschrieben werden.

Disput um Asylbereich

Das forderte ja bisher die ÖVP-Seite. Sie will, dass die Obergrenze für 2017 halbiert – auf 17.500 Flüchtlinge – und gesetzlich fixiert wird.
Innenminister Sobotka soll genau darauf auch in den Verhandlungen bestanden haben. In diesem Punkt wurde also keine Einigung erzielt. Die Schilderungen über diesen Disput gingen etwas auseinander. Die einen berichteten, Sobotka sei erzürnt gewesen und habe dies auch lautstark zum Ausdruck gebracht.
Die anderen meinten, die Sache sei nicht so wild gewesen. Man werde darüber eben heute, Freitag, weiterreden.

Gebot, das Gesicht zu zeigen

Das muss die Regierung sowieso. Denn aufgrund der äußerst langen Debatte über den Bereich Sicherheit, wurden einige Themenblöcke auf Freitag verschoben. Lediglich die Pläne für den Arbeitsmarkt wurden spätabends noch mit Sozialminister Alois Stöger besprochen. Was den Bereich Wirtschaft betrifft, war zu hören, dass man sich auf eine Abschaffung der kalten Progression einigen könnte. Einer Meinung war man offenbar auch darin, dass die Forschungsprämie erhöht werden soll. Eine Senkung der Lohnnebenkosten wird detto von beiden angestrebt. Näher gekommen sein dürfte man sich auch beim Integrationsthema. Statt eines „Vollverschleierungsverbotes“ könnte ein „Gebot“ kommen, das vorschreibt, dass das Gesicht gezeigt werden muss.

Bildung noch offen

Heute, Freitag, wird noch über Bildung sowie über den Bereich Staat geredet. Danach soll die Sechserrunde erneut zusammenkommen. Am Ende ist ein Gespräch zwischen Kanzler und Vize geplant, eine gemeinsame Punktation soll das Ziel sein.
Was bedeutet das alles? Während die einen spätnachts überzeugt waren, dass die Gespräche durchwegs gut verlaufen und daher Neuwahlen vom Tisch seien, waren andere Beobachter vorsichtiger. Ein Regierungsinsider sagte zum KURIER: „Ich traue mir keine Einschätzung abzugeben.“

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