Koalition verliert und überlebt
Jeder Wahltag ist eine Zitterpartie für die Parteien. Am Sonntag wurden die Nerven ihrer Spitzen besonders strapaziert. Werden die Neo-Kandidaten „Neos“ in den Nationalrat kommen? Schafft das BZÖ dies erneut – oder ist es Geschichte? Wie macht sich der Polit-Neuling Frank Stronach? Verlieren Rot und Schwarz gar die Regierungsmehrheit? Und verdrängt die FPÖ die ÖVP auf Platz 2?
Auch wenn die Briefwahl- und die Wahlkarten fehlen (werden heute ausgezählt, werden aber nicht viel verändern), sind die Fragen zu beantworten: Die SPÖ von Werner Faymann konnte den ersten Platz verteidigen, sie hat – laut dem vorläufigen Endergebnis – aber im Vergleich zu 2008 verloren: 2,2 Prozentpunkte. Auf 27,1 kommt sie jetzt. So wenig haben die Roten noch nie bei einer Nationalratswahl eingefahren. Unterrichts- und Kulturministerin Claudia Schmied hat nach sechs Jahren genug von der Politik und kündigte am Montag ihren Rücktritt an.
Frust und Freude
Gleiches gilt für die ÖVP, angeführt von Michael Spindelegger. Sie hat erneut Zuspruch eingebüßt: 2,2 Prozent. Die Schwarzen sind mit 23,8 Prozentpunkten zwar weiterhin Nummer 2, aber mit viel geringerem Abstand als bisher vom Dritten, der FPÖ. Die hat 3,9 Prozentpunkte zugelegt. Zuletzt hatte sie 17,54; jetzt sind es 21,4.
Der Grünen Schicksal war bisher: In den Umfragen wird ihnen mehr vorausgesagt, als sie dann erreichen. Bis zu 14 Prozent waren Eva Glawischnigs Truppe prognostiziert worden; 11,5 Prozent sind es laut Hochrechnung der ARGE-Wahlen geworden. „15 Prozent plus“ hatten die Ökos angepeilt. Auf Rang 4 sind sie aber nach wie vor.
Reaktionen aus der Wirtschaft
Auf Platz 5 ist einer, der bereits im Parlament war, obwohl er sich keiner Wahl gestellt hatte. Mithilfe oranger Abtrünniger hatte Frank Stronach einen Klub. Jetzt haben die Bürger über ihn gerichtet: 5,8 Prozent haben für den Milliardär gestimmt. Er hatte sich viel mehr erhofft. Immerhin war er zu Beginn des Wahlkampfs in Umfragen bei zehn Prozent gelegen.
Aus dem Parlament verabschieden müssen sich Josef Buchers Orange. Das BZÖ kommt laut Hochrechnung auf lediglich 3,6 Prozent (minus 7,1 % im Vergleich zur Wahl 2008). Mit der von Jörg Haider 2005 gegründeten Partei ist es im Bund vorbei.
Besorgniserregend für alle Parteien: Die Wahlbeteiligung ist weiter gesunken. Einziger Lichtblick für Rot und Schwarz: Ihre Regierungsmehrheit bleibt erhalten – auch wenn sie geringer als bisher ist. Einzelne Bundesländer-Resultate müssen rote und schwarze Strategen ebenfalls alarmieren. In der Steiermark etwa ist die FPÖ nunmehr Nummer 1. Eine Watsch’n für die dortigen „Reformpartner“ SPÖ und ÖVP. Die geplanten Gemeindefusionen haben viele Bürger wohl nicht goutiert.
In Vorarlberg hat die ÖVP 5,2 Prozent verloren, erreicht 26,1. Noch schlimmer ist es für ÖVP-Klubchef Karlheinz Kopf gekommen, der dem Ländle entstammt. In seiner Heimatgemeinde Altach haben die Schwarzen acht Prozent weniger als zuletzt. Besser ergeht es seinem Schwager, Grün-Mandatar Harald Walser. Ein leichtes Plus gibt es dort für seine Partei.
SPÖ und ÖVP haben ihre Mandatsmehrheit im Parlament behalten können. Allerdings schmilzt sie von 108 auf 99 zusammen. Trotz deutlicher Verluste für die SPÖ und dem schlechtesten Wahlergebnis in der Parteigeschichte erklärt SP-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos das Resultat als „respektabel“.
Einen dritten Partner in der Regierung schließt er nicht aus. Faymann selbst kündigte an, im Falle eines Regierungsbildungsauftrags mit der ÖVP entsprechende Verhandlungen zu suchen.Niederösterreichs VP-Landeshauptmann Erwin Pröll bekräftigte seine Präferenz für eine Zweierkoalition, wünscht sich aber einen neuen Stil. Auch Bundespräsident Heinz Fischer hat seinen Wunsch nach einer Neuauflage der Großen Koalition bekräftigt: „Ich halte Spitzenpolitiker für lernfähig.“
Für Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl hat die Große Koalition „die Gelbe Karte“ bekommen und wenn man so weiter tue, bekomme man die Rote Karte. Deutlicher wurden einige Landeshauptleute. Für Wilfried Haslauer aus Salzburg hat sich die Große Koalition überholt, für Markus Wallner aus Vorarlberg wurde Rot-Schwarz abgewählt, er sieht eine „sehr ernst zu nehmende Situation“.
Der Generalsekretär der FPÖ, Herbert Kickl, rief überhaupt die Freiheitlichen zum Wahlsieger aus. Die Grünen reden ihr enttäuschendes Ergebnis schön. Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar bietet sich als Koalitionspartner an. Was geht sich rechnerisch aus? Was politisch? 92 Mandate sind die erforderliche Mehrheit im Nationalrat. SPÖ und ÖVP überspringen diese Latte. Allerdings sind sie eindeutig die „Verliererkoalition“. Ein dritter Partner könnte den Effekt haben, einen Neustart zu signalisieren und Innovation in die Regierung zu bringen.
Was noch für einen dritten Partner spricht: Wenn nur Rot-Schwarz regieren, steht ihnen ein breites Spektrum an Opposition im Parlament gegenüber – und sie könnten von allen Seiten zerrieben werden: von der wirtschaftsliberalen Seite durch die Neos, in der Bildungspolitik durch Neos und Grüne, auf der Law-&-Order-Seite von den Freiheitlichen.
Gegen eine Dreier-Regierung spricht, dass die große Koalition weiter unter sich bleiben will. Sollte es eine Dreier-Regierung geben, kommen dafür nur die Neos infrage. Die ÖVP schließt es aus, in einer rot-grünen Koalition das Beiwagerl zu spielen.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis für die Handlungsfähigkeit der Politik: Die pro-europäische Mehrheit ist nicht verloren gegangen. SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos sind klar pro-europäisch positioniert. Das Ziel von Heinz-Christian Strache, Europa-Beschlüsse im Parlament mit einer Drittel-Sperrminorität verhindern zu können, wurde mit 54 Mandaten für FPÖ (43) und Team Stronach (11) klar verfehlt.
Schwarz-Blau-Stronach ginge sich rechnerisch aus. Aber die anti-europäische Haltung von FPÖ und Team Stronach spricht ebenso gegen diese Koalition wie die Tatsache, dass Michael Spindelegger ÖVP-Chef bleibt.
Jubeln können bei diesem Ergebnis nur die Neos. Sie sind erstmals angetreten, haben sich keinen Parlamentsklub zusammengekauft und auch im Fernsehen wenige Auftritte gehabt. Da sind rund 5 % der Stimmen ein sehr gutes Ergebnis. Durchaus zufrieden sein kann die FPÖ, die deutlich dazugewonnen, aber den erhofften zweiten Platz nicht erreicht hat und wieder auf den Oppositionsbänken Platz nehmen wird.
Regieren kann noch einmal die ehemals Große Koalition, die gerade noch die Mehrheit der Mandate gerettet hat. Beide haben in etwa gleich viel verloren.
Beide, Bundeskanzler Faymann und Vizekanzler Spindelegger, haben für ihre Parteien das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte abgeholt. Die gerade noch gerettete Macht wird sie aneinanderbinden.
Aber was machen sie mit ihrer knappen Regierungsmehrheit, wie soll eine neue Regierung die nötigen Reformen anpacken? Die dringendsten Punkte liegen ja auf dem Tisch: Endlich eine Verschlankung der Verwaltung in Bund und Ländern, eine Bildungsreform, die den Kindern und Jugendlichen bessere Chancen gibt, ein Steuersystem, das zumindest die gröbsten Ungerechtigkeiten abschafft und mehr Anreiz zu Leistung bietet. Und das müssen zum Großteil neue Leute in der Regierung umsetzen, die sich solche Reformen zutrauen.
Geld ist nicht alles
Ob das SPÖ und ÖVP schaffen? Die Vorzeichen stehen nicht gut. In der Steiermark sind die beiden eine Reformpartnerschaft eingegangen, dafür wurden sie bei der Wahl bestraft, die FPÖ wurde dort stärkste Partei.
Welche FPÖ eigentlich? Im Fernsehen ist Heinz- Christian Strache mit reichlich Kreide in der Stimme aufgetreten, auf den Plätzen der Republik hat er wieder gehetzt. Man kann ja Bürgermeister Häupl für vieles kritisieren, aber wer den politischen Gegner als „blad und bled “ bezeichnet, will nicht ernst genommen werden.
Geld regiert zwar die Welt von Frank Stronach, er konnte damit auch einen Parlamentsklub bilden, aber kein starkes Wahlergebnis. 20 bis 30 Prozent und den Bundeskanzler nannte Stronach vor einem Jahr als Wahlziel, jetzt wurden es nur knapp 6 Prozent.
Ebenfalls enttäuscht müssen die Grünen sein. Sie haben nur leicht zugelegt und sind von beiden Wahlzielen weit entfernt: Die FPÖ, die sie überholen wollten, hat rund doppelt so viele Mandate, und aus der Regierungsbeteiligung wird wahrscheinlich auch wieder nichts.
Die Krise von SPÖ und ÖVP ist offensichtlich. In der SPÖ gibt es traditionell mehr Loyalität zum Chef, die ÖVP ist nur mehr eine Gruppe von Landesparteien mit einem Reichsverweser als Obmann. Zwei Wahlverlierer müssen sich jetzt aus den Umklammerungen ihrer internen Lobbys und „starken Männer“ befreien. Und vielleicht haben die beiden Parteien endlich begriffen, dass sie aufhören sollen, Millionen an die Gratiszeitungen zu verteilen. Auch am Boulevard kann man mit Steuergeld keine Stimmen kaufen. Nochmals: Geld ist nicht alles.
Womit konnten die Parteien punkten? Waren es die inhaltlichen Schwerpunkte und das Wahlprogramm? Welche Rolle spielten die Spitzenkandidaten? Gab es eine Wechselstimmung?
Diesen Fragen ging das Meinungsforschungsinstitut von Peter Hajek in einer Wahltagsbefragung für den TV-Privatsender ATV nach.
Überrascht
Unterschätzt wurde laut Hajek die Kampagne der FPÖ. Entgegen allen Unkenrufen hätten die Blauen mit ihrer „Nächstenliebe“-Kampagne den Nerv der Bevölkerung getroffen. Dazu sei es der FPÖ nach wie vor sehr gut gelungen, sich als Protestpartei zu präsentieren. Dass Heinz-Christian Strache im Ton gemäßigt aufgetreten sei, habe sich für die Freiheitlichen zusätzlich gelohnt.
Die beiden Regierungsparteien und deren Kampagnen kamen in der Bevölkerung unterschiedlich an.
Eine starke Wechselstimmung gebe es mit 58 Prozent Pro und 31 Prozent Kontra aber trotzdem nicht. Zum Vergleich das Umfrageresultat der Kärntner Landtagswahlen, als sich 76 Prozent für einen Wechsel ausgesprochen haben.
Die große Koalition unter Führung der SPÖ liegt laut Umfrage voran und ist mit 23 Prozent die gewünschte Koalitionsform. Hajek: „Wenn man aber bedenkt, dass die beiden Traditionsparteien knapp 50 Prozent der Wähler hinter sich vereinen, erkennt man den Niedergang dieses österreichischen Faktotums.“
Die große Überraschung der Wahl ist für Hajek aber die Wirkung von Hans Peter Haselsteiner für die Neos. Haselsteiner, Ex-Strabag-Boss und früherer Abgeordneter des Liberalen Forum, stützte die Gruppe finanziell. Aber erst knappe drei Wochen vor der Wahl warf er sich persönlich für die neue Partei ins Zeug, als er sich für den Fall einer Regierungsbeteiligung als Ministerkandidat zur Verfügung stellte. Hajek: „Es ist auffällig, dass Haselsteiner für die Wähler ein so wichtiges Wahlmotiv war. Das haben alle Umfragen in den vergangenen Wochen gezeigt.“
Dass die Grünen weniger stark zulegen konnten als erhofft, hängt laut Hajek mit der Kandidatur der Neos zusammen, die einiges an Stimmen abgesaugt hätten. So sei den Grünen vor allem eines gelungen: „Sie haben in ihrer Zielgruppe gepunktet.“
Wichtige Köpfe
Wie schon bei den Landtagswahlen war das Hauptmotiv, sich für das Team Stronach zu entscheiden, frischen Wind und Reformen in die Politik zu bringen. Zweitwichtigster Grund war der Spitzenkandidat. Mit den zum Teil skurrilen TV-Auftritten habe Frank Stronach dem Team „letztendlich aber mehr geschadet“, sagt Hajek.
Wie wichtig der Spitzenkandidat war, zeigt sich auch beim BZÖ: 54 Prozent der Orange-Wähler machten beim BZÖ wegen Josef Bucher ihr Kreuz.
Beide Koalitionsparteien haben einen Stammwähler-Wahlkampf geführt. Rot setzte auf Jobs & Pensionisten, Schwarz auf Wirtschaft entfesseln. Herausgekommen ist ein Stammwählerergebnis.
Was am Wahltag sichtbar wurde, wäre fünf Jahre Alltag: Rot und Schwarz gegen eine – dank eines Newcomers – noch attraktivere Opposition von vier Parteien. Diese Wahl hat das Modell Große Koalition fast bis aufs Existenzminimum angezählt.
Mit den Grünen haben rot und schwarz in einigen Ländern bereits Regierungserfahrung – großteils zur Zufriedenheit beider Seiten. Mit den NEOS und Hans Peter Haselsteiner böte sich jemand an, der mit Trümmern, Schutt und Aufbauarbeiten genug praktische Erfahrung hat.
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